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Seeforellen leben riskant

22. April 2024 | Claudia Carle

Seeforellen wandern im Laufe ihres Lebens mehrmals zwischen verschiedenen Lebensräumen hin und her. Dadurch werden sie grösser und können mehr Nachkommen produzieren als sesshafte Forellen. Aber sie sind auch besonders gefährdet – durch natürliche Risiken und die Eingriffe des Menschen in ihre Lebensräume. Um sie besser schützen zu können, untersuchen Forschende der Eawag derzeit im Rahmen eines schweizweiten Forschungsprojekts Vielfalt und ökologische Unterschiede der Seeforellen.

Das Leben aller Forellen beginnt im Bach. Während Bachforellen aber ihr ganzes Leben in ihrem Geburtsbach verbringen, wandern Seeforellen nach einiger Zeit in den See ab und kehren erst später zum Laichen wieder zurück. Trotz unterschiedlicher Lebensstrategien gehören Bach- und Seeforellen aber zur selben Art – in der Schweiz meist zur Atlantischen Forelle (Salmo trutta), der hierzulande mit Abstand am häufigsten vorkommenden Art. Die Nachkommen einer Seeforelle können sich sowohl zu See- als auch zu Bachforellen entwickeln. Das gleiche gilt für die Nachkommen von Bachforellen. Die Wanderneigung ist allerdings zumindest teilweise vererbbar. Nachkommen von Seeforellen wandern deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit in den See ab als Nachkommen von Bachforellen.

Ihre Lebensstrategie macht die Seeforelle innerhalb der ohnehin stark gefährdeten Gewässerlebewesen zu einer besonders bedrohten Art. Denn durch ihren Wechsel zwischen verschiedenen Lebensräumen summieren sich die damit verbundenen Gefahren; dazu gehören etwa steigende Temperaturen im Geburtsbach als Folge des Klimawandels, Wanderhindernisse durch Verbauungen auf dem Weg in den See oder die Fischerei im See. Um Seeforellen besser schützen und fördern zu können, braucht es mehr Wissen über die verschiedenen Populationen in Schweizer Seen und ihre Unterschiede. Dieses Wissen erarbeitet derzeit die Forschungsgruppe Flussfischökologie des Wasserforschungsinstitutes Eawag unter der Leitung von Jakob Brodersen in einem schweizweiten Forschungsprojekt.

Berufs- und Hobbyfischer halfen bei der Probenahme

Um alle natürlichen Schweizer Seen und ihre Zuflüsse untersuchen zu können, waren die Forschenden in diesem Projekt auf die Mithilfe von Berufs- und Hobbyfischern angewiesen. Diese unterstützten die Forschenden vor allem bei der Beprobung der insgesamt 21 Seen, indem sie Proben von Seeforellen zur Verfügung stellten. Die Forschenden untersuchten die Fische sowohl auf genetische als auch auf ökologische Unterschiede, also wie sich die Forellen beispielsweise beim Wachstum unterscheiden. Ausserdem markierten sie im Vierwaldstättersee Forellen mit Mikrochips und verfolgten danach deren Wanderverhalten.

Doch warum wählen Seeforellen eine Lebensstrategie, die mit so hohen Risiken verbunden ist? Der Grund ist, dass Seen mehr Nahrung bieten. Seeforellen wachsen daher schneller, werden grösser und können so mehr Nachwuchs zeugen als ihre Verwandten im Bach. Je mehr Zeit die Seeforellen im See verbringen, desto grösser werden sie. Während eine Bachforelle selten grösser als 50 cm wird, messen ausgewachsene Seeforellen nicht selten über 70 cm und werden vereinzelt sogar über einen Meter gross. Aber sie gehen mit ihrer Lebensstrategie auch ein höheres Risiko ein, nicht bis zur Fortpflanzung zu überleben.

«Viele Seeforellen verlassen ihren Geburtsbach im Frühling ihres zweiten Lebensjahres, wenn sie 10 bis 20 cm gross sind», erläutert Dominique Stalder, die als Doktorandin im Seeforellenprojekt arbeitet. Der Zeitpunkt der Abwanderung variiert aber von Bach zu Bach und von Fisch zu Fisch. «Grosse Fische wandern generell früher als kleine, denn mit der Grösse sinkt das Risiko beim Abwandern zu sterben», so Stalder. Denn die Risiken für junge Forellen sind gross. Bereits der Abstieg in den See ist gefährlich. Im See lauern dann Räuber wie Vögel und andere Fische, aber auch Netze und Angelköder.

Seeforellen aus verschiedenen Zuflüssen unterscheiden sich

Ähnlich wie Lachse kehren Seeforellen zum Laichen wieder in den Bach zurück, in dem sie selbst aus dem Ei geschlüpft sind. «Bei der Körpergrösse der Rückkehrer gibt es grosse Unterschiede», erklärt Dominique Stalder. Forellen, die schon früh in den See abwandern und länger im See bleiben, werden grösser, haben dafür aber eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit. Unterschiede in den Körpergrössen gibt es auch zwischen verschiedenen Seen und selbst zwischen verschiedenen Zuflüssen desselben Sees, obwohl die Fische dann im gleichen Lebensraum aufwachsen. Während aber einige Fische bereits nach dem ersten Sommer im See zum Laichen in ihren Bach zurückschwimmen, bleiben die meisten noch ein Jahr länger im See. Manche lassen sich sogar bis zu vier Jahre Zeit.
 

Wenn eine Seeforelle ihren Laichgrund erreicht, zahlt sich ihre riskante Strategie aus, denn dank ihrer Grösse legen Seeforellen deutlich mehr Eier ab als ihre sesshaften Verwandten – teilweise mehr als 10'000 in einer Saison. Allerdings schaffen es nicht einmal 10 Prozent der abgewanderten Forellen, in ihren Geburtsbach zurückzukehren und zu laichen.

Die Forschenden untersuchten die Forellen auch auf genetische Unterschiede. Sie stellten fest, dass sich in mehreren Seen die Forellenpopulationen, die aus unterschiedlichen Zuflüssen in den gleichen See gelangen, genetisch unterscheiden. «Da Seeforellen immer wieder in ihren Geburtsbach zurückkehren, ist naheliegend, dass sich Populationen aus verschiedenen Bächen an die jeweiligen lokalen Bedingungen in ihrem Geburtsbach angepasst haben», sagt Projektleiter Jakob Brodersen. Ob das zutreffe, müsse aber erst noch genauer untersucht werden. Genetische Vielfalt innerhalb einer Art kann wichtig sein für die Anpassungsfähigkeit dieser Art, wenn sich beispielsweise die Umweltbedingungen ändern. Dann können bestimmte Ausprägungen eines Merkmals beim Körperbau (z.B kürzere oder längere Kiefer) oder beim Verhalten (z.B. frühe oder späte Laichzeiten) auf einmal ein Vorteil sein.
 

Die Vielfalt erhalten

«Die ersten Ergebnisse aus dem Seeforellenprojekt zeigen, dass sich verschiedene Seeforellenpopulationen stark unterscheiden», sagt Jakob Brodersen, «etwa beim Wachstum, im Wanderverhalten oder genetisch.» Will man diese Forellenvielfalt erhalten, dürfen unterschiedliche Populationen nicht vermischt werden.

«Das ist zum Beispiel in Fisch-Aufzuchtanlagen relevant, wo Fische vermehrt werden, um sie dann in den Gewässern auszusetzen und damit die Fischbestände zu erhöhen», erläutert Andrin Krähenbühl von der Fischereiberatungsstelle FIBER, der das Seeforellenprojekt beim Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis unterstützt. Ein solcher Fischbesatz werde in vielen Schweizer Gewässern praktiziert.

Ein Ansatzpunkt, um die Seeforellen insgesamt zu schützen, können Anpassungen der Grössenvorgaben für den Fischfang sein. «In Gewässern, in denen die Seeforellen erst in höherem Alter zum Laichen zurückkehren, liegt ihre Grösse häufig bereits zuvor über dem Fangmindestmass», erklärt Andrin Krähenbühl. «Das bedeutet, dass im See Forellen gefangen werden können, die noch nie gelaicht haben.» Um Seeforellen in solchen Seen besser zu schützen, würden sich daher höhere Fangmindestmasse oder strengere Entnahmemengen anbieten.
 

Titelbild: Durch ihren Wechsel zwischen verschiedenen Lebensräumen summieren sich für die Seeforellen die Gefahren (Foto: Michel Roggo)

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