Département Gestion des eaux urbaines

Langfristige Planung nachhaltiger Wasserinfrastrukturen (SWIP)

Ziel des Projekts ist eine verbesserte Planung von Trinkwasserversorgungs- und Entwässerungssystemen, die sich in die bestehenden Planungsstrukturen der Schweiz eingliedern. Der Fokus liegt auf dem Umgang mit Beschränkungen in den Daten, der Unsicherheit von zukünftigen Entwicklungen und einer hohen Akzeptanz des Entscheidungsprozesses durch Akteure.

SWIP basiert auf drei Hauptsäulen: (i) Quantitative Berücksichtigung der Ziele der betroffenen Akteure anhand einer multikriteriellen Entscheidungsanalyse (MCDA); (ii) Berechnung der Auswirkungen von Sanierungsstrategien auf die Zukunft anhand neuartiger Zerfallsmodelle für Kanalisations- und Wasserverteilungsnetzwerke und (iii) expliziter Einbezug wichtiger Unsicherheiten in die Ergebnisse, einschliesslich Klimaveränderung und sozio-ökonomischer Entwicklung.

Der Ansatz wurde im Rahmen einer Fallstudie getestet und führte zu einigen überraschenden Ergebnissen. Die allgemeine Methodik ist zwar robust, aber es sind noch weitere praktische Erfahrungen und einige Optimierungen notwendig, um sie in der Praxis umsetzen zu können.

Hintergrund

Wasserinfrastrukturen wie Wasserversorgungsleitungen, Kanalisations- und Kläranlagen sind in unserer Gesellschaft unverzichtbar. Sie versorgen uns jederzeit mit Wasser, das wir für unterschiedliche Zwecke verwenden. Sie stellen ebenfalls eine hygienisch sichere, umweltfreundliche Abwasserentsorgung dar und bieten Schutz vor Überschwemmungen. Mit Lebensdauern von 100 und mehr Jahren sind Wasserinfrastrukturen zudem äusserst langlebig. Sie sind jedoch teuer im Unterhalt und in vielen Industrieländern müssen die alternden Wasserinfrastrukturen in den nächsten Jahren repariert oder ersetzt werden.

Infrastrukturplanung ist komplex. Normalerweise wird die Situation, wie sie sich in der Vergangenheit präsentierte, einfach in die Zukunft projiziert, ohne dabei Erfahrungen oder veränderte Zukunftserwartungen systematisch zu berücksichtigen und ohne aktive Teilnahme der verschiedenen Akteure. Die bestehenden Planungsinstrumente sind denn auch nicht geeignet, wenn man von einer zunehmend dynamischen und unsicheren Zukunft ausgeht. Mögliche Auswirkungen des Klimawandels wie Wasserknappheit und häufigere Extremniederschläge sowie die demografische und sozio-ökonomische Entwicklung sind unsicher, aber haben einen grossen Einfluss darauf, welche Dienstleistungen in Zukunft von Wasserinfrastrukturen zur Verfügung gestellt werden können. Zudem ist der Schweizer Wassersektor stark fragmentiert und hat organisatorische Schwachstellen.

Bei den aktuellen Planungsprozessen in der Schweiz (hauptsächlich GEP, Generelle Entwässerungsplanung, und GWP, Generelle Wasserversorgungsplanung) werden zukünftige Entwicklungen nicht systematisch berücksichtigt. Aufgrund sozio-ökonomischer und klimabedingter Veränderungen sowie der grossen Unsicherheit in Bezug auf den baulichen Zustand der bestehenden Infrastruktur muss diese Lücke mit neuen Instrumenten und Methoden geschlossen werden.

Ziel

Das Hauptziel von SWIP ist eine optimierte Planung von Trinkwasserversorgungs- und Entwässerungssystemen. Dabei wird ein Gleichgewicht der ökonomischen (Voraussage der Kosten), ökologischen (Auswirkungen auf Ökosysteme) und sozialen Aspekte (Wertvorstellungen der Akteure) angestrebt. Besonders berücksichtigt wird, dass in vielen (kleinen) Gemeinden genaue Daten zu den Infrastrukturen fehlen und dass zukünftige Entwicklungen nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden können.

SWIP gliedert sich in bestehende Planungsinstrumente wie GEP oder GWP ein. Der SWIP-Ansatz kann auf verschiedenste schwierige Entscheidungssituationen mit vielen Akteuren angepasst werden.

Projektbeschreibung

In vier Teilprojekten  wurden Ingenieurs- mit Entscheidungswissenschaften kombiniert. Instrumente und Methoden wurden entwickelt, um den langfristigen Planungsprozess für Wasserinfrastrukturen zu optimieren. Diese Instrumente erleichtern somit den Umstieg vom problembasierten „Reparieren“ zur proaktiven und langfristigen Erhaltungs- und Sanierungsplanung. Der Ansatz wurde in Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren im Rahmen einer Fallstudie in der Region Greifensee in der Nähe von Zürich entwickelt. Dieses Fallstudiengebiet, bestehend aus mehreren kleinen Gemeinden, ist typisch für die Schweiz.

SWIP kennzeichnet sich durch einen konsequent transdisziplinären Ansatz. Erfahrungen, Know-how und Präferenzen wichtiger Akteure wurden während der verschiedenen Phasen in die wissenschaftliche Forschung integriert. Mittels der multikriteriellen Entscheidungsanalyse (MCDA) konnten sämtliche verfügbaren (quantitativen und qualitativen) Daten und Informationen zusammengefasst und die Mitwirkung der Akteure am gesamten Planungsprozess strukturiert werden.

Ein weiteres wichtiges Merkmal von SWIP ist die explizite Berücksichtigung von unsicheren Komponenten in allen Teilprojekten, d. h. angemessener Umgang mit den Beschränkungen der grösstenteils unvollständigen Datensätzen, Unsicherheit von Modellen zur Vorhersage von Leistung und Zerfall von Infrastrukturen, Unsicherheiten in Zusammenhang mit der Klimaveränderung und sozio-ökonomischen Entwicklungen sowie Unsicherheit in Bezug auf die Präferenzen der Akteure.

 

Teilprojekte

Teilprojekt 1 - Akteursanalyse und soziale Netzwerkanalyse

von Judit Lienert, zusammen mit Florian Schnetzer und Karin Ingold

Ziel

Das Hauptziel dieses Teilprojekts war die Charakterisierung der Akteure, die bei der Planung von Trinkwasserversorgungs- und Entwässerungssystemen direkt involviert sind, sowie derjenigen, die mit diesen Prozessen verbunden sind. Des Weiteren wollten wir herausfinden, wie gut diese Akteure in die Entscheidungsprozesse integriert sind und welche Interessen sie verfolgen. Wir haben ebenfalls versucht, mehrere Hypothesen zu testen, insbesondere, ob zwischen verschiedenen Sektoren und Entscheidungsebenen im Wassersektor eine starke Fragmentierung besteht.

Methoden

Wir haben eine klassische Akteursanalyse mit einer sozialen Netzwerkanalyse kombiniert. Eine Akteursanalyse ist ein eher qualitativer, aber sehr beliebter Ansatz. Damit können Aktuere mit grossem Einfluss identifiziert werden, aber auch Akteure mit geringem Einfluss, die von diesen Entscheidungen betroffen sein können. Wir haben diese Akteure und ihre Rolle im Wassersektor und den Interessen, die sie verfolgen, im Rahmen von 27 halbstandardisierten Interviews detailliert charakterisiert.

Im zweiten Teil der Akteursanalyse haben wir offene Fragen eingeführt, um einen ganzheitlicheren Überblick über die Sichtweise der Akteure bezüglich der aktuellen Wasserinfrastrukturplanung zu erhalten. Dabei haben wir die Interviewpartner gefragt, wie sie sich den „idealen Planungsprozess“ vorstellen, welche Grenzen sie im bestehenden System erkennen und welche Massnahmen ergriffen werden müssen, um die erkannten Defizite zu beseitigen.

Die soziale Netzwerkanalyse ist ein eher quantitativer Ansatz, im Rahmen dessen wir die Beziehungen und Verbindungen zwischen den verschiedenen Akteuren eruieren sowie feststellen konnten, in welchem Masse die Akteure in den Planungsprozess involviert sind.

Wichtigste Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass eine grosse Anzahl Akteure (d. h. 66) eine Rolle bei der Wasserinfrastrukturplanung spielen. Die Hypothese einer starken Fragmentierung im Wassersektor konnte klar bestätigt werden. Es ist allgemein bekannt, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Trinkwasserversorgungs- und dem Entwässerungssektor nur schwach ausgeprägt ist – sowohl in der Schweiz als auch in anderen Ländern. Gemäss unserem Wissen konnte dies bisher jedoch nicht auf solch systematische Weise wie in unserer sozialen Netzwerkanalyse aufgezeigt werden. Andererseits konnten einige Akteure ausgemacht werden, die mit vielen anderen Akteuren interagieren und die die Fähigkeit haben, zwischen verschiedenen Sektoren zu vernetzen. Diese sind somit sehr zentral im Netzwerk der Akteure und übernehmen eine äusserst einflussreiche Rolle als Vermittler.

Die Zusammenarbeit zwischen Akteuren verschiedener Entscheidungsebenen ist ebenfalls schwach ausgeprägt. Lokale Ingenieure und Gemeindebehörden haben in der aktuellen Wasserinfrastrukturplanung eine sehr wichtige Rolle inne, während viele andere Akteure nur einen geringen Einfluss auf die Planungsprozesse ausüben können. Es überrascht nicht, dass viele Akteure ein starkes Interesse in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit, die Wasserinfrastrukturtechnologie als solches und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen in Zusammenhang mit der Technologie, der Trinkwasserversorgung und der Entwässerung haben.

Viele der Interviewpartner haben die Mängel des aktuellen Systems erkannt. Ihnen war bewusst, dass die Hauptakteure kurzfristige Interessen verfolgen und längerfristige strategische Ziele wie Regionalisierung und integrierte Einzugsgebietsplanung im Rahmen der bestehenden Planungsprozesse schwieriger zu erreichen sind. Viele erwähnten ebenfalls, dass innerhalb des Wassersektors eine bessere Zusammenarbeit dringend nötig sei, um die Nachteile der Fragmentierung zu beseitigen und die Effizienz zu erhöhen. Sie betonten die Wichtigkeit einer integrierten Einzugsgebietsplanung, um längerfristige Herausforderungen in Bezug auf die Nachhaltigkeit anzugehen. Sie kritisierten ebenfalls, dass die aktuelle Wasserinfrastrukturplanung zu stark mit der lokalen Politik verbunden ist, wodurch das Anpacken von längerfristigen strategischen und Nachhaltigkeitszielen ebenfalls erschwert wird.

Der methodische Ansatz, bei dem die offenen Fragen der Akteursanalyse mit dem geschlossenen Format der sozialen Netzwerkanalyse kombiniert wurden, war äusserst nützlich und trug zum besseren Verständnis des sozialen Systems der Wasserinfrastrukturplanung bei.

Basierend auf den Ergebnissen der Fallstudie können wir klar sagen, dass es nicht länger angemessen ist, die Wasserinfrastrukturplanung ausschliesslich den Ingenieuren zu überlassen. Wir müssen über neue Lösungen nachdenken, um zukünftige Herausforderungen meistern zu können. Dies kann nur im Rahmen einer tiefergehenden Diskussion über Nachhaltigkeitsziele im Wassersektor erreicht werden. Wir müssen herausfinden, welche Formen der Regulierung und Verwaltung für die Erreichung dieser Ziele am besten funktionieren. In Zusammenarbeit mit Fachpersonen müssen wir unsere Forschung und die politischen Diskussionen mit den Gegebenheiten in der Realität in Verbindung bringen.

Weitere Informationen

  • Lienert, J., Schnetzer, F., Ingold, K. (2013) Stakeholder analysis combined with social network analysis provides fine-grained insights into water infrastructure planning processes. Journal of Environmental Management 125: 134-148.  Postprint  Verlagsversion

Teilprojekt 2 - Dissertation von Christoph Egger: Leistungs- und Zustandsermittlung für die Siedlungsentwässerung der Zukunft

von Christoph Egger und Max Maurer

Vorhersagen über den baulichen Zustand erlauben es, den zukünftigen Investitionsbedarf unter verschiedenen Sanierungsstrategien zu bestimmen. Somit wird ein proaktives und längerfristiges Management der Kanalnetze ermöglicht. Ein solches wiederum trägt zur besseren Balance zwischen Investitionen und Leistung der Systeme bei. Letztere zeichnet sich u.a. aus durch das Vermögen, grosse Abwassermengen unter Starkniederschlag möglichst schadlos abzuführen. Zur Anpassung der Systeme müssen in Berechnungen daher zusätzlich Informationen über die in Zukunft zu entwässernden Siedlungsflächen als auch über das sich ändernde Niederschlagsregime einfliessen.

Zerfallsmodellierung von Entwässerungsnetzen

Die Kalibrierung von Modellen zur Vorhersage des zukünftigen Zustands wird u.a. erschwert durch folgende Aspekte:

  • Limitierter Informationsgehalt der Zustandsdaten durch (i) kleine Datensatzgrössen und (ii) bei geringem Alter der Netze
  • Sanierungen in der Vergangenheit, welche nicht in den Daten festgehalten werden (fehlende Datenhistorie) verzerren das Alterungsverhalten.

Unter folgendem Link werden die dafür entwickelten Lösungsansätze im Detail vorgestellt, siehe auch (Egger et al., 2013)

Unsicherheiten durch Änderung und Variabilität des Klimas

Kriterien zur Dimensionierung von Kanalnetzen beschreiben Wiederkehrintervalle, innerhalb derer kritische Wasserstände höchstens einmal überschritten werden dürfen. Dies um das Schadenspotential durch Überflutung zu begrenzen. Einen solchen Nachweis zu führen stellt uns vor folgende Herausforderungen:

  • Klimaprognosen sagen vielfach voraus, dass sich die Wahrscheinlichkeit von Starkniederschlägen erhöht. Diese beziehen sich jedoch eine für die Siedlungsentwässerung zu grobe räumliche und zeitliche Skala.
  • Der Nachweis, ob Dimensionierungskriterien erfüllt werden, erfolgt heute meist anhand von observierten Niederschlagsreihen. Problematisch sind dabei die relativ kurzen Observationsdauern und damit die geringe Repräsentativität dieser Regenreihen im Hinblick auf Extremniederschlag.

Stochastische Modelle zur Regensimulation und -disaggregation erlauben es, diese Herausforderungen zu überwinden und Unsicherheiten infolge Änderung und Variabilität des Klimas zu berücksichtigen. Weitere Informationen dazu hier. Derzeit ist eine Untersuchung in Bearbeitung, welche die Bedeutung der Unsicherheiten beleuchtet - auch im Hinblick auf zusätzliche Investitionskosten für bewussten Einbau von Sicherheiten in die Systeme.

Ausblick

Die oben beschriebenen Methoden werden derzeit an konkreten Fallbeispielen unter verschiedenen sozio-ökonomischen Szenarien angewandt. Dabei werden folgende Fragestellungen verfolgt:

  • Je nach Grösse der Datensätze schwankt die Unsicherheit der Zustandsprognosen und damit der Investitionskosten. Ausserdem hängen die Ergebnisse ab vom Vorwissen über den Zerfallsprozess ). Die Bedeutung des Vorwissens und der Unsicherheiten gilt es darzustellen.
  • Wie bedeutend sind die einzelnen Faktoren (i) Anpassungsbedarf der Systeme zur Gewährleistung ihrer hydraulischen Funktion in Zukunft, (ii) Alterung der Systeme und (iii) Siedlungsentwicklung im Hinblick auf die Sanierung der Kanalisation? Und mit welchen Unsicherheiten müssen wir dabei insgesamt rechnen?

Mehr Informationen

  • Aqua urbanica
  • Egger, C., Scheidegger, A., Reichert, P. and Maurer, M., 2013. Sewer deterioration modeling with condition data lacking historical records. Water Research 47 (17), 6762-6779. Postprint / Verlagsversion

Teilprojekt 3 - Dissertation von Lisa Scholten: Multikriterielle Entscheidungsanalyse für die Planung von Infrastrukturen der Wasserversorgung unter Unsicherheit

von Lisa Scholten, Judit Lienert, Max Maurer

Unsere zentralisierten Wasserversorgungssysteme werden immer älter. Insbesondere kleinen Einrichtungen (die zusammen mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung versorgen; SVGW, 2009) fehlt es oft an institutionellen, finanziellen oder personellen Mitteln, um die langfristige Leistung des Systems vorauszuberechnen und um ihre Wasserversorgungssysteme angesichts einer ungewissen Zukunft proaktiv zu planen. Das Ziel dieses Teilprojekts ist somit die Entwicklung von Ansätzen für:

  1. die Prognose des zukünftigen Zustands von zentralisierten Leitungssystemen,
  2. eine strategische Sanierungsplanung,
  3. eine Entscheidungsanalyse in Bezug auf eine Wasserinfrastruktur, welche die   Unsicherheiten von Prognosen, zukünftigen Entwicklungen sowie der Präferenzen von Akteuren berücksichtigt.

Prognose der Lebensdauer und Schäden von Leitungsnetzwerken im Wasserversorgungsbereich

Um den zukünftigen Zustand von Wasserversorgungsnetzwerken beurteilen zu können, sind Vorhersagmodelle bezüglich Schäden und Lebensdauer von Leitungen erforderlich. Die Basis dazu ist das Wissen über die erwartete Lebensdauer und potenzielle Schäden von Rohrleitungen. In der Praxis sind Daten bezüglich Schäden und Ersatz von Rohrleitungen oft gar nicht vorhanden oder decken nur einen kurzen Zeitraum ab (z. B. die letzten paar Jahre). Zudem reichen die verfügbaren Daten von kleinen Wassernetzwerken üblicherweise nicht aus, um Prognosemodelle stabil zu kalibrieren. Diese Herausforderung kann auf zwei Arten gemeistert werden:

  1. Entwicklung von Prognosemodellen, bei denen die fehlenden Daten bezüglich Schäden und Ersatz von Rohrleitungen berücksichtigt werden (z. B. linksseitige Zensierung, rechtsseitige Trunkierung, selektives Überleben)
  2. Kombination von Vorwissen mit lokal verfügbaren Daten zwecks Kalibrierung der Modelle (Bayes’sche Parameterinferenz)

Das Vorwissen kann aus verschiedenen Quellen stammen. Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein Ansatz zur Erhebung von Expertendaten bezüglich der Lebensdauer von Rohrleitungen und dessen Verwendbarkeit für die Kalibrierung von Vorhersagmodellen entwickelt. Für detaillierte Informationen siehe Scholten et al. (2013a). Mit dem Wissen der Experten konnte eine differenzierte Schätzung der Überlebenskurven für verschiedene Rohrleitungsgruppen gemacht werden (z. B. nach Material und Jahrgang). Durch die Eingliederung der Abweichungen zwischen den Experten konnten verschiedene umweltspezifische und betriebliche Rahmenbedingungen bestätigt werden (ein wichtiger Aspekt beim Erstellen von Modellen für die Bestimmung der Lebensdauer von Rohrleitungen).


Im Rahmen einer anderen Studie wurden Daten von drei mittleren bis grossen Schweizer Wassernetzwerken erhoben, die in unsere Studie eingeflossen sind. Sie wurde mit lokalen Daten kombiniert (durch Bayes'sche Parameterschätzung), um ein neuartiges Modell zur Schadensprognose für ein kleineres Wassernetz zu kalibrieren, siehe Scholten et al. (2013b). Das Modell wird in Scheidegger et al. (2013) präsentiert. Die Autoren zeigen ebenfalls auf, wie im Rahmen dieses Modells mit der allgemeinen Datensituation umgegangen wird. Ähnliche Modellansätze wurden für Entwässerungsnetze (Teilprojekt 2)  entwickelt.

Strategische Rohrleitungssanierungsplanung

Angesichts der Alterung von Rohrleitungen und der hohen Wiederbeschaffungswerte werden im Wassersektor Modelle verstärkt in Entscheidungsprozesse integriert. Neben den Kosten spielen bei diesen Entscheiden verschiedene grundlegende Ziele eine Rolle. In diesem Teilprojekt wurden im Rahmen einer multikriteriellen Entscheidungsanalyse (MCDA, Teilprojekt 4) grundlegende Ziele bezüglich Kosten, Funktionssicherheit und Generationengerechtigkeit berücksichtigt und gegeneinander abgewogen, um die wünschenswertesten langfristigen Sanierungsstrategien definieren zu können. Diese hängen von der langfristigen Leistung der Strategie sowie von den Präferenzen der(s) Entscheidungsträger(s) bezüglich dieser Ziele ab.

Das Schadensmodell wurde deshalb mit einer bestehenden strategischen Asset-Management-Software kombiniert, um die Ergebnisse von 18 Sanierungsstrategien unter vier Zukunftsszenarien für ein kleines Wassernetz abzubilden. Dabei wurde die Parameterunsicherheit des Modells auf die Ergebnisse übertragen und bei der Beurteilung berücksichtigt. Es wurden verschiedene Präferenzen angenommen, um die verschiedenen Alternativen miteinander zu vergleichen. Die Analyse der Fallstudie ergab, dass die übliche ausschliesslich reaktive Sanierungsstrategie in diesem Fall nicht empfehlenswert ist und dass eine jährliche Ersatzrate von 1-2% nach Zustand eine gute langfristige Strategie darstellen könnte. Die Rangfolge der Alternativen wich beim Boom-Szenario (massives Bevölkerungs- und sozioökonomisches Wachstum) am stärksten ab (im Vergleich zum Status-quo- oder zu den Qualitatives-Wachstum-/Doom-Strategien). Für mehr Informationen siehe Scholten et al. (2013b).

Multikriterielle Entscheidungsanalyse unter Unsicherheit – optimale Wasserversorgungsinfrastruktur für die Region Mönchaltorfer Aa

Um langfristig eine „optimale Wasserversorgungsinfrastruktur“ gewährleisten zu können, spielen nicht nur der bauliche Zustand und die Sanierung von Rohrleitungen eine Rolle. Zusammen mit den Akteuren konnten 30 untergeordnete, aber ebenfalls wichtige Ziele für die Trinkwasserversorgung identifiziert werden (Lienert et al. (2014). Diese wurden mit 30 Attributen quantifiziert. Zusätzlich wurden 11 Wasserversorgungsalternativen mit verschiedenen Organisationsformen, geografischen Gesichtspunkten, Managementstrategien und technischen Konfigurationen entwickelt und beurteilt. Die Ergebnisse aller Alternativen bezüglich dieser Attribute wurden unter vier Zukunftsszenarien vorausberechnet, um die Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung zu berücksichtigen. Im Rahmen einer Akteurs- und Sozialen Netzwerk-Analyse (Teilprojekt 1) wurden 10 Akteure für individuelle MCDA-Interviews ausgewählt (Lienert et al., 2013). Ihre Präferenzen wurden unter Berücksichtigung der Ungenauigkeit der angegebenen Präferenzen sowie der Unsicherheit der fehlenden Präferenzparameter erhoben und abgebildet (Aggregationsmodell, Wertefunktionen, Risikoverhalten und Skalierungsfaktoren). Damit konnten schlussendlich Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die Rangfolge der Alternativen für jeden einzelnen Akteur erstellt werden. Zukünftige Dynamiken und Unsicherheiten wurden dabei miteinbezogen, indem neben der quantitativen Berücksichtigung von Unsicherheiten bei der Erstellung von Prognosen und Auswertung der Ergebnissedie Entscheidungsanalyse und –modellierung mit einer Szenarioplanung verbunden wurde . Diese Ergebnisse werden demnächst veröffentlicht.

Weitere Präferenzerhebungsformate werden im Rahmen einer anderen MCDA zur Identifizierung optimaler Entwässerungssysteme (Teilprojekt 2) erforschen.

Referenzen und weitere Informationen

  • Lienert, J., Schnetzer, F., Ingold, K. 2013. Stakeholder analysis combined with social network analysis provides fine-grained insights into water infrastructure planning processes. Journal of Environmental Management 125: 134-148. Postprint / Verlagsversion
  • Lienert, J., Scholten, L., Egger, C., Maurer, M. (2014) Structured decision making for sustainable water infrastructure planning and four future scenarios. EURO Journal on Decision Processes, special issue on Environmental Decision Making. Verlagsversion
  • SVGW, 2009. Statistische Erhebungen der Wasserversorgungen in der Schweiz Betriebsjahr 2008. Zürich, Schweizer Verein des Gas- und Wasserfaches. Link
  • Scholten, L., Scheidegger, A., Reichert, P., Maurer, M., 2013a. Combining expert knowledge and local data for improved service life modeling of water supply networks. Environmental Modelling & Software 42 1-16. Postprint / Verlagsversion
  • Scholten, L., Scheidegger, A., Reichert, P., Maurer, M., Lienert, J., 2013b. Strategic rehabilitation planning of piped water networks using multi-criteria decision analysis. Water Research 49: 124-143. Postprint / Verlagsversion
  • Scheidegger, A., Scholten, L., Maurer, M., Reichert, P., 2013. Extension of pipe failure models to consider the absence of data from replaced pipes. Water Research 47(11) 3696-3705. Postprint / Verlagsversion
  • Scholten, L., Schuwirth. N., Reichert, P., Lienert, J. Tackling uncertainties in multi-criteria decision analysis - An application to water supply infrastructure planning. European Journal of Operational Research. In press. View at publisher | Postprint.

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Teilprojekt 4 - Post-Doktorat von Jun Zheng: Einbezug der Präferenzen von Akteuren in die Planung von Entwässerungssystemen anhand einer multikriteriellen Entscheidungsanalyse (MCDA)

von Jun Zheng, Judit Lienert

Akteure in öffentliche und umweltbezogene Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen, wird immer wichtiger. Dadurch haben diese die Möglichkeit, sich ein Gesamtbild des Entscheidungsproblems zu machen und so ihre Einzelinteressen allfällig hintenanzustellen, wodurch Konflikte vermieden werden können. Ein transparenter Prozess erhöht dabei die Akzeptanz der abschliessenden Empfehlung, wodurch sich die Bereitschaft zur Umsetzung erhöht.

Im Rahmen einer Akteursanalyse und sozialen Netzwerkanalyse (Teilprojekt 1, Lienert et al., 2013) wurden zehn Akteure identifiziert, die bei der Abwasserinfrastrukturplanung einflussreich sind oder die durch eine allfällige Entscheidung betroffen wären. Diese Akteure wurden in den gesamten Entscheidungsanalyseprozess involviert – von der Problemstrukturierungsphase bis zur abschliessenden Empfehlung. Der Fokus dieses Teilprojekts liegt auf der Erfassung der Präferenzen der Akteure, die in ein multiattributives Nutzenmodell integriert werden.

 

 

Ziel

Im Rahmen dieses Teilprojekts wurden die Präferenzen der verschiedenen Akteure quantitativ erfasst. Ein Präferenzerhebungsprozess besteht aus einer Reihe von Fragen und Antworten (schrittweise Angabe der Präferenzen). Die Präferenzerhebung gehört zu den komplexeren Aufgaben einer MCDA. Dafür gibt es verschiedene Gründe:

  1. Das Entscheidungsproblem ist für die Akteure relevant, aber diese verfügen nicht unbedingt über das erforderliche Wissen, um die Ziele und Attribute verstehen zu können. In einigen Fällen sind insbesondere die Attribute (= Indikatoren, Leistungskennzahlen) unausweichlich technischer Natur. Oft kennen sich Akteure nur in einem spezifischen Bereich aus (z. B. Kosten von Entwässerungssystemen oder Management-Aspekte), verfügen jedoch nicht über das erforderliche Wissen in einem anderen Bereich (z. B. Entfernung von Mikroverunreinigungen aus dem gereinigten Abwasser).
  2. In manchen Fällen sind Kompromisse schwierig, da diese jeweils moralische, innere Konflikte heraufbeschwören können. Kompromisse sind jedoch notwendig, wenn nicht alle Ziele gleichzeitig erreicht werden können. Es ist beispielsweise unter Umständen nicht möglich, sämtliche Mikroverunreinigungen aus dem gereinigten Abwasser zu entfernen und gleichzeitig die Kosten möglichst tief zu halten. Im Rahmen des Präferenzerhebungsprozesses werden die Entscheidungsträger explizit gebeten, solche schwierigen Kompromisse einzugehen.
  3. Eine Erhebung der Präferenzen ist an sich nicht einfach. Viele finden es schwierig, ihre Präferenzen klar auszudrücken, insbesondere wenn sie im Vorfeld keine Gelegenheit hatten, darüber nachzudenken. Wenn die Präferenzen einer Person nicht klar sind, werden diese während des Erhebungsprozesses numerisch konstruiert.
  4. Wir haben versucht, einen strukturierten Erhebungsprozess zu entwickeln, bei dem die Akteure ihre Präferenzen so einfach wie möglich ausdrücken können (Abbildung 1). Gleichzeitig wollten wir aus der Perspektive der MCDA einen methodisch korrekten und aussagekräftigen Prozess anwenden. Wir haben uns ebenfalls für die möglichen Auswirkungen verschiedener Methoden auf den Erhebungsprozess interessiert.

Abbildung 1. Präferenzerhebungsprozess

Methoden

Allgemein gesehen existieren zwei Paradigmen der Erhebung (Abbildung 2). Bei einem direkten Erhebungsansatz werden die Akteure direkt nach den Präferenzparametern befragt, um daraus ein (mathematisches) Präferenzmodell zu konstruieren. Bei einem indirekten Erhebungsansatz hingegen wird ein Aggregationsmodell aus einer Teilmenge von Alternativen abgeleitet. In der Sprache der künstlichen Intelligenz bedeutet dies, sich ein Präferenzmodell auf Basis einer Lernmenge anzueignen.

Die zwei unterschiedlichen Erhebungsmethoden können verschiedene Prozesse in den Köpfen der Menschen auslösen und so schlussendlich verschiedene Aspekte der Präferenzinformationen aufzeigen. Wir haben bei der Erhebung der Präferenzen jeweils beide Ansätze angewandt, um die möglichen Auswirkungen auf die Ergebnisse zu testen. Zudem haben wir ebenfalls die Stabilität der Präferenzen der Akteure untersucht.

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Abbildung 2. Zwei Paradigmen der Präferenzerhebungsansätze

Die direkte Erhebung von Präferenzparametern wurde in Form eines Online-Fragebogens und im Rahmen von Interviews umgesetzt. Erfasst wurden die Gewichtung der Ziele und Attribute, die Wertefunktionen, die Risikoeinstellung und die Aggregationsmethoden der jeweiligen Akteure. Unsicherheiten wurden berücksichtigt, indem den Akteuren explizit erlaubt wurde, die Fragen offen zu beantworten, oder indem sie gebeten wurden, den jeweiligen Grad der Unsicherheit anzugeben. Wir haben ebenfalls die bekannten Verzerrungseffekte („Splitting Bias“ und „Goal-directed Bias“) aus der Literatur berücksichtigt und entsprechende Abhilfemassnahmen eingeleitet, um diese so weit wie möglich zu vermeiden.

Der indirekte Erhebungsansatz wurde ebenfalls im Rahmen von Interviews angewandt. Die Fragen bestanden aus paarweisen Vergleichen hypothetischer Alternativen, der Stärke der Präferenzen und Fragen zu Zielkonflikten. Aus dieser Information wurden unpräzise Modelle abgeleitet, welche die Präferenzen der Akteure abbilden. Die Modelle wurden mit Hilfe linearer Programmierung erstellt.

Bei beiden Methoden wurden die Akteure ermuntert, während des Interviews „laut zu denken“, d. h. sie wurden gebeten, ihre Urteilsbildung zu erklären. Im Fall von unterschiedlichen Antworten zwischen den Interviews wurde im Rahmen einer Diskussion untersucht, ob die Änderung durch die unterschiedlichen Erhebungsmethoden oder durch eine echte Veränderung der Präferenzen verursacht worden war.

Wichtigste Ergebnisse

Da das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, existieren noch keine endgültigen Ergebnisse.

Weitere Informationen

  • Lienert, J., Schnetzer, F., Ingold, K. (2013) Stakeholder analysis combined with social network analysis provides fine-grained insights into water infrastructure planning processes. Journal of Environmental Management 125: 134-148. Publikation herunterladen Postprint / Verlagsversion
  • Lienert, J., Scholten, L., Egger, C., Maurer, M. (2014) Structured decision making for sustainable water infrastructure planning and four future scenarios. EURO Journal on Decision Processes, special issue on Environmental Decison Making: in press.
  • Zheng, J., Egger, C., Lienert, J. (2014a) Multi-criteria decision analysis for wastewater infrastructure planning incorporating stakeholders’ preferences (working title, in preparation).
  • Zheng, J., Lienert, J. (2014b) Stakeholder preference elicitation and modeling for wastewater infrastructure planning: a comparative evaluation of two elicitation methods (working title, in preparation).

Weitere Informationen

  • Ausblick nachhaltige Wassernutzung für die Praxis: Video
  • Einführung zu SWIP: Video
  • Einführung zu Neue Methoden zur langfristigen Planung von Trinkwasserversorgungs- und Entwässerungssystemen von Max Maurer  (Link)
  • Einführung zu den Sozialwissenschafts- und Entscheidungsanalysemodulen von Judit Lienert (Link)
  • SWIP ist eines der 16 Forschungsprojekte, die durch das Nationale Forschungsprogramm „Nachhaltige Wassernutzung“ (NFP 61) des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziert wurden. Gehe zur Projektbeschreibung
  • NFP 61 @ Eawag. Gehe zur Beschreibung von 8 weiteren NFP-61-Projekten

Media (TV, Radio, Newspaper)

  • Maurer, M. (2014) Radio interview: Im Untergrund drohen Wasserlecks (in German) (There is a threat of underground water leakages). Radio SRF 2 Wissenschaftsmagazin, Anita Vonmont, 22.02.2014, 12.40. Switzerland.
  • Maurer, M., Lienert, J. (2014) Im Untergrund drohen Wasserlecks (in German) (There is a threat of underground water leakages). Technik – Wissen, Schweizer Radio und Fernsehen, Online-Artikel Anita Vonmong, 24.02.2014. Switzerland.

Produkte und Literatur

Details zu den Publikationen finden Sie auf der Eawag Publikationsdatenbank DORA