Blue Diversion Autarky – Abwasserbehandlung ohne Netzanschluss
Autarky im Überblick
Unsere Vision ist es, Menschen ohne Zugang zu sanitärer Versorgung eine Toilette zur Verfügung zu stellen, welche mit einem ansprechenden Design und einer einfachen und komfortablen Bedienbarkeit eine sichere, attraktive und bezahlbare Sanitärlösung bietet.
Ziel des Blue Diversion Autarky Projekts ist die Entwicklung modularer Anlagen für die Behandlung von Abwasser, Urin und Fäkalien direkt in der Toilette am Entstehungsort. Die Anlagen kommen ohne externen Anschluss an das Trinkwasser- und Abwassernetz aus und können somit auch in Gegenden mit mangelnder Infrastruktur eingesetzt werden. Durch die Trennung von Abwasser, Urin und Fäkalien an der Quelle, können die drei Ströme entsprechend ihrer besonderen Eigenschaften behandelt werden. Dies erlaubt eine maximale Rückgewinnung von Ressourcen wie Nährstoffen und Frischwasser.
Das Projekt wird im Rahmen der „Reinvent the toilet Challenge (RTTC)“ durch die Bill & Melinda Gates Stiftung (BMGF) gefördert. Das Projekt Blue Diversion Autarky befindet sich momentan in seiner zweiten Projektphase. Blue Diversion Autarky ist die Fortführung des Projekts Blue Diversion.
Leitlinien
Sicherheit & Komfort
Die Blue Diversion Autarky-Toilette bietet die Sicherheit und den Komfort einer modernen wassergespülten Toilette ohne der Notwendigkeit eines Wasser- und Kanalisationsanschluss.
Trennung am Entstehungsort
Durch die separate Behandlung von Fäkalien, Urin und Wasser ist es möglich, Krankheitserreger unschädlich zu machen, Nährstoffe zurückzugewinnen und Wasser sowohl zum Spülen als auch zum Hände waschen wiederaufzubereiten.
Modularisierung
Ein modularer Aufbau ermöglicht eine breite Palette von Anwendungen. Die einzelnen Module können integriert, separat (Beispiel Handwaschstation) oder mit anderen Technologien kombiniert verwendet werden.
Forschungsschwerpunkte
Blue Diversion Autarky basiert auf der getrennten Behandlung von Abwasser, Urin und Fäkalien. In der Wasserbehandlung stellt ein Multibarrierenansatz sicher, dass das Wasser für die Wiederverwendung jederzeit sicher ist. In einem biologischen Behandlungsverfahren bauen Mikroorganismen die Verschmutzung aus Seife, Urin und Fäkalien ab. Das Wasser wird anschliessend durch eine Ultrafiltrationsmembran filtriert. Mit der Hilfe eines Aktivkohlefilters und einer elektrochemischen Behandlung (Elektrolyse) des Wassers werden letzte Spuren organischer Verunreinigungen beseitigt und das Wasser desinfiziert. Im Anschluss ist es bereit zum Händewaschen und Spülen wiederverwendet zu werden. Die Urinbehandlung setzt sich aus zwei Prozessen zusammen. Durch die Stabilisierung des frischen Urins mit Kalziumhydroxid werden sowohl übler Geruch und Nährstoffverlust verhindert, als auch pathogene Keime abgetötet. Anschliessend wird das anteilige Wasser verdunstet. Übrig bleibt ein Konzentrat verschiedener organischer und anorganischer Nährstoffe, welche als Dünger weiterverwendet werden können. Die Fäkalienbehandlung basiert auf dem Prinzip der hydrothermalen Oxidation (HTO). Unter hoher Temperatur und hohem Druck erfolgt dabei die direkte Aufspaltung in die Endprodukte Kohlendioxyd, Wasser und ausgefällte anorganische Feststoffe.
Wir haben die Blue Diversion Autarky Toilette vor Kurzem in einem 14-Personen Haushalt in einer peri-urbanen Zone von Durban, Südafrika, getestet. Das Toilettensystem hat in diesem Kontext sehr gut funktoniert und produzierte genügend Wasser für die Toilettenspülung. Die erfolgreiche Einführung neuartiger Sanitärtechnologien hängt jedoch nicht nur von der technischen Funktionalität ab, weshalb der Feldtest von einem sozialwissenschaftlichen Team begleitet wurde. Die Resultate dieser sozio-technischen Auswertung sowie eine detaillierte Auswertung der Wasseraufbereitungstechnologie sind in Open Access Publikationen verfügbar.
Publikationen
Mehr zu Wasserbehandlung
Das verwendete Wasserbehandlunggsystem, die sogenannte Wasserwand, erlaubt die Rückgewinnung und Wiederverwendung von Handwaschwasser und Toilettenspülwasser (vom überwiegenden Teil Urin und Fäkalien getrennt). Ein Multibarrierenansatz mit vier Behandlungsstufen stellt sicher, dass das Wasser für die Wiederverwendung sicher ist.
- Das Herzstück der Behandlung bildet ein belüfteter Bioreaktor, in dem Verunreinigungen, resultierend aus Seife, Urin und Fäkalien von Mikroorganismen in einer ersten Stufe abgebaut werden.
- Als zweite Stufe wird das Wasser anschliessend mit Hilfe der Schwerkraft durch eine Ultrafiltrationsmembran filtriert. Die Porengrösse der Membran ist geringer als jene von Bakterien und den meisten Viren. Das gefilterte Wasser ist daher mikrobiell sicher.
Die Kombination aus biologischer Behandlung und Membranfiltration führt ohne Reinigung zum Wachstum eines Biofilms auf der Membran. Dieser Effekt ist bei einer schwerkraftbetriebenen Membran (Englisch: gravity-driven membrane, GDM) erwünscht, da der Biofilm zusätzlich zum Abbau von organischem Kohlenstoff beiträgt. Insgesamt erreicht das GDM-System einen Kohlensstoffabbau von etwa 95%.
Das filtrierte Wasser wird in einem Frischwassertank gelagert. Zwei zusätzliche Behandlungsstufen stellen sicher, dass keine Wiederverkeimung stattfindet.
- Die dritte Stufe, ein Aktivkohlerfilter, entfernt Spuren von organischer Verschmutzung im Frischwassertank durch Adsorption.
- Die vierte und letzte Stufe, eine Elektrolysezelle, bringt eine zusätzliche Verringerung der Konzentration von organischem Kohlenstoff und produziert zusätzlich freies Chlor. Beides trägt dazu bei, das Wachstum von pathogenen Keimen während der Lagerung des Wassers zu verhindern.
Aktuelle Aktivitäten
Mit dieser Konfiguration konnten wir eine Klein-Serie Wasserwand-Prototypen zur Rückgewinnung von Handwasch- und Spülwasser entwickeln. Diese Prototypen wurden im Labor ausgiebig getestet. Unter Laborbedingungen entfernten die Prototypen zuverlässig Pathogene, Nährstoffe, Geruch und Farbe aus dem rückgewonnenen Wasser. Allerdings werden ausserhalb des Labors bedeutend grössere Schwankungen der Anzahl Nutzer, der Wasserzusammensetzung und der externen Bedingungen erwartet. Daher setzen wir die Wasserwand zur Zeit realen Bedingungen in unterschiedlichen Anwendungen aus.
In einem ersten Feldversuch im Sommer 2018 konnten wir zeigen, dass die Wasserwand in einer öffentlichen Grünanlage in der Stadt Zürich bis zu 150 Nutzer pro Tag mit sicherem Handwaschwasser versorgen kann. Eine weitere Wasserwand wird zur Zeit auf dem Areal der Eawag als Teil eines kompletten Toilettensystems getestet. Bis jetzt war das System in der Lage, aus Abwasser mit erhöhten Mengen von Urin und Fäkalien wieder Handwaschwasser rückzugewinnen. E. coli (ein Indikatororganismus für fäkale Verunreinigungen) wurde zu keinem Zeitpunkt im behandelten Wasser festgestellt. Die nächste Runde Feldversuche steht schon vor der Tür: im Februar 2019 werden eine Handwaschstation und ein komplettes Toilettensystem getestet und den Bewohnern einer Township in Durban (Südafrika) zur Verfügung gestellt. Diese Tests sollen einen vertieften Einblick in den langfristigen Betrieb des Systems in einem solchen Kontext geben.
Update: wir haben die Resultate unserer Feldtests in der Schweiz und in Südafrika veröffentlicht. Die Publikation ist unter folgendem Link frei zugänglich: https://doi.org/10.1016/j.wroa.2020.100051.
Eine Wasserwand als Teil der kompletten Blue Diversion Autarky Toilette. Die biologische Behandlung findet im unteren Tank statt, wobei die Ultrafiltrationsmembran auf dem Boden des Tanks sitzt. Der Aktivkohlefilter und die Elektrolyseeinheit befinden sich im oberen Tank.
Publications
Mehr zu Urinbehandlung
Zur Behandlung des in der Toilette separierten Urins sind zwei Verfahren erforderlich: die Stabilisierung des Urins und die Entfernung des massgeblichen Teil des Wassers.
Hauptziel der Autarky Urinstabilisierung ist die Verhinderung der Harnstoffhydrolyse, bei der Harnstoff zu flüchtigem Ammoniak und Kohlendioxid umgewandelt wird. Durch die Zugabe von Kalziumhydroxid zum frischem Urin steigt der pH auf Werte über 12 und verhindert somit eine mikrobielle Harnstoffhydrolyse.
Zusätzlich tötet der hohe pH-Wert Krankheitserreger ab und verhindert biologische Prozesse, die unangenehmen Geruch produzieren. Bei der Zugabe von Kalziumhydroxid zum Urin wird nur etwa die Menge gelöst, welche zur Erreichung des hohen pH-Werts benötigt wird. Dies ermöglicht die Bereitstellung eines Reagenzepots im Stabilisierungsreaktor; teure und komplizierte Dosierungsmechanismen werden dadurch überflüssig. Darüber hinaus ist Kalziumhydroxid, auch bekannt als Löschkalk, ein kostengünstiger Zusatzstoff und weltweit einfach erhältlich.
Die direkte Anwendung von menschlichem Urin als Dünger ist in vielen ländlichen Gebieten rund um die Welt üblich. Der hohe Wassergehalt des Urins - egal ob stabilisiert oder nicht - erfordert jedoch eine erhebliche Speicherkapazität und kann die Sammlung und den Transport zu den landwirtschaftlich genutzten Feldern starkt verteuern. Die Volumenreduzierung mindert nicht nur die Kosten für Lagerung und Transport, sondern könnte auch die Feldanwendung des Düngers in seiner konzentrierten Form erleichtern. Standardmässige Verfahren zur Volumenreduktion sind meistens energieintensive Prozesse, da sie eine hohe Temperatur (Destillation) oder hohen Druck (Umkehrosmose) erfordern.
Eine Alternative zu diesen Prozessen bietet unser Ansatz, das Volumen des Urins durch erzwungene Konvektion zu reduzieren. Der Verdunstungsreaktor besteht aus einem System aus gestapelten Flachbehältern, um eine grosse Oberfläche zu erzeugen. Ventilatoren, die einen hohen Luftstrom erzeugen, beschleunigen die Verdunstung des Wassers aus dem stabilisierten Urin. Die Abluft wird durch einen Aktivkohlefilter geleitet, wodurch die Emission von organischen Verunreinigungen oder Gerüchen verhindert wird.
Einmal im Monat ist ein Service des System nötig. Die Aufgaben sind das Nachfüllen des Kalziumhydroxiddepots und die Ernte des hergestellten Endprodukts. Das Konzentrat aus anorganischen und organischen Nährstoffen kann in der Landwirtschaft als Dünger verwendet werden.
Aktuelle Aktivitäten
In der Vergangenheit wurden die Stabilisierungs- und Verdunstungsreaktoren umfangreichen Tests unterzogen. Diese Tests wurden durch Labortests bestimmter Teilprozesse und eine Computersimulation des Systems unterstützt. Auf der Grundlage der gesammelten Informationen wurden die beiden Reaktoren einer umfassenden Neugestaltung unterzogen, die eine erhöhte Verdunstungseffizienz bei gleichzeitiger Verringerung der Gesamtgrösse ermöglichte. Ein weiterer Schwerpunkt des Redesigns war die Integration von Serviceeinrichtungen, beispielsweise zum Ernten des produzierten Nährstoffkonzentrats.
Zur Validierung der Technik in realen Settings wurden mehrere Feldversuche über ein bis vier Monate durchgeführt. Auf dem Eawag Campus in Dübendorf (Schweiz), sowie in einem Grosshaushalt einer Township in Durban (Südafrika) fanden tests des Urinmoduls als Bestandteil des gesammten Autarky Toilettensystems statt. Als eigenständige Behandlungseinheit wurden weitere Feldversuche des Urin-Moduls, angegliedert an ein mobiles Tinihouse (Au, Schweiz) und auf einer Berghütte (Leglerhütte, Schweiz) durchgeführt.
Update: Technische Detaills und alles über die Feldversuche gibt es nun in unserer letzten Publikation (open-access) nachzulesen: https://doi.org/10.1016/j.wroa.2021.100124
Publications
Decrey, L., and Kohn, T. (2017) Virus inactivation in stored human urine, sludge and animal manure under typical conditions of storage or mesophilic anaerobic digestion. Environmental Science: Water Research & Technology.
Antonini, S., et al. (2012). "Solar thermal evaporation of human urine for nitrogen and phosphorus recovery in Vietnam." Sci Total Environ 414: 592-599.
Pahore, M. M., et al. (2010). "Rational design of an on-site volume reduction system for source-separated urine." Environ Technol 31(4): 399-408.
Mehr zu Fäkalienbehandlung
In der Blue Diversion Autarky-Toilette werden die Fäkalien vom Spülwasser getrennt und in einem Behälter am Boden der Toilette gesammelt. Fäkalien können Krankheitserreger enthalten und müssen rasch inaktiviert werden, um anaerobe Zersetzung und die damit verbundene Emission unangenehm riechender Gase zu vermeiden.
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Bei unserem Ansatz wird das im Fäkalschlamm enthaltene organische Material vollständig zu Kohlendioxid, Wasser und Mineralien wie Phosphatsalzen mineralisiert. Die restlichen Ströme sind Abgas und eine Mischung aus Wasser und Mineralien. Das Abgas enthält hauptsächlich Stickstoff, Kohlendioxid und Sauerstoff. Diese Mischung kann sicher in die Atmosphäre abgegeben werden. Der wässrige Strom kann als Düngemittel verwendet werden.
Der zur Behandlung der Fäkalien verwendete Prozess heisst hydrothermale Oxidation (HTO). Der Fäkalschlamm wird dabei mit Luft gemischt und unter hohem Druck auf über 400 ° C erhitzt. Unter diesen Bedingungen zersetzt sich der Schlamm und wird vollständig zu Kohlendioxid und Wasser oxidiert. Das im Schlamm enthaltene Wasser verdampft nicht, sondern vermischt sich mit der Luft und stellt eine geeignete Reaktionsumgebung für eine Umwandlung des organischen Materials innerhalb nur weniger Minuten.
Aktuelle Aktivitäten
Um den Prozess der hydrothermalen Oxidation besser zu verstehen, entwickeln wir ein umfassendes Computermodell des Reaktors. Dieses Computermodell wird mit Daten aus Experimenten versorgt, die in kleinen Autoklaven mit echtem Fäkalschlamm durchgeführt werden. Wir haben dabei festgestellt, dass die Oxidationsreaktion bei Temperaturen über 300 ° C schnell und bei 400 ° C bereits innerhalb weniger Minuten vollständig abläuft.
Wir arbeiten zur Zeit an der Verbesserung der dritten Prototypen-Generation des sogenannten FOX-Reaktors (für Fäkalienoxidation). Dieser soll bald im Rahmen eines Feldversuches mit richtigen Nutzern getestet werden. Daneben arbeiten wir daran, den FOX-Reaktor kompakter zu bauen, damit er in Zukunft als Teil der kompletten Blue Diversion Autarky Toilette getestet werden kann.
Publications
Hübner, T.; Roth, M.; Vogel, F. (2016). Hydrothermal oxidation of fecal sludge: experimental investigations and kinetic modeling, Ind. Eng. Chem. Res. 55 (46), pp.11910-11922
Mangold, F.; Pilz, St.; Bjelić, S.; Vogel, F. (2019). Equation of state and thermodynamic properties for mixtures of H2O, O2, N2, and CO2 from ambient up to 1000 K and 280 MPa. The Journal of Supercritical Fluids, Volume 153, 104476
Über uns
Das Blue Diversion Autarky Team besteht aus Forschern und Experten von der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag), dem Paul Scherrer Institut (PSI), der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und von EOOS. Das Projekt wird von einem Beirat bestehend aus sechs internationalen Wirtschaftsunternehmen unterstützt. Die Finanzierung erfolgt durch die Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF).
Partner Projekte
Blue Diversion Toilet - eine attraktive, sichere und erschwingliche nachhaltige Sanitärlösung
Vuna-Nährstoffrückgewinnung aus Urin
Nest - Gemeinsam an der Zukunft bauen