Abteilung Umweltsozialwissenschaften
Umgang mit Spitalabwasser
Mikroverunreinigungen (z. B. Pharmazeutika) werden zunehmend in Gewässern gefunden: ihre Entfernung in konventionellen Kläranlagen ist unvollständig. Pharmazeutika können schon an der Quelle entfernt werden, indem man technische Massnahmen in Spitälern einführt oder indem man unterschiedliche Stoffströme sammelt. Solche Handlungsoptionen können die Menge an Mikroverunreinigungen wesentlich reduzieren. Dieses Projekt hat sich mit zwei exemplarischen kantonalen Krankenhäusern in der Schweiz befasst, einem allgemeinen Kantonsspital und einer psychiatrischen Klinik. Mit Hilfe einer Multikriteriellen Entscheidungsanalyse (MCDA) wurden 26 Akteure in den Entscheidungsprozess einbezogen. Die Resultate deuten auf eine potenziell hohe Akzeptanz von lokalen Massnahmen an der Quelle hin, wenn das Verhältnis zwischen guter Leistung einer Option zur Entfernung der Pharmazeutika und Kosten vernünftig ist.
Hintergrund
Mikroverunreinigungen (z. B. Pharmazeutika) werden zunehmend in Gewässern gemessen; sie werden nur teilweise in Kläranlagen entfernt. In der Regel besteht grosse Unsicherheit darüber, ob solche Stoffe negative Auswirkungen auf aquatische Ökosysteme haben. Es gibt aber auch Ausnahmen, man weiss zum Beispiel, dass Östrogene (weibliche Hormone) in die Fortpflanzung von Fischen eingreifen können. In solch komplexen Entscheidungssituationen mit hoher Unsicherheit und vielen Beteiligten können Entscheidungen nicht alleine durch die Wissenschaft gefällt werden; es braucht dazu partizipative und transdisziplinäre Ansätze. Beispielsweise sind Technologien, welche Pharmazeutika auf den Kläranlagen entfernen könnten teuer, und letztendlich muss die Gesellschaft entscheiden, ob allfällige Risiken die hohen Kosten rechtfertigen.
Mikroverunreinigungen können entfernt werden indem man neue Technologien auf Kläranlagen einbaut oder aber indem man Massnahmen an der Quelle einführt. Spitäler können eine relevante Punktquelle sein und eine Möglichkeit ist, dort Massnahmen zur Entfernung von Medikamentenresten im Abwasser einzuführen. Als Option kommt die Behandlung des gesamten Spitalabwassers in Frage, aber auch die Behandlung nur eines Teilstromes (z.B. Onkologiestation, um Zytostatika (Krebsmedikamente) zu entfernen). Weiter könnte nur der Urin abgetrennt und behandelt werden, da Urin etwa 60–70% der durch den menschlichen Körper ausgeschiedenen Medikamente enthält. Urinseparierung wurde im Projekt Novaquatis intensiv erforscht. Auf Europäischer Ebene wurde die Entfernung von Medikamentenresten aus Abwasser im Projekt PILLS und noPILLS erforscht.
Dieses Projekt konzentrierte sich auf eine klar definierte Entscheidungssituation: Als Fallstudie wurden ein Kantonsspital (Krankenhaus) und eine kantonale psychiatrische Klinik betrachtet. Eine Multikriterielle Entscheidungsanalyse (MCDA) wurde dazu benutzt, um Expertenwissen (z. B. Kosten, Massenflussanalysen von Pharmazeutika, ökotoxikologisches Risiko, Entfernung von Pathogenen) mit den subjektiven Präferenzen von 26 Akteuren zu kombinieren. Das Beispiel diente auch dazu, generelle Forschungsfragen im Zusammenhang mit der praktischen Anwendung von MCDA bei Umweltproblemen anzugehen.
Vorgehen
Im Kantonsspital wurden 68 technische und organisatorische Entscheidungsoptionen analysiert, und deren 50 in der psychiatrischen Klinik. Eine organisatorische Option war z. B. die separate Sammlung von Urin, technische Optionen waren z. B. die Behandlung des Abwassers mit Aktivkohle, Ozonierung oder Umkehrosmose. Die Vorhersage der Leistung jeder Option wurde von Expertinnen geschätzt, z. B. bezüglich Entfernung von Pathogenen, Reduktion der Menge von Pharmazeutika und ökologisches Risiko – und natürlich auch bezüglich der Kosten. Die Vorhersagen betrafen zusätzlich auch Schätzungen über den Aufwand für Pflegepersonal und Patienten sowie öffentliche Meinung.
Es wurden Interviews mit 26 Akteuren durchgeführt. Diese waren Vertreterinnen und Vertreter der Krankenhäuser, aber auch der Umwelt- und Gesundheitsbehörden. Sie wurden um ihre Meinung bezüglich Kosten-Nutzen-Abwägungen bei dieser Entscheidung gebeten. Die Standardmethode zur Erhebung der Gewichte wurde abgeändert, indem eine ‘Umkehr-Swing Methode’ eingeführt wurde, welche in diesem Fall realistischer zu sein schien. Das MCDA-Verfahren war ein Kompromiss zwischen Zeitaufwand und Ausführlichkeit; und wurde mit sorgfältiger Sensitivitätsanalyse getestet.
Hauptergebnisse
Das allgemeine Spital steuert einen substanziellen Beitrag zur Gesamtlast an Pharmazeutika bei, welche auf der Kläranlage ankommt. Hingegen war der Beitrag der psychiatrischen Klinik in diesem Fall relativ klein. Das weist darauf hin, dass eine sorgfältige Analyse von jedem Einzelfall nötig ist. Die 100 meistgebrauchten Medikamente unterschieden sich stark zwischen den beiden Krankenhäusern, und es kam in dieser Top-100 Liste bei nur 37 Medikamenten zu einer Überschneidung in beiden Spitälern. Nur ein Teil der Top-100 Medikamente trug auch wirklich zum Umweltrisiko der emittierten Pharmazeutika-Mischung bei; spezifisch waren es vier Wirkstoffe (Amiodarone, Ritonavir, Clotrimazole und Diclofenac), die am stärksten zum Risiko beitrugen. Die Menge an Pharmazeutika allein ist folglich nicht aussagekräftig genug, um das Umweltrisiko vorherzusagen.
Beim Vergleich von verschiedenen Entscheidungsoptionen zur Entfernung von Pharmazeutika zeigte die MCDA, dass im allgemeinen Krankenhaus jene technischen Optionen systematisch am besten abschnitten, wenn sie die Gesamtlast an Pharmazeutika entfernen konnten, verglichen mit billigeren Optionen, die nur einen Teil der Pharmazeutika entfernen können. Das Ergebnis war für die psychiatrische Klinik weniger deutlich. Die Resultate über die besten Optionen waren für alle Akteure sehr ähnlich und stabil, obwohl diese individuellen Personen unterschiedliche Präferenzen hatten. Der Einbezug von Akteuren mit MCDA ist vielversprechend und das Feedback der Interviewpartnerinnen und -partner war generell sehr positiv. Die Resultate zeigen, dass der Schutz der Ressource Wasser sehr wichtig ist. Lokale Massnahmen an der Quelle bei Spitälern könnten sich hoher Akzeptanz erfreuen, wenn das Verhältnis zwischen Entfernung von Pharmazeutika und Kosten vernünftig ist.