Schadstoffe im Grundwasser: Mit Machine-Learning blinde Flecken aufdecken

Die Eawag-Forscher Joel Podgorski und Michael Berg haben ein Modell entwickelt, mit dem sich das Risiko von Schadstoffbelastungen im Grundwasser – etwa mit Arsen, Fluorid oder Nitrat – trotz weitreichender Messlücken weltweit ermitteln lässt.

Über 500 Millionen Menschen weltweit haben keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. Sie beziehen ihr Wasser zum Beispiel aus Flüssen und Seen oder aus Grundwasserbrunnen – und gefährden damit ihre Gesundheit. Denn in vielen Weltregionen enthält das Grundwasser von Natur aus gesundheitsgefährdende Stoffe, allen voran Arsen oder Fluorid. Und in vielen der betroffenen Gebiete wird das Grundwasser nicht auf solche natürlich vorkommende, sogenannte geogene Schadstoffe untersucht. Wie also die Schadstoffbelastung und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung bestimmen, wenn kaum Messdaten vorhanden sind?

Michael Berg, Leiter der Eawag-Abteilung Wasserressourcen und Trinkwasser, und sein Kollege Joel Podgorski haben einen Weg gefunden, dieses Problem zu lösen: Machine Learning. Sie haben ein Modellierungsverfahren entwickelt, mit dem sich, ausgehend von den vorherrschenden Faktoren wie etwa Klima und Geologie, flächendeckend berechnen lässt, ob ein geogener Schadstoff im Grundwasser den von der Weltgesundheitsorganisation WHO definierten Grenzwert übersteigt. Dieses Modell trainieren die Forschenden mit den begrenzt vorhandenen Messdaten. So lernt der Computer anhand von statistischen Algorithmen, bei welcher Konstellation von Faktoren Grenzwerte überschritten werden – und kann daraus Rückschlüsse auf jene Gebiete ziehen, für die keine Messdaten vorhanden sind. Das Resultat: Eine flächendeckende Gefahrenkarte, die zeigt, in welchen Gebieten eine starke Belastung des Grundwassers zu erwarten ist.

Bevölkerungsdichte und Wassernutzung ausschlaggebend

In einem zweiten Schritt fliessen Bevölkerungszahlen und Daten zum Wassernutzungsverhalten in die Berechnung mit ein. «Die Stärke unseres Modells liegt darin, dass wir nicht nur die Risikogebiete bestimmen können, sondern auch wie viele Menschen dort betroffen sind – wo also Massnahmen am dringendsten nötig sind und die grösste Wirkung haben», sagt Michael Berg. Die Vorhersagen sind für die Behörden in den betroffenen Regionen daher äusserst wertvoll. «China beispielsweise hat auf dieser Grundlage bei der landesweiten Grundwasser-Messkampagne jene Gebiete priorisiert, die laut unserer Modellierung am stärksten von Arsen belastet sind», so Berg, «und wie sich herausstellte, trafen unsere Vorhersagen praktisch überall zu.»

Arsen-Karte: Einst ein beliebtes Mittel für Giftmorde, ist Arsen heute Ursache einer schleichenden Massenvergiftung. Rund 220 Millionen weltweit konsumieren tagtäglich mit Arsen belastetes Grundwasser, wie aus den Modellierungen der Eawag hervorgeht. Der geogene Schadstoff ist global weit verbreitet. Zu einer Gefahr wird er dort, wo viele Menschen unbehandeltes Grundwasser zu sich nehmen: ganz besonders in Teilen Indiens, Pakistans, Südostasiens und Chinas, aber punktuell auch in Ländern Afrikas, den USA, Mexiko oder Argentinien.
(Karte: Joel Podgorski, Michael Berg (2020). Global threat of arsenic in groundwater. Science, 368, 845–850)

Mit derselben Methodik können Podgorski und Berg nicht nur natürlich vorkommende, sondern auch vom Menschen verursachte Schadstoffe im Grundwasser vorhersagen. Aktuell befassen sie sich mit der Nitratbelastung des Schweizer Grundwassers. Die Nitratkonzentration wird an 500 Standorten in der Schweiz regelmässig erhoben – dazwischen gibt es viele blinde Flecken. Die Forschenden sind daran, ein Vorhersagemodell basierend auf Bodentypen, Landschaftsformen, landwirtschaftlicher Kultur und Siedlungsdichte zu entwickeln. Ziel: Die Nitrat-Hotspots aufdecken und so die Grundlage für gezielte Massnahmen schaffen. Berg: «Solche Karten bieten auch eine Entscheidungsgrundlage dafür, wo neue Brunnen fürs Monitoring sinnvollerweise gebohrt werden sollten. Oder ob lokal auf den Anbau bestimmter Kulturen, die besonders düngeintensiv sind, idealerweise verzichtet werden sollte.»

Fluorid-Karte: Als Zusatz in Zahnpasta schützt es unsere Zähne vor Karies, im Grund- und Trinkwasser sind zu hohe Konzentrationen jedoch Grund zur Sorge: Fluorid gehört weltweit zu den häufigsten geogenen Schadstoffen. Weite Teile Afrikas weisen dem Eawag-Modell zufolge mit erhöhter Wahrscheinlichkeit gesundheitsbelastende Mengen von Fluorid im Grundwasser auf. Ebenfalls stark betroffen sind der Mittlere Osten, Zentralasien, China, Indien und der Osten Brasiliens. Einige Hotspots finden sich ausserdem im Südwesten der USA und in Australien – dort sind allerdings kaum Menschen gefährdet, weil sie kein unbehandeltes Grundwasser trinken. Ganz anders in Afrika und Asien, wo viele Menschen fluoridbelastetes Grundwasser zu sich nehmen müssen. Gemäss den Modellrechnungen dürften 180 Millionen Menschen weltweit betroffen sein.
(Karte: Joel Podgorski, Michael Berg (2022). Global analysis and prediction of fluoride in groundwater. Nature Communications, 13, 4232)

Die Grundwasser-Assessment-Plattform GAP

Die Eawag stellt die globalen und regionalen Gefahrenkarten der Grundwasserbelastung durch Arsen, Fluorid und andere geogene Schadstoffe online auf gapmaps.org frei zur Verfügung. Die Grundwasser-Assessment-Plattform GAP, von der Eawag mit finanzieller Unterstützung der Schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) entwickelt, ermöglicht es Fachleuten und Behörden aus der ganzen Welt zudem, mit dem Eawag-Modell eigene Daten zu visualisieren und selbst Risikokarten der Arsen- und Fluoridbelastung zu erstellen.

Ein Beitrag zu den SDGs:


Erstellt von Isabel Plana für das Infotag-Magazin 2023