Bedrohter Lebensraum Wasser
Ihre Ausdehnung über die vier grössten Gewässereinzugsgebiete Europas hinweg macht die Schweiz zu einem europäischen Hotspot der Fischbiodiversität. Unser Land beherbergt insbesondere eine grosse Dichte endemischer Arten, die nirgendwo sonst vorkommen. Doch diese Vielfalt ist bedroht. Zwei Drittel aller Schweizer Fischarten stehen auf der Roten Liste – alleine unter den Felchen sind neun Arten, die nur hier vorkamen, bereits ausgestorben.
Das Problem betrifft aber nicht nur die Schweiz: Weltweit ist ein Drittel der Süsswassertierarten vom Aussterben bedroht. Die überwachten Süsswasserpopulationen sind seit 1970 um 83 Prozent zurückgegangen – damit geht die Biodiversität im Süsswasser deutlich schneller verloren als an Land. Auch viele Amphibien und Insekten, die in und an Gewässern leben, sind stark bedroht oder stehen kurz vor dem Aussterben. Kommt hinzu, dass viele Arten und ihr Gefährdungsstatus noch nicht einmal bekannt sind, so ist etwa die Biodiversität im Grundwasser kaum erforscht. Die Dringlichkeit zu handeln, wird dabei oft unterschätzt.
Die Nutzung der Natur durch den Menschen gefährdet
die Biodiversität
Der Grund für den Verlust der Biodiversität: Die Nutzung der natürlichen Ökosysteme war über lange Zeit nicht nachhaltig. Viele Gewässer wurden verbaut und begradigt, trockengelegt und zerstückelt, durch die Stromproduktion beeinträchtigt und durch Schadstoffe und Dünger belastet. Mit diesen neuen Lebensumständen können nicht alle Arten umgehen. So geht die Biodiversität verloren – auf der Ebene der Lebensräume, der Arten und ihrer Gene.
Das Thema steht seit Jahrzehnten auf der Agenda der Eawag. Im In- und Ausland widmen sich Forschende den Fragen, wie und wo sich Biodiversität in aquatischen Lebensräumen verändert und wie sie geschützt werden kann. Denn der Erhalt der Biodiversität ist auch für das Überleben der Menschheit elementar. Intakte Gewässer – ob Flüsse, Seen oder Grundwasser – sind zentral für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Sie bieten Schutz vor Naturgefahren, sichern Nahrung, saubere Luft und Trinkwasser. Darüber hinaus sind sie wichtige Ressourcen, auf die Wirtschaftszweige wie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion angewiesen sind.
Vom Wissen zur Umsetzung
Die Eawag hat mit ihrer Arbeit einen entscheidenden Beitrag geleistet, dass hierzulande in den letzten Jahren einiges für die Biodiversität erreicht werden konnte: Die Gewässerverschmutzung durch Nährstoffe – eine der Hauptursachen für den Biodiversitätsverlust – ist deutlich zurückgegangen, und durch die Sanierung zahlreicher Schweizer Seen wurde die Lebensraumqualität für viele Lebewesen verbessert. Eawag-Forschende waren massgeblich an der Entwicklung von Methoden zur biologischen und chemischen Gewässerbewertung beteiligt. Sie haben dazu beigetragen, dass im Bereich der Pflanzenschutzmittel substanzspezifische Umweltqualitätskriterien in der Gewässerschutzverordnung verankert wurden. Das hat den Weg für eine präzisere Beurteilung der Wasserqualität und damit für zielgerichtetere Massnahmen frei gemacht. Dank eines an der Eawag entwickelten Messgeräts lassen sich Schadstoffe in Gewässern automatisch und über Wochen hinweg im Feld messen und in Echtzeit auf dem Smartphone verfolgen, ohne vor Ort anwesend sein zu müssen.
Ausserdem hat die Eawag die nötigen Grundlagen gelegt, um mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe in den Kläranlagen die Elimination von Mikroverunreinigungen gesetzlich zu verankern. Zusammen mit den vier Forschungsinstituten des ETH-Bereichs und dem Bundesamt für Umwelt haben Eawag-Forschende Lösungsvorschläge für die Wiederherstellung der Sedimentdynamik und der Vernetzung von Lebensräumen erarbeitet. Das erlaubt, Hochwasserschutz- und Revitalisierungsmassnahmen aufeinander abzustimmen.
Neue Herausforderungen meistern
Doch die Herausforderungen bleiben. Die diffusen Einträge aus der Landwirtschaft, insbesondere Stickstoff, aber auch Phosphor und Pflanzenschutzmittel, wurden bis heute nur ungenügend reduziert. Zudem geraten die Gewässer immer mehr durch die Auswirkungen der Klimaveränderung oder eingeschleppte invasive Arten unter Druck und werden durch den Eintrag von Mikroverunreinigungen belastet. Das Engagement und die Expertise der Eawag sind daher weiterhin dringend notwendig. Um Ökosysteme zu erhalten, zu vernetzen, grossflächig wiederherzustellen und nachhaltig zu nutzen, arbeiten Eawag-Forschende mit den zuständigen Ämtern von Gemeinden, Kantonen und Bund sowie mit Fachleuten aus der Praxis, zum Beispiel aus dem Energiesektor, zusammen. Oft sind sie dabei führend in der Entwicklung neuer Methoden und Ansätze. So wird die Biodiversität vermehrt mit dem Einsatz moderner Methoden wie Umwelt-DNA und Fernerkundung und der Unterstützung durch künstliche Intelligenz untersucht. Die Erkenntnisse fliessen letztlich in zahlreiche praktische Anwendungen und Gesetze.