News
«Copy-Paste» eines Gens ermöglichte Stichlingen, Süssgewässer zu besiedeln
3. Juni 2019 |
Das Prinzip der adaptiven Radiation nahm bereits Darwin als wichtigen Prozess in der Evolution an. Es besagt, dass sich Individuen einer Art aus Konkurrenzgründen neue Nischen suchen, wo sich ihre Populationen durch Selektionsdruck an die Umweltbedingungen anpassen. So kann sich eine einzige Ursprungsart in viele Arten mit unterschiedlichen Nischen evolutionär auffächern. Allerdings gelingt es bei weitem nicht allen Arten innerhalb einer Familie sich an neue Umgebungen anzupassen. Ein klassisches Beispiel hierfür findet sich bei Stichlingen.
Der Dreistachlige Stichling lebt vor allem in marinen Gewässern. Im Laufe der Zeit erschloss er auch Süssgewässer und fächerte sich in verschiedene Ökotypen auf. Anders seine Schwesterart, der Japanische Meeresstichling, dem es nie gelang, Süssgewässer zu besiedeln.
Wieso es manche Arten schaffen, sich an stark veränderte Umweltbedingungen anzupassen und andere nicht, ist eine zentrale Frage der Evolutionsbiologie. Und war etwa bei den Stichlingen bisher unbeantwortet. Nun hat ein Team von Biologen der Eawag, der Universität Bern und vom National Institute of Genetics in Shizuoka (Japan) einen Hinweis im Erbgut der Fische entdeckt: Ein Gen namens «Fads2». Dieses Gen wandelt für Organismen unbrauchbare Fettsäuren in wertvolle Fettsäuren um, vor allem in die essentielle Docosyhexaenoicsäure (DHA). Das ist im Süsswasser besonders wichtig, weil dort anders als im Meer die Nahrung der Stichlinge praktisch keine DHA enthält. Deshalb muss ein Enzym, das vom Gen Fads2 kodiert ist, die Säure herstellen. Andernfalls verhungern die Fische im Süsswasser.
Ein Meeresstichling in einem Dünengewässer einer dänischen Nordseeinsel: Die Stichlinge machen dort ihre Nester, die Jungfische wandern aber bald nach dem Schlüpfen wieder ins Meer und kommen erst zum Brüten wieder zurück. Diese Fische haben drei (Männchen) bzw. vier (Weibchen) Kopien des Fads2 Gens. Das reicht, um einigermassen im Süsswasser auszukommen. (Foto: Ole Seehausen, Eawag)
Zufällige Duplikationen
In Laborexperimenten, in denen Jungfische mit Süsswassernahrung aufgezogen wurden, wuchsen Dreistachlige Meeresstichlinge heran, während Japanische Meeresstichlinge verhungerten. Mithilfe von Genanalysen fanden die Forschenden heraus, dass der Japanische Meeresstichling, und auch der verwandtschaftlich etwas entferntere Schwarzpunkstichling, jeweils nur eine einzige Kopie des Gens in ihrem Erbgut besitzen, während Dreistachlige Stichlinge deren mehrere haben. Fügten die Forschenden dem Erbgut des Japanischen Meeresstichlings im Labor aber zusätzliche Kopien von Fads2 hinzu, überlebten die Nachkommen der Japanischen Meeresstichlinge mit der Süsswassernahrung.
«Was meine japanische Kollegin Asano Ishikawa im Labor auslöste, gelang den Dreistachligen Stichlingen in der Natur rein durch Zufall», sagt Ole Seehausen, Biologe an der Eawag und Universität Bern. Im Erbgut wurde das Gen vor langer Zeit zufälligerweise dupliziert, wodurch es den Dreistachligen Stichlingen später gelang, Süssgewässer zu besiedeln.
Im Laufe der weiteren Anpassung an das Leben in Süssgewässern kam es sogar zu weiteren Duplikationen. So weisen die ältesten Süsswasserpopulationen von Dreistachligen Stichlingen, die lange vor der letzten Eiszeit entstanden sind, bedeutend mehr Fads2 Kopien auf als die Meerespopulationen und die vielen jungen Populationen, die erst nach der Eiszeit entstanden sind.
Oftmals nachteilige Effekte
Meistens aber sind Genmutationen nachteilig. Laut den Forschenden ist es vor allem bei Duplikationen sehr selten der Fall, dass sie zu etwas Vorteilhaftem führen. Denn ein Gen kann zum Beispiel nur unvollständig kopiert oder an einem falschen Ort wieder eingefügt werden. Man muss also erwarten, dass es sehr selten ist, dass eine vorteilhafte Genduplikation auftritt. Deshalb ist es auch nicht erstaunlich, dass die Verwandten des Dreistachligen Stichlings wie der Japanische Stichling nur eine Kopie des Fads2 Gens haben und im Meer bleiben mussten.
Die Studie entstand aus einer Kooperation von drei Forschungsabteilungen der Eawag, der Universität Bern sowie japanischen Forschenden des National Institute of Genetics in Shizuoka um Dr. Asano Ishikawa und Dr. Jun Kitano.
Originalpublikation
A key metabolic gene for recurrent freshwater colonization and radiation in fishes.