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Die Schwemmkanalisation ist nicht mehr zukunftsfähig

17. August 2023 | Volker Leise & Andri Bryner

Die Ableitung von verdünntem Abwasser über die Kanalisation in zentrale Kläranlagen ist nicht mehr zukunftsfähig. Diese Ansicht vertreten Umweltingenieurinnen und -ingenieure des Wasserforschungsinstituts Eawag und der ETH Zürich im Magazin „Globe“. Die Schwemmkanalisation zähle zwar zu den grossen Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts, stosse aber zusehends an ihre Grenzen, sagte Max Maurer, Professor für Systeme in der Siedlungswasserwirtschaft an der ETH und der Eawag.

«Dass wir Kot, Urin und leicht verschmutztes Grauwasser aus Bad und Küche mit Trinkwasser verdünnen, um sie durch die Kanalisation zu transportieren, ist eigentlich absurd», betonte auch Kai Udert, Professor am Institut für Umweltingenieurwesen an der ETH Zürich und Senior Scientist an der Eawag. Abwasser sei einer der letzten linearen Abfallströme. «Alles, ob schmutzig oder sauber, landet im selben Topf und wird entsorgt – das ist ineffizient und schafft etliche Probleme, die man seit Jahren zu beheben sucht», zitiert ihn das Magazin.

„Abwasser ist einer der letzten linearen Abfallströme.“
Kai Udert

Als Experte für Verfahrenstechnik sieht Udert Abwasser als wertvolle Ressource. Durch die Schwemmkanalisation würden viel Wasser, Energie und wertvolle Nährstoffe verschwendet, die die Umwelt schädigen, wenn sie nicht in den Kreislauf zurückgeführt werden, erklärte er. Zudem nähmen die Herausforderungen zu. Der Klimawandel, eine schnell alternde Infrastruktur, die wachsende Bevölkerung, die zunehmende Verstädterung und steigende Anforderungen für Kläranlagen, neue Mikroverunreinigungen zu entfernen, setze die Abwasserwirtschaft unter Druck.
 

Neubau und Erneuerung von Schwemmkanalisationen im Siedlungsgebiet sind komplexe Bauprojekte und mit sehr hohen Kosten verbunden, wie hier 1973 in Bregenz.
(Foto: Helmut Klapper, Vorarlberger Landesbibliothek;
CC 4.0)

Plädoyer für einen Paradigmenwechsel

Maurer und Udert plädieren laut Magazin „Globe“ für einen Paradigmenwechsel in der Siedlungswasserwirtschaft hin zu einer stärker dezentral organisierten Abwasserbehandlung auf Basis einer modularen Wasserinfrastruktur. Damit soll das Siedlungswasser effizienter und effektiver bewirtschaftet werden. «Wir sehen als ergänzende Alternative kleine, hocheffiziente, dezentrale Kläranlagen, die Abwässer flexibler und vor Ort reinigen», sagte Maurer dem Magazin. Die Verfahren hierfür würden seit Jahren an der Eawag, unter anderen von den beiden Forschern mitentwickelt.

Maurer und Udert orientieren sich dabei an drei Prinzipien einer ressourcenorientierten und kreislauffähigen Sanitärversorgung: Stofftrennung an der Quelle (No-Mix), Rückgewinnung von Ressourcen und Dezentralisierung. Wenn Ausscheidungen und Wasser gar nicht erst vermischt würden, liessen sie sich viel einfacher aufbereiten und wiederverwenden. Urin und Fäkalien enthielten Nährstoffe, die als Düngemittel verwendet werden könnten. Nur leicht verschmutztes Grauwasser könne mehrfach aufbereitet und wiederverwendet werden sowie als Wärmeenergiequelle genutzt werden. Dezentralisierung soll aufwendigen Wassertransport in zentral organisierten Leitungsnetzen ersetzen.

Wissen fliesst von Kenia zurück

Im Beitrag zu Wort kommt auch die ehemalige Eawag-Forscherin, Elizabeth Tilley. Sie ist heute Professorin für Global Health Engineering an der ETH Zürich und entwickelt mit ihrer Gruppe bezahlbare und sozial verträgliche Ansätze, welche die Gesundheit der Menschen und die Umwelt schützen. Auch ihre Ansätze sind dezentral: Es brauche dringend dezentrale Lösungen, die erschwinglich, robust und einfach zu bedienen seien, sagt Tilley und erwähnt als Beispiel einen Biogasreaktor, der – aktuell in Versuchen am Viktoriasee in Kenia – Fäkalschlamm behandeln kann und gleichzeitig Gas zum Kochen liefert. Kai Udert betont, dass solche Projekte nicht nur im globalen Süden Zukunft haben: «Die Konzepte, die wir vor 15 Jahren für ärmere Länder entwickelt hatten, werden nun zusehends auch für die Schweiz interessant. Von diesem Wissen profitieren wir heute.»
 

Die an der Eawag entwickelte «Autarky»-Toilette (rechts), welche die Stoffströme Wasser-Urin-Fäkalien gleich an Ort aufbereitet im Feldtest in Durban/Südafrika neben einer Trockentoilette.
(Foto: Lucky Lugogwana)

Die Schweiz als Entwicklungs- und Testmarkt

Maurer und Udert gehen laut «Globe» davon aus, dass in der Schweiz modulare Kläranlagen in Siedlungen schon bald verfügbar werden. Das Forschungsprojekt Comix unter Maurers Co-Leitung habe das Potenzial einer modularen Wasserwirtschaft für die Schweiz untersucht. Der Anteil dezentraler Klärwerke könnte sich demnach langfristig von heute 2,5 auf 50 Prozent erhöhen. Damit hätte die Schweiz die Chance, ihre Wasserinfrastruktur früh klimatauglich zu gestalten und sich als Entwicklungs- und Testmarkt für die modulare Wasserwirtschaft von morgen zu positionieren, hiess es. Hierfür wären jedoch konzertierte Anstrengungen von Forschung, Industrie und öffentlichem Sektor nötig, um in Pilotprojekten die Machbarkeit zu demonstrieren und einen initialen Markt zu schaffen.
 

Titelbild: Kanalisation unter der Bahnhofstrasse in Zürich: Die Kanäle transportieren Schmutzwasser zur Kläranlage. Über das Rohr wird Regenwasser abgeführt.
(Foto: Max Maurer, Eawag, ETH Zürich)
 

Dieser Text beruht auf einem Artikel von Michael Keller im Magazin GLOBE 2/2023 der ETH: Fokus «Wasser - Lebensnotwendig. Umkämpft. Zerstörerisch.»; diese Fassung wurde erstellt von Volker Leise (in EUWID Wasser und Abwasser 28.2023) und Andri Bryner.