News
«Ich habe einfach keine Alternative gesehen»
22. November 2023 |
Was hat Sie zur Eawag geführt?
Das ist lange her. Im Jahr 1999 war ich Oberassistentin an der Professur für Siedlungswasserwirtschaft und Dozentin für Verfahrenstechnik der Abwasserreinigung an der ETH Zürich. Ich hatte mich während meiner Zeit an der ETH intensiv mit dem Thema nachhaltige Entwicklung in der Siedlungswasserwirtschaft befasst – auch in Diskussion mit Kolleginnen und Kollegen an der Eawag. Ich habe mich mit verschiedenen Themen auseinandergesetzt und mich schliesslich dafür entschieden, die Idee der Urinseparierung weiter zu verfolgen.
In 1999 wechselte ich offiziell zur Eawag. Die Direktion hatte den Wunsch, ein Querprojekt zur nachhaltigen Siedlungswasserwirtschaft zu initiieren und mir dafür die Stelle angeboten. Ich hatte schon ein wenig Erfahrung mit solchen Projekten, weil ich ab 1993 im Projektleitungsgremium des Forschungsschwerpunkts war – ein Vorläuferprojekt der Querprojekte. Rückblickend war die Offenheit der Eawag, Neuland zu erforschen, bemerkenswert. Vor allem der damalige Direktor, Alexander Zehnder, und die beiden Vizedirektoren haben an meine Ideen geglaubt, obwohl sie ziemlich quer in der Landschaft standen. Es wurde mir eine spannende Stelle angeboten, aus der dann eine Festanstellung wurde.
Und dann kam Novaquatis?
Richtig. Novaquatis war eines der ersten Querprojekte der Eawag, in dem wir uns sechs Jahre lang transdisziplinär mit der Urinseparierung respektive der NoMix-Technologie als neuem Element der Abwasserreinigung auseinandergesetzt haben. Unser Ziel war und ist es, Gewässer besser vor Nährstoffeinträgen und Mikroverunreinigungen zu schützen und Nährstoffkreisläufe zu schliessen. Novaquatis hat gezeigt, dass die NoMix-Technologie eine gute Alternative zur zentralen Nährstoffelimination ist, hat aber auch die vielen Schwierigkeiten aufgezeigt, diese Ideen in der Praxis umzusetzen.
Der vielleicht wichtigste Erfolgsbaustein war dabei, dass wir die Fragestellungen ganzheitlich betrachtet und am Projekt Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Disziplinen – Sozial-, Natur- und Ingenieurwissenschaften – mitgewirkt haben. Ausserdem arbeiteten wir eng mit der Sanitärindustrie und lokalen Behörden zusammen. Heute ist der Einbezug aller wichtigen Anspruchsgruppen Standard, vor 20 Jahren war dies jedoch noch nicht so etabliert.
«Rückblickend durfte ich einige neue Themen an die Eawag bringen, die dann von Kolleginnen und Kollegen aufgegriffen wurden und heute nicht mehr weg zu denkender Bestandteil des Portfolios sind.»
Gibt es weitere persönliche Highlights?
Da gibt es einige. Nennen möchte ich aber vor allem die Reinvent the Toilet Challenge der Bill & Melinda Gates Foundation, durch die wir ab 2011 gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Abteilungen Siedlungshygiene und Wasser für Entwicklung und der Verfahrenstechnik die Blue Diversion-Toilette einschliesslich der Wasserwand entwickeln konnten, aus der unter der Leitung von Kai Udert ab 2014 die Autarky-Toilette wurde.
Das Projekt hat wieder gezeigt, wie entscheidend die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen und der Einbezug von Stakeholdern ist. Die Mitarbeit von Harald Gründl von EOOS Design hat aus den einzelnen disziplinären Beiträgen der Eawag ein Ganzes gemacht, das auch tatsächlich in Uganda und Kenia getestet werden konnte. Aus den beiden Projekten – Novaquatis und Blue Diversion – kam auch auf vielen Umwegen schliesslich eine neue Toiletten-Generation in Serienproduktion, die an verschiedenen Standorten eingesetzt wird. Solche radikalen Innovationen brauchen einen langen Atem, die richtigen Partner und vor allem einen Arbeitgeber mit viel Geduld. Wir sind ja noch nicht am Ziel.
Rückblickend durfte ich einige neue Themen an die Eawag bringen, die dann von Kolleginnen und Kollegen aufgegriffen wurden und heute nicht mehr weg zu denkender Bestandteil des Portfolios sind. Ein Beispiel ist der Water Hub im NEST-Gebäude von Empa und Eawag, in dem die Entwicklungen der Abteilung Verfahrenstechnik zum Einsatz kommen und wo wir unsere Erfahrungen und unser Wissen in die Industrie und die Praxis bringen. Im Water Hub kann man live erfahren, wie die Abwasserströme direkt an der Quelle getrennt und im Gebäude selbst behandelt werden. Ein weiteres - vielleicht eher indirektes Beispiel - ist das inter- und transdisziplinäre Forschungsprogramm Wings (Water and sanitation innovations for non-grid solutions), das sich unter anderem mit der Frage beschäftigt hat, wie die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in schnell wachsenden Städten flexibel und ressourcen-effizient erfolgen kann.
«Seit Jahrzehnten ist klar, dass wir mit einer wachsenden Weltbevölkerung und dem Klimawandel bewusster mit unseren Ressourcen umgehen müssen.»
Wie kam es, dass Sie von der Urinseparierung bereits so früh so überzeugt waren?
Das war ich gar nicht. Mich hat aber interessiert, wie wir eine nachhaltige Siedlungswasserwirtschaft entwickeln können, die nicht nur für privilegierte Länder funktioniert, die sich die Anlagen und Infrastrukturen leisten können. Ich habe einfach zur Urinseparierung keine Alternative gesehen.
Seit Jahrzehnten ist klar, dass wir mit einer wachsenden Weltbevölkerung und dem Klimawandel bewusster mit unseren Ressourcen umgehen müssen. Wasser und Gewässer sind mitunter die wertvollsten Ressourcen, die wir haben, und Städte mit Wasser zu versorgen und Gewässer vor dem Abwasser zu schützen, ist eine komplexe Aufgabe, die bei uns seit Beginn des 20. Jahrhunderts langsam und stetig perfektioniert worden ist. Ich war und bin der Meinung, dass unsere Siedlungswasserwirtschaft nur in stabilen, wasserreichen und einigermassen wohlhabenden Gesellschaften funktioniert. Ich bin überzeugt, dass wir nur durch die Trennung an der Quelle die Abwasserbehandlung so vereinfachen können, dass sie auch dezentral und schnell überall vorankommen kann. Zudem können Ressourcen einfacher aus den einzelnen Teilen des Abwassers wiedergewonnen werden: Dünger aus Urin, Wasser aus Grauwasser, Energie aus den Feststoffen.
Die Schweiz wäre ein guter Ort, um die Urinseparierung zu perfektionieren: Statt die Kläranlagen auszubauen, um die Stickstoffströme in die europäischen Küstengebiete zu verringern, hätte eine solche Entwicklung eine viel grössere Wirkung weltweit. Ich gehe auch davon aus, dass es für die Schweiz längerfristig günstiger wäre, obwohl neue Technologien am Anfang natürlich immer teurer sind.
Was hat für Sie die Arbeit an der Eawag ausgezeichnet?
Für mich war die Eawag ein guter Ort, um zu forschen, denn Scheitern war erlaubt, was enorm wichtig ist, um innovative Projekte durchzuführen. Wenn man nicht scheitern darf, dann macht man, was sicher funktioniert und vermeidet die grossen Sprünge. Zudem gibt es an der Eawag viele verschiedene Disziplinen, die zusammenwirken, um reale Wirkung zu haben. Es ist schwierig, eine solche Konstellation anderswo zu finden. Dazu gibt es professionelle Supportabteilungen, die für uns alle sehr wichtig sind.
Wie geht es weiter? Haben Sie Pläne?
Ich freue mich sehr auf die freie Zeit, in der ich endlich Gelegenheit haben werde, all die Dinge zu tun, die ich schon lange machen wollte. In den Bergen dem Hochnebel entfliehen, die italienischen Museen ausserhalb der Saison besuchen, meinen Garten pflegen - auch wenn es jedes Wochenende regnet - und vieles mehr. Längerfristig ist es mein Ziel, die isländischen Sagen in der Originalsprache zu lesen. Mich hat die nordische Literatur immer interessiert und ich finde vor allem diese Mittelalterliteratur sehr spannend. Deshalb werde ich als erstes Isländisch lernen, das ziemlich nahe am Altnordischen ist. Isländisch kann man online und bei der Migros lernen – fürs Altnordische müsste ich an die Uni. Das wäre auch sehr spannend, aber erst einmal möchte ich einige Jahre die Freiheit geniessen. Ich war lange genug an die Schul- und Semesterferien gebunden.
Tove Larsen im Portrait
Tove Larsen ist promovierte Chemieingenieurin und seit 1999 Senior-Wissenschaftlerin und später Gruppenleiterin in der Abteilung Siedlungswasserwirtschaft der Eawag.
Nach ihrem Postdoc an der ETH Zürich kam Tove Larsen zur Eawag, wo sie mehrere transdisziplinäre Projekte zu innovativen Technologieentwicklungen im Bereich Siedlungswasserwirtschaft initiierte und leitete. Ihre Hauptinteressen gelten der ressourcenschonenden Abwasserwirtschaft und der transdisziplinären Forschung. Im Jahr 2008 gewann sie mit ihrem Projekt Novaquatis den prestigeträchtigen «swiss-academies award for transdisciplinary research» für ihren visionären, innovativen und integrativen Ansatz im Bereich Siedlungswasserwirtschaft. Im Jahr 2014 gewann sie mit ihrem Projekt Blue Diversion zwei Innovationspreise von der International Water Association (IWA).
Während ihrer Tätigkeit war sie zudem acht Jahre lang Lehrbeauftragte der ETH Zürich für Umweltingenieurwesen und ein Jahr lang Gastprofessorin an der Technischen Universität Dänemark (DTU), wo sie 2017 zur Titularprofessorin berufen wurden. Von 2020–2022 war sie Lehrbeauftragte der ETH Zürich im Departement Architektur.
Als Direktionsmitglied der Eawag hat sie den Forschungsbereich Umwelt-Ingenieurwissenschaft vertreten und damit das Bestreben der Eawag unterstützt, innovative Technologien praxisnah umzusetzen.
Titelbild: Tove Larsen (Foto: Peter Penicka, Eawag)