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Individualismus bei Bakterien: Eine Strategie zum Überleben von schwierigen Zeiten

9. Mai 2016 | Andri Bryner, Fanni Aspetsberger (MPI)

Bakterium ist nicht gleich Bakterium – selbst wenn sie genetisch genau gleich sind. Eine neue Studie zeigt, unter welchen Bedingungen bei Bakterien Individualisten entstehen und wie diese dann das Wachstum der ganzen Gruppe in schwierigen Zeiten aufrechterhalten.

Egal ob Mensch oder Bakterium – unsere Umweltbedingungen bestimmen, wie wir uns entwickeln können. Dabei gibt es zwei grundlegende Probleme: Erstens: Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung, um zu überleben und zu wachsen? Und zweitens: Was mache ich, wenn sich die Umweltbedingungen unerwartet verändern?

Eine Forschergruppe von der Eawag, der ETH Zürich, der EPFL Lausanne und des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen hat nun herausgefunden, dass Bakterienpopulationen besonders viele Individualisten hervorbringen, wenn es nur begrenzt Nährstoffe gibt. Das bedeutet, dass diese Bakterienpopulationen sich nicht nur – wie meist angenommen – im Nachhinein an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Die Individualisten können auch schon im Vorhinein auf solche Veränderungen vorbereitet sein.

Mangel befördert Vielfalt, Vielfalt macht flexibel

In einer aktuellen Veröffentlichung in der Zeitschrift Nature Microbiology zeigen die Forscher um Frank Schreiber, dass einzelne Zellen in Bakteriengruppen, die unter Nährstoffmangel leiden, sehr unterschiedlich reagieren können. Obwohl alle Zellen einer solchen Gruppe genetisch genau gleich sind, gehen sie ganz unterschiedlich mit den Nährstoffen in ihrer Umgebung um. Konkret: Bakterien der Art Klebsiella oxytoca nehmen bevorzugt Stickstoff in Form von Ammonium (NH4+) auf, denn das kostet vergleichsweise wenig Energie. Wenn nicht genügend Ammonium für alle vorhanden ist, beziehen einige Zellen der Gruppe ihren Stickstoff durch Stickstofffixierung aus elementarem Stickstoff (N2), obwohl das deutlich aufwändiger ist. Geht nun das Ammonium plötzlich ganz aus, sind diese Zellen auf den Mangel gut vorbereitet. Auch wenn einzelne Zellen leiden, kann die Gruppe als Ganze weiterwachsen. „Obwohl alle Individuen der Gruppe genetisch identisch sind und den gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt waren, sind die einzelnen Zellen verschieden“, so Schreiber.

Modernste Methoden erlauben detaillierte Einblicke  

Diese bemerkenswerten Unterschiede zwischen den Bakterien konnten Schreiber und seine Kollegen nur entlarven, indem sie den einzelnen Zellen ganz nah auf den Pelz rückten. „Wir mussten die Nahrungsaufnahme einzelner Bakterienzellen messen – obwohl die nur 2 µm groß sind“, erklärt Schreiber die methodische Herausforderung. „Üblicherweise werden in der Mikrobiologie nur die kollektiven Eigenschaften in Populationen von mehreren Millionen oder gar Milliarden von Zellen zusammen gemessen. Nur durch die enge Zusammenarbeit, die vielfältige Expertise und die technische Ausstattung der beteiligten Forschergruppen war es möglich, so ins Detail zu gehen.“

Auch Bakterien sind Individualisten

Die vorliegende Studie belegt, wie wichtig Individualität – bei Bakterien und im Allgemeinen – in einer veränderlichen Umwelt sein kann. Unterschiede zwischen Individuen verleihen der ganzen Gruppe neue Eigenschaften und erlauben ihr so, mit schwierigen Umweltbedingungen umzugehen. „Dies deutet darauf hin, dass biologische Vielfalt nicht nur im Sinn der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen, sondern auch auf dem Niveau einzelner Individuen bedeutsam ist“, sagt Schreiber.

In einem nächsten Schritt wollen Schreiber und seine Kollegen nun untersuchen, ob solch individuelles Verhalten von einzelnen Bakterienzellen auch in natürlichen Lebensräumen eine wichtige Rolle spielt.

Honorarfreie Verwendung der Bilder nur in Zusammenhang mit dieser Mitteilung.

Die Bakterienkulturen von Klebsiella oxytoca wurden in sogenannten Chemostaten (kontinuierlichen Kulturen) mit verschiedenen Konzentrationen von Ammonium und mit einem Überschuss an elementarem, gasförmigem Stickstoff (N2) versorgt.
(Copyright: Frank Schreiber)

Technikerin Daniela Tienken und Mitautor Sten Littmann am NanoSIMS (Nanometer-scale Secondary Ion Mass Spectrometer) am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. Das NanoSIMS ist eines der Großgeräte, die die vorliegende Untersuchung möglich machten. Dieses Gerät erlaubt, die Stickstoffixierung einzelner Zellen in einer Bakterienkultur zu messen.
(Copyright: Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, M. Schlösser)

Das NanoSIMS an der EPFL Lausanne und am Center for Advanced Surface Analysis der Universität Lausanne. Zu sehen sind (von links) die Mitautoren Stéphane Escrig und Anders Meibom sowie Florent Plane
(Copyright: EPFL, Alain Herzog).

Einzelne Zellen von K. oxytoca. Das Bild wurde mit einem NanoSIMS aufgenommen und zeigt die Anreicherung der Zellen mit schwerem Stickstoff (15N), nachdem diese mit schwerem elementarem Stickstoff (15N2) gefüttert wurden. Die unterschiedliche Färbung zeigt, dass die genetisch gleichen Zellen einer Population unterschiedlich viel elementaren Stickstoff in die Zellmasse einbauen (je wärmer die Färbung, desto mehr elementarer Stickstoff wurde eingebaut). (Copyright: Frank Schreiber)

Originalveröffentlichung

Phenotypic heterogeneity driven by nutrient limitation promotes
growth in fluctuating environments
Frank Schreiber, Sten Littmann, Gaute Lavik, Stéphane Escrig, Anders Meibom, Marcel Kuypers, Martin Ackermann. Nature Microbiology,  Mai 2016, http://doi.org/10.1038/NMICROBIOL.2016.55