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Langzeitmessungen in Flüssen zeigen auch kleinste Veränderungen

30. August 2018 | Irene Bättig

Die Daueruntersuchung an grösseren Schweizer Fliessgewässern läuft seit bald 45 Jahren. Eine Auswertung der Zeitreihen zeigt, dass sich mit dem Klimawandel auch geochemische Prozesse ändern. So steigen an den meisten Stationen die Konzentrationen von Bicarbonat. Nebst der höheren Temperaturen sind das Nährstoffangebot in den Seen und der Säuregehalt in den Böden die Treiber. Nach einem Peak in den späten 1980er Jahren gehen hingegen die Stickstoffkonzentrationen zurück. Gründe dafür sind ein verminderter Eintrag von Stickstoff in der Landwirtschaft und die verbesserte Eliminierung in der Abwasserreinigung.

Seit 1974 wird der chemische Zustand von Flüssen in der Schweiz mit dem NADUF-Programm (Nationale Daueruntersuchung Fliessgewässer) untersucht. «Das von der Eawag und der hydrologischen Abteilung des Bundesamtes für Umwelt initiierte Messsystem war damals eine absolute Neuheit», erinnert sich Jürg Zobrist, ehemaliger Eawag-Forscher. Die Messeinrichtung entnimmt kontinuierlich kleine Wasserproben, sobald eine bestimmte Menge Wasser den Fluss hinuntergeflossen ist und addiert sie zu einer 2-wöchigen Sammelprobe . «So lassen sich in den abflussgewichteten Proben nicht nur die Konzentrationen messen, sondern auch die Frachten einfach berechnen», erklärt Zobrist, der beim Aufbau des Programms dabei war. Damals war die chemische Analytik noch meilenweit von den heutigen Möglichkeiten bezüglich Automation und Sensitivität entfernt. In den erhobenen Wasserproben werden heute im analytischen Labor der Eawag rund 20 Stoffe bestimmt – unter anderem Calcium, Magnesium und Bicarbonat  sowie verschiedene Nährstoffe wie Nitrat oder Gesamt-Stickstoff. Zudem werden der Abfluss, die Wassertemperatur, der Sauerstoff, die elektrische Leitfähigkeit und der pH-Wert des Wassers kontinuierlich gemessen.

Inzwischen ist Jürg Zobrist pensioniert und an der Eawag führen Ursula Schönenberger und Stephan Hug die Auswertung der NADUF-Daten weiter. Die Forschung lässt Jürg Zobrist aber noch immer nicht los. So hat er in den letzten Jahren den riesigen Datenschatz genauer unter die Lupe genommen und die Messwerte von geochemischen Parametern und Stickstoff über sieben Stationen aus dem NADUF-Messnetz statistisch ausgewertet. «Ziel war, langfristige Veränderungen von 1974 bis 2013 aufzuzeigen und diese auch zu erklären», sagt Zobrist.

Karte der NADUF Stationen 2017.

Gewässerschutzmassnahmen zeigen Wirkung

Seine Analysen zeigen, dass sich die Abflussmengen kaum verändert haben, während die Temperaturen in den Fliessgewässern um 0,8 bis 1,3 °C gestiegen sind. Dieser Anstieg verlief jedoch nicht linear, sondern war durch einen Temperatursprung in der 2. Hälfte der 1980er-Jahre gekennzeichnet – in der Rhone unterhalb Genf stieg das Thermometer um 1,1 °C, in der Thur um 0,4 °C. «Ein solcher Temperatursprung war europaweit in Gewässern, im Grundwasser oder im Boden zu beobachten», ergänzt Zobrist.

Die Konzentrationen und Frachten von Stickstoff sind von 1982/83 bis 1987 /88 markant angestiegen. Etwas verzögert spiegelt sich darin die starke Intensivierung der Landwirtschaft, die Anfang der 1980er-Jahre die höchsten Stickstoffüberschüsse verursachte. Das heisst, dass mehr Hofdünger und Kunstdünger eingesetzt wurden, als über die Ernte wieder weggeführt wurde. Dadurch stieg der Stickstoffvorrat in den Böden stark an und entsprechend wurde mehr Stickstoff in die Gewässer ausgewaschen. Hinzu kam, dass der aussergewöhnliche Temperaturanstieg in Boden und Wasser in den späten 1980er-Jahren zu einer erhöhten biologisch bedingten Mobilisierung des Stickstoffs führte.

Seit den 1990er-Jahren hat die Gesamt-Stickstoff Fracht deutlich abgenommen – um bis zu 50 %. «Die Änderungen in der landwirtschaftlichen Düngepraxis und die verbesserte Abwasserreinigung, insbesondere die Einführung der Denitrifikation in einigen grossen Abwasserreinigungsanlagen, zeigten Wirkung», so Zobrist.

Die 1974 revolutionäre Einrichtung zur Probeentnahme: Flusswasser wird mit einer Rate von 20 bis 50 L pro Minute mit einer Unterwasserpumpe in die Station befördert. Sobald eine stationsspezifische Menge von Wasser im Fluss abgeflossen ist, werden vier 1ml-Messbecher in den kontinuierlichen Wasserstrom im Durchflussgefäss der Station eingetaucht und durch Drehen in die Zuleitungen zu den Probenahmeflaschen im Kühlschrank geleert. So entsteht eine Sammelprobe aus 800 bis 4000 Teilproben. (Foto: Eawag, Jürg Zobrist)

Auch geochemische Prozesse verändern sich

Keine grossen, aber trotzdem messbare Veränderungen, waren auch bei den geochemischen Parametern zu erwarten. Denn Calcium, Magnesium und Bicarbonat entstehen bei der Verwitterung von Calcit- und Dolomit-Gesteinen im Einzugsgebiet der Flüsse. Dabei wird CO2 gebunden und das entstandene Bicarbonat (HCO3-) gelangt in die Gewässer. CO2 gast teilweise wieder in die Atmosphäre aus oder wird als Calcit erneut ausgefällt. Diese Grundprozesse im geochemischen Kohlenstoffkreislauf pendeln sich in einem Gleichgewicht ein, sie sind abhängig von den Bedingungen in der Umwelt.

«Die Bicarbonat-Konzentrationen haben zugenommen. Der Grund für diesen Anstieg begründet Zobrist einerseits mit dem Klimawandel: «Der Temperaturanstieg von rund 1,5 °C in der Luft führt dazu, dass die Mikroorganismen im Boden aktiver sind, mehr atmen und mehr CO2 abgeben.» Im feuchten Boden ist das CO2 als Kohlensäure gelöst. Mit einem höheren Gehalt an Kohlensäure wird mehr Gestein, vor allem carbonathaltige Mineralien, verwittert und die Bicarbonat-Konzentrationen steigen. Dieser Prozess konnte mit Hilfe eines klassischen CaCO3-CO2 Gleichgewichtprogramms quantifiziert werden. Unterhalb von Seen zeigt auch die Reoligotrophierung einen Effekt: Weil das Angebot an Phosphor in der untersuchten Zeitperiode sank, wuchsen in den Seen weniger Algen, die über die Photosynthese CO2 binden. Und wenn mehr CO2 im Wasser gelöst bleibt, wird weniger Calcit ausgefällt.

Gegenläufige Effekte überlagern sich

In der Thur bei Andelfingen zeigt die Bicarbonat-Konzentration über die letzten drei Jahrzehnte einen gegenläufigen Trend. Einerseits ist diesem Fluss kein See vorgelagert – der Effekt der Reoligotrophierung wirkt hier also nicht. Andererseits gibt es auch Entwicklungen, die zu einem Rückgang der Verwitterung geführt haben, so Zobrist: «Der Einsatz von im Boden Säure bildenden Düngern in der Landwirtschaft hat abgenommen. Zudem war auch die saure Deposition aus der Atmosphäre rückläufig – etwa durch die Reduktion vom Schwefelgehalt im Heizöl und vor allem durch die Abnahme der SO2 Emissionen in den ehemaligen Ostblockländern.» In der Folge war die Calcit-Verwitterung rückläufig.

Die Langzeittrends zeigen, dass der geochemische Kohlenstoffkreislauf Änderungen unterworfen ist und auf menschliche Einflüsse reagiert. „Die Veränderungen sind zwar gering, aber statistisch signifikant“, resümiert Zobrist, der sich mit dieser Arbeit nun definitiv vom Forschen verabschiedet.

Publikation

Zobrist, J.; Schoenenberger, U.; Figura, S.; Hug, S. J. (2018) Long-term trends in Swiss rivers sampled continuously over 39 years reflect changes in geochemical processes and pollution, Environmental Science and Pollution Research, 25, 16788-16809, doi:10.1007/s11356-018-1679-x, Institutional Repository

Weitere Fotos

NADUF Probenahme-Station an der Glatt bei Rheinsfelden.  
(Foto: BAFU)

Veränderung der Bicarbonat- Konzentrationen von 1983 bis 2013 an sieben Messstationen. Farbig ist der über 5 Jahre geglättete Verlauf der Messreihen dargestellt, die gestrichelte Linie zeigt den Langzeittrend, berechnet mittels linearer Regression.

Entwicklung der über 5 Jahre geglätteten Konzentrationen von Gesamtstickstoff (rot), Nitrat (grün) und der Abflussmenge (blau) in der Aare bei Brugg.