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Mit neuen Konzepten die Fischwanderung verbessern

7. März 2024 | Kaspar Meuli

Welche Hindernisse müssen beseitigt werden, damit wandernde Fische am meisten profitieren? Wo ergeben Massnahmen am meisten Sinn, und wie steht es um das Kosten-Nutzen-Verhältnis? Eawag-Forschende haben gemeinsam mit Fachleuten aus Verwaltung und Praxis ein neues Verfahren entwickelt, um diese Fragen zu beantworten.

Das Gewässerschutzgesetz, dessen Revision das Parlament 2011 beschlossen hat, gilt im internationalen Vergleich als fortschrittlich. Es ist unter anderem die Grundlage für ein auf 80 Jahre angelegtes Revitalisierungsprogramm der Schweizer Fliessgewässer und Seen. Das Ziel: Die Gewässer sollen wieder naturnaher werden. Dieser Vorgabe stehen nicht zuletzt Dämme, Wehre, Schwellen und Rampen in Flüssen und Bächen im Weg, welche die Fischmigration behindern oder verunmöglichen. Nach Angaben des Bundesamts für Umwelt BAFU existieren in der Schweiz mehr als 100’000 künstliche Hindernisse für Fische und andere Lebewesen.

Das Gewässerschutzgesetz verpflichtet die Kantone, Revitalisierungen an ihren Gewässern umzusetzen. Wie das zu geschehen hat, legen die Kantone in ihren strategischen Revitalisierungsplanungen fest, die bis Ende 2026 aktualisiert werden müssen. «Es existieren zwar schon länger Hilfsmittel für diese Planung, aber die Bundesbehörden hatten gemerkt, dass Ergänzungen in Bezug auf die aquatische Längsvernetzung sehr nützlich wären», sagt Peter Reichert. Der Spezialist für die Modellierung und Systemanalyse aquatischer Systeme forschte jahrzehntelang am Wasserforschungsinstitut Eawag und war Professor an der ETH Zürich. Seit 2022 ist er pensioniert, aber immer noch aktiv in der Forschung. So hat er etwa im Auftrag des BAFU die Entwicklung der in diesem Artikel skizzierten Verfahren zur «Priorisierung der Beseitigung künstlicher Fischwanderhindernisse in Fliessgewässersystemen» geleitet. In diesem Verfahren nicht berücksichtigt sind Hindernisse aufgrund von Wasserkraftwerken. Diese werden in einer anderen Vollzugshilfe behandelt. 

Das Verfahren wird in einem BAFU-Report detailliert erklärt; eine Zusammenfassung ist soeben in der Fachzeitschrift «Aqua & Gas» erschienen. Die Entwicklung der Methode erfolgte in einem interdisziplinären Team, dem neben Eawag-Forschenden auch Vertreterinnen und Vertreter des BAFU, von kantonalen Umweltämtern sowie von Beratungsbüros angehörten. Zudem wurden weitere Fachleute bezüglich der diskutierten Methoden und Kriterien konsultiert.
 

Beispiel einer Revitalisierungsvariante, die für die Zulg, einen Zufluss der Aare bei Thun, auf der Basis einer Fragmentierungsanalyse erstellt wurde. Oben: Aktueller Zustand; Mitte: naturnaher Zustand ohne künstliche Hindernisse; Unten: eine Revitalisierungsoption. Der Vergleich zeigt, dass sich mit der Sanierung der hellgrün markierten Hindernisse zusammenhängende Regi­onen schaffen lassen, die meisten davon im untersten Abschnitt, aber auch eine Verbindung von zwei grösseren Regionen im Mittellauf.
Signaturen: Die Farben der breiten Linien zeigen für Salmoniden zusammenhängende Regionen. In türkis ist die Region dargestellt, die vom unterliegenden Gewässer (Aare) aus erreichbar ist. Eingedolte Strecken sind schwarz markiert. Schmale schwarze Linien sind Fliessstrecken, die zu steil sind für Salmoniden. Punkte markieren Barrieren (Grösse abhängig von der Hindernishöhe): Künstliche Barrieren sind rot dargestellt, natürliche Barrieren blau und im hier betrachteten Revitalisierungsvorschlag fischgängig zu machende Barrieren grün.
Die Achsen zeigen die Koordinaten nach dem Schweizer Koordinatensystem.

Bei der Sanierung Prioritäten setzen

Die neue Methode beruht auf sogenannten Vernetzungs- oder Fragmentierungsanalysen. «Wenn man die Einzugsgebiete eines Flusses auf diese Weise unter die Lupe nimmt», erklärt Nele Schuwirth, «lässt sich darlegen, wie die zusammenhängenden Fischregionen gegenwärtig aussehen, wie sie in einem naturnahen Zustand aussehen würden und wie sie durch die Sanierung von ausgewählten Hindernissen vergrössert werden könnten». Nele Schuwirth leitet die Abteilung für Systemanalyse und Modellierung an der Eawag und forscht zu den Themen Ökologische Modellierung und Bewertung.

Dank diesen Informationen können die kantonalen Umweltbehörden entscheiden, wo bei der Sanierung von Fischwanderhindernissen Prioritäten gesetzt werden sollen. Wie Fallbeispiele zeigen, mit denen das Verfahren getestet wurde, ist der potenzielle Gewinn für die Fischgemeinschaften dann besonders gross, wenn durch die Sanierung von Hindernissen die Vernetzung von Zuflüssen mit einem Hauptfluss verbessert werden kann. Oder wenn grosse zusammenhängende Regionen miteinander verbunden werden, die sich bereits in einem guten Zustand befinden oder revitalisiert werden sollen.

Über die Kantonsgrenzen hinausblicken

Die Priorisierung geschieht mit der Absicht, zu sanierende Hindernisse so auszuwählen, dass mit möglichst wenig Aufwand möglichst grosse zusammenhängende Flusssysteme geschaffen werden können, in denen sich die Fische ungehindert bewegen können. Dieses Ziel lasse sich nur erreichen, so betonen die Entwicklerinnen und Entwickler des neuen Verfahrens, wenn man über Kantonsgrenzen hinausblicke und «einzugsgebietsorientierte Betrachtungen» anstelle. Entscheidend ist dabei die Übersicht über alle zusammenhängenden Regionen im gegenwärtigen und in einem naturnahen Zustand.

Konkret besteht das Priorisierungsverfahren aus sieben Schritten. Sie reichen von der Definition des Einzugsgebiets über die Fragmentierungsanalyse des Einzugsgebiets bis zur Identifikation von «Schlüsselhindernissen» zur Reduktion der Fragmentierung. Danach werden Revitalisierungsvarianten ausgearbeitet, der Nutzen dieser Varianten quantifiziert und deren Kosten abgeschätzt. In einem weiteren Schritt wird das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Varianten mit Blick auf das ganze Einzugsgebiet bewertet. Danach folgt eine provisorische Vorauswahl, und schliesslich werden Fachleute mit Ortskenntnis beigezogen, um eine definitive Auswahl der zu beseitigenden Hindernisse zu treffen.

«Fischereifachleute mit Ortskenntnis sind nötig, um die fischökologische Bedeutung der analysierten Flussabschnitte zu beurteilen», erklärt Nele Schuwirth, «und sie wissen aus der Praxis, ob Hindernisse fischgängig sind oder nicht.» Solch ein Realitätscheck ist wichtig, da die Einschätzung allein aufgrund vorhandener Daten keine definitive Beurteilung der Fischgängigkeit erlaubt.

Zusatzaufwand hält sich in Grenzen

Grundlage für das Priorisierungsverfahren ist eine gute Datengrundlage. In einem Geographischen Informationssystem (GIS) müssen diverse Aspekte eines Flussnetzwerks erfasst sein. Für jede zu analysierende Fliesstrecke braucht es unter anderem eine ökomorphologische Bewertung, die zeigt, wie weit das Gewässer von seinem natürlichen Zustand entfernt ist und wo es Barrieren für die Fischwanderung gibt. Und es müssen Informationen dazu vorhanden sein, ob ein Bach oder Fluss eingedolt ist und ob er durch ein Siedlungsgebiet fliesst oder nicht. So lassen sich die Kosten abschätzen, die eine Ausdolung verursachen würde. Diese Voraussetzungen sind bereits für die strategische Revitalisierungsplanung der Fliessgewässer nötig. «Aus diesem Grund sollte sich der Zusatzaufwand für die Priorisierung von zu beseitigenden Wanderhindernissen im Rahmen halten» resümiert Peter Reichert.

Und, so lässt sich anfügen: Wenn Wanderhindernisse dort aus dem Weg geräumt werden, wo sie den Fischen den grössten Nutzen bringen, wirkt sich das auch auf die öffentlichen Finanzen aus. So werden unter anderem Steuergelder möglichst effektiv eingesetzt.
 

Titelbild: Hindernisse wie die Müllerschwelle in der Zulg in Steffisburg behindern oder verunmöglichen die Fischwanderung. Das Gewässerschutzgesetz schreibt vor, dass solche Hindernisse saniert und für Fische durchgängig gestaltet werden müssen. Die Gemeinde Steffisburg hat im September 2023 begonnen, die Müllerschwelle zu sanieren, um die Längsvernetzung der Zulg zu verbessern.  (Foto: Gemeinde Steffisburg, Mark van Egmond).

Originalpublikation

Fachartikel in Aqua & Gas: Reichert, P. et al. (2024): Priorisierung der Sanierung künstlicher Fischwanderhindernisse

Der im Artikel erwähnte BAFU-Report «Verfahren zur Priorisierung der Beseitigung künstlicher Fischwanderhindernisse in Fliessgewässersystemen» ist auf der Webseite des BAFU als Anhang 1 der aktualisierten Vollzugshilfe «Revitalisierung Fliessgewässer: Strategische Planung» publiziert.

Finanzierung / Kooperationen

  • Bundesamt für Umwelt BAFU
  • Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs Eawag
  • Wasser-Agenda 21
  • Amt für Gewässer des Kantons Schwyz
  • Amt für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern
  • Amt für Wald und Natur des Kantons Freiburg
  • Fischwerk