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Schweizer Ansatz für moderne Abwasserbehandlung ausgezeichnet
1. Dezember 2023 |
Gibt man im Eawag-Bibliothekssystem den Suchbegriff «Ozon» ein, erscheinen erste Forschungsarbeiten ab 1954. Der Leiter der Abteilung Biologie, Karl Wuhrmann, oder der nachmalige Direktor, Werner Stumm, publizierten damals über die Desinfektion von Brunnenwasser mit Ozon. Später waren es Jürg Hoigné, Hans-Peter Bader und viele weitere Forschende, welche an der Eawag die oxidative Wirkung von Ozon auf unerwünschte Spurenstoffe im Wasser untersuchten – im Fokus stand das Trinkwasser.
Negative Effekte auf Ökologie und Trinkwasser
Eawag Forschende waren auch beteiligt an Studien, die in den 1990er Jahren aufzeigten, wie selbst gut funktionierende Kläranlagen gewisse Mikroverunreinigungen nicht aus dem Abwasser entfernen können. So gelangen hormonaktive Substanzen, Haushaltchemikalien, Kosmetika, Arzneimittel aber auch Stoffe aus gewerblichen und industriellen Prozessen in die Gewässer, schädigen die Organismen und sind eine latente Gefahr für die Trinkwassergewinnung. Ein Beispiel für solche Effekte sind die unterhalb von Kläranlagen auftretenden verweiblichten Forellen.
Das Team
Der Sandmeyer Award 2024 geht an das Eawag Team mit Prof. Urs von Gunten (Eawag/EPFL), Prof. Juliane Hollender (Eawag/ETHZ), Dr. Christa McArdell, Dr. Adriano Joss, Marc Böhler (alle Eawag) sowie Prof. em. Hansruedi Siegrist (Eawag/ETHZ) und Dr. Christian Abegglen (Eawag, heute Leiter Verfahrenstechnik ARA Werdhölzli der Stadt Zürich). Die offizielle Verleihung findet erst am 20. September 2024 im Casino Bern statt.
Nebenprodukte, Kosten und Energie – alles beachtet
Das Team hat an der völlig neuen Idee gearbeitet, die Ozonung statt für sauberes Trinkwasser für eine bessere Reinigung des Abwassers einzusetzen. Prof. Urs von Gunten betont, dass lediglich rund 15 Jahre vergingen, bis aus der Idee eine praxistaugliche Technologie geworden ist. Das sei selten. Es wurden Laborversuche gemacht, welche zur Entwicklung von kinetischen Modellen führten. Früh wurde darauf geachtet, dass potenziell toxische Oxidationsnebenprodukte, welche bei den Reaktionen mit Ozon entstehen können, durch biologische Nachbehandlung unschädlich gemacht werden. Erst auf Pilotanlagen, dann im Grossmassstab wurde getestet. Grössen wurden definiert, mit denen sich der Prozess überwachen und steuern lässt, und das Team hat in Zusammenarbeit mit der Praxis den Nachweis erbracht, dass das Verfahren für die Betreiber von ARA sicher gehandhabt werden kann. «Die Kosten und der Energieverbrauch waren dabei ein wichtiges Kriterium», sagt Urs von Gunten.
In der Begründung für die Nomination zum Preis werden drei Aspekte hervorgehoben:
- Von der Forschung in die Praxis
Erstens sei die Arbeit des Teams ein wichtiges Beispiel dafür, wie die gründliche Forschung über chemische Analytik, Reaktionsmechanismen und Effekte in diesem Fall chemische Oxidationsprozesse und insbesondere die Ozonung, von einer wissenschaftlich fundierten Beschreibung des Problems zu einer innovativen Lösung und weiter zur grosstechnischen Umsetzung geführt habe.
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit zum Nutzen der Gesellschaft
Zweitens sei die Erfolgsgeschichte das Ergebnis einer konzertierten und interdisziplinären Anstrengung von Chemikern, Ingenieuren und Umweltwissenschaftlern und ein Beispiel dafür, wie chemische Grundsätze in verschiedenen Disziplinen eingesetzt wurden, um eine gesellschaftliche Herausforderung zu bewältigen.
- Beispielhafte «Swissness»
Drittens wird hervorgehoben, dass das Teams ein wunderbares Beispiel für "Swissness" ist. Die Studien seien sehr gründlich durchgeführt und in den international führenden Fachzeitschriften beschrieben worden und hätten gleichzeitig zur Entwicklung einer praktischen und kosteneffizienten chemischen Abwasserbehandlung geführt, die inzwischen international als der "Schweizer Ansatz" der weitergehenden Abwasserreinigung gilt und vielerorts angewendet wird.
Lob aus Kalifornien…
Berkeley Professor David Sedlak, einer der weltweit bekanntesten Wasserexperten, hebt hervor, dass der Schweizer Ansatz inzwischen nicht nur in Europa angewendet werde. Insbesondere dort, wo Wasser knapp sei und aus Abwasser wieder Brauch- oder Trinkwasser gemacht wird, hätten die an der Eawag entwickelten Grundlagen zum Einsatz der Ozonung geführt, so auch in den USA: «Das Eawag-Team hat Pionierarbeit geleistet und gezeigt, wie die Ozonung als Teil eines umfassenden Behandlungssystems eingesetzt werden kann. Damit hat es der Welt ein Instrument in die Hand gegeben, um aquatische Ökosysteme zu schützen, Wasserknappheit zu vermeiden und einen verantwortungsvollen Umgang mit Chemikalien sicherzustellen», sagt Sedlak.
…und aus der Praxis
Heute wird rasch gesagt, der Ausbau der ARA mit einer zusätzlichen Stufe gegen Mikroverunreinigungen sei auf eine Änderung der Gesetze in der Schweiz zurückzuführen. Als langjähriger Projektleiter bei der lngenieurfirma Holinger hat Michael Thomann mehrere Ausbauten von ARA mit der Ozonung realisiert, die vom Eawag-Team wissenschaftlich begleitet wurden. Heute ist er Professor für Wasser- und Umwelttechnik an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Thomann stellt die Abfolge der Entwicklung klar: «Die international viel beachtete Gesetzesänderung der Schweiz zur Elimination von organischen Mikroverunreinigungen wurde durch die Arbeiten des Eawag-Teams ermöglicht.»
Ausbau kommt voran
Die Erweiterung der Schweizer Abwasserreinigung um eine zusätzliche Stufe gegen Mikroverunreinigungen läuft. Seit 2014 sind bereits rund 25 Anlagen aufgerüstet worden, bei fast 50 laufen Planung oder Bau. Dabei ist die Ozonung eines der eingesetzten Verfahren. Zur Anwendung kommen auch Pulveraktivkohle, granulierte Aktivkohle oder kombinierte Verfahren. Ziel ist, dass die aufgerüsteten Kläranlagen eine durchschnittliche 80% Elimination von Spurenstoffen erreichen und damit wesentlich zum Schutz von aquatischen Ökosystemen und der Trinkwasserressourcen beitragen.
Schweizer Selfmade-Mann Traugott Sandmeyer
Der Sandmeyer Award der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft (SCG) wird jährlich für herausragende Arbeiten in der industriellen oder angewandten Chemie verliehen. Für Gruppen von Forschenden ist er mit 20'000 Franken dotiert. Traugott Sandmeyer aus dem aargauischen Wettingen (1854-1922) war ursprünglich Feinmechaniker, hat sich aber im Selbststudium und u.a. als Vorlesungsassistent an der ETH grosse Verdienste als Chemiker erworben. Er wirkte über 30 Jahre bei Geigy (heute Novartis) und erhielt zweimal die Ehrendoktorwürde. Bereits 2019 hat ein Team der Eawag den Preis erhalten, damals für die Forschung zur Kontamination von Trinkwasserressourcen mit geogenen Elementen und deren Entfernung.
Titelbild: Durch diese Diffusoren wird Ozon in das gereinigte Abwasser eingeblasen (ARA Neugut, Dübendorf; Foto: Max Schachtler).