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Tiefer Einblick in die Fischfauna des Vierwaldstättersees
19. Juli 2017 |
Bisher basierte das Wissen über die vorkommenden Fischarten hauptsächlich auf den Fängen der Berufs- und Angelfischer. Diese konzentrieren sich allerdings auf bestimmte Fischarten und Grössenklassen. Ihre Fänge zeigen also nicht die tatsächliche Zusammensetzung der Fischgemeinschaft. Deshalb hat die Eawag mit Partnern von Bund, Kantonen und Forschung das «Projet Lac» ins Leben gerufen. Es hat zum Ziel, die Fischfauna verschiedener Alpenrandseen mit standardisierten Methoden zu erheben und zu vergleichen. Die Untersuchungen wurden mit Echolot, mit verschiedenen Netztypen von unterschiedlicher Maschenweite sowie gezielten Befischungen von Ufer-lebensräumen (Abb. 1) vorgenommen. Die gefangenen Fische wurden identifiziert, vermessen, gewogen und fotografiert. Am Naturhistorischen Museum der Burgergemeinde Bern wurde eine Referenzsammlung aufgebaut, in die von jeder Fischart aus jedem See bis zu 30 Exemplare aufgenommen wurden.
Abb. 1: Der Fischbestand wurde mit unterschiedlichen, sich ergänzenden Methoden erfasst.
Die Untersuchungen wurden mit Echolot (Hydroakustik), Befischung mit vertikalen und horizontalen Netzen von unterschiedlicher Maschenweite (benthische und pelagische Netze) sowie gezielten elektrischen Befischungen von Uferlebensräumen vorgenommen.
Albeli und Seesaiblinge insgesamt dominant
Nun ist auch der Bericht zum Vierwaldstättersee publiziert. Zu dessen Untersuchung wurden innerhalb von sechs Tagen 252 Befischungsaktionen durchgeführt und dabei 2479 Tiere von 21 verschiedenen Fischarten gefangen. Klar am häufigsten vertreten waren die Egli (Flussbarsch). Ebenfalls häufig waren die Laube, das Rotauge, das Albeli (ein Felchen), die Seesaiblinge und die standortfremden Kaulbarsche. Mit den Befischungsaktionen wurden allerdings nicht alle Lebensräume gleich intensiv untersucht. Die Daten wurden auf die tatsächliche Grösse der vorhandenen Lebensräume hochgerechnet. Dabei wird ersichtlich, dass die Fischfauna im Vierwaldstättersee von Albeli und Seesaiblingen dominiert wird.
Alternativen zu Felchen und Egli auf dem Teller?
Wie erwartet, unterscheiden sich die Fänge der Berufsfischerei stark von den standardisierten Fängen des «Projet Lac». Während die Berufsfischerfänge zu mehr als drei Vierteln aus Albeli und anderen Felchenarten bestehen, machten diese im «Projet Lac» nur etwa die Hälfte aus. Dafür waren in den «Projet Lac»-Fängen insbesondere der Seesaibling und die verschiedenen Cyprinidenarten (Karpfenartige) deutlich stärker vertreten (Abb. 2). Müssten sich die Fischer auf dem Vierwaldstättersee also auf andere Arten ausrichten: «Allein aufgrund unserer Daten kann ich keine Empfehlung abgeben», sagt Projektkoordinator Timothy Alexander, «im Minimum müssten wir mehr wissen über die Vermehrung und das Wachstum der anderen Arten. Denn es kann sehr wohl sein, dass diese jetzt nur darum häufig sind, weil sie eben nicht befischt werden.» Zudem, so der Forscher, müsste man dafür sorgen, dass alternative Arten von den Konsumenten nicht verschmäht würden.
Abb. 2: Vierwaldstättersee: Vergleich der Fänge von Berufsfischern von 2010–2013 mit den standardisierten Fängen im «Projet Lac».
Fast 60 Prozent verbaute Seeufer
Natürliche und gut strukturierte Uferlebensräume sind wichtig für die Fischfauna und deren Vielfalt. Im «Projet Lac» wurde daher auch der ökologische Zustand der Uferzonen beurteilt. Für den Vierwaldstättersee hat dies ergeben, dass nur etwa 41 Prozent der Seeuferlinie einen naturnahen Zustand aufweisen. 59 Prozent sind mehr oder weniger stark verbaut, wobei insbesondere die Flachuferbereiche und die Zuflüsse betroffen sind. In diesen Bereichen ist der Handlungsbedarf für ökologische Aufwertungen besonders hoch (Abb. 3a und 3b).
Abb. 3a: Kartierung der anthropogen beeinflussten und weitgehend naturnahen Uferzonen im Vierwaldstättersee.
Abb. 3b: Hart verbaute Ufer, wie hier mit einer Mauer, entwerten die ökologisch wichtige Uferzone und unterbinden die Vernetzung von Land- und Wasserlebensräumen.
Wo halten sich die Fische auf?
Fische sind nicht zufällig in einem See verteilt. Zwar konnten im Vierwaldstättersee aufgrund der recht guten Sauerstoffverhältnisse bis in 100 m Tiefe Fische gefangen werden, die höchste Fischdichte wurde aber zwischen 0 und 10 Metern gefunden. Interessant ist die Tiefenverteilung der Fänge in der Freiwasserzone: Zum Zeitpunkt der Befischung im Sommer waren die Bestände von Egli, Albeli und Seesaibling bezüglich Tiefe deutlich voneinander getrennt (Abb. 4).
Abb. 4: Egli, Felchen und Seesaiblinge (einschliesslich Tiefseesaiblingen) halten sich im Vierwaldstättersee offensichtlich in deutlich voneinander getrennten Tiefen auf. (Anzahl gefangene Fische korrigiert für die Netzfläche (catch per unit effort, CPUE)).
Eine Besonderheit des Vierwaldstättersees
Der Vierwaldstättersee ist ein Beispiel für einen ursprünglich nährstoffarmen See, der von Anfang der 1950er- bis Mitte der 1990er-Jahre eine Phase mit stärkerer Nährstoffbelastung durchlief. Heute entspricht die Fischfauna des Sees wieder derjenigen eines nährstoffarmen Sees. Allerdings sind die Felchen im Vergleich mit anderen nährstoffarmen Seen, welche nie eine Phase mit höheren Nährstoffkonzentrationen durchmachten, eher untervertreten. Dafür kommt der Seesaibling sehr zahlreich vor. Hinsichtlich Fischartenzusammensetzung liegt der Vierwaldstättersee also zwischen einem typischen Felchen- und einem typischen Seesaiblingsee (Abb. 5).
Abb. 5: Vergleich des Fischbestandes in den verschiedenen Seen. Mit «Luzern» ist der ganze Vierwaldstättersee (ohne Alpnachersee) gemeint.
Überraschende Entdeckung
Unter allen im «Projet Lac» untersuchten Alpenrandseen weist der Vierwaldstättersee die grösste Dichte an Seesaiblingen auf. Höhere Saiblingsdichten wurden nur in Bergseen wie dem Lago di Poschiavo und dem Silsersee beobachtet. Besonders erfreulich ist die Wiederentdeckung des historisch beschriebenen Tiefseesaiblings im Urnersee. Generell wurde im Vierwaldstättersee eine beeindruckende Vielfalt von Saiblingsformen vorgefunden. Ob es «nur» Formen derselben Art oder sogar eigene Arten sind, kann erst die vertiefte Untersuchung aufdecken (siehe Box). Die Ergebnisse des «Projet Lac» zeigen, dass standardisierte Befischungen aller Lebensräume eines Sees notwendig sind, um eine objektive Einschätzung der Fischartenzusammensetzung zu erhalten. Sie ergeben ein markant anderes Bild als die Berufsfischerfänge, welche stark auf Felchenarten ausgelegt sind. Dank der Methoden des «Projet Lac» lassen sich verschiedene Seen gut miteinander vergleichen. Schliesslich bildet die standardisierte Momentaufnahme einen wichtigen Ausgangspunkt, um die spannende Entwicklung der Fischfauna im Vierwaldstättersee weiterzuverfolgen.
Ein kleiner «Lachs» in den Tiefen des Sees
Saiblinge gehören wie die Forellen zu den Salmoniden, also den Lachsfischen. Wenn nun von Tiefsee-Saibling gesprochen wird, kommt dieser Name von Seesaibling und hat nichts mit der Tiefsee zu tun. In der Schweiz sind zwei Tiefenformen von Seesaiblingen taxonomisch als Arten beschrieben: eine aus dem Neuenburger- und eine aus dem Bodensee. Von beiden nahm man an, sie seien ausgestorben, 2014 fanden die Forscher aber die Bodensee-Art im «Projet Lac» wieder. Im Vierwaldstättersee hat Paul Steinmann um 1950 eine in tieferen Bereichen lebende Saiblingsform dokumentiert, die aber taxonomisch bisher unbeschrieben blieb, also keinen offiziellen Namen hat und auf Artenlisten nirgends erscheint. Seither wurde diese Form nie mehr offiziell registriert, auch wenn Fischer gelegentlich Exemplare gefangen haben, die sich von den anderen Saiblingen unterschieden haben. Genetische Untersuchen sollen nun klären, ob der in Tiefen unterhalb von 60 m vorkommende Fisch eine eigenständige Art ist, oder eine ökologische Form des Seesaiblings. Seine Verwandtschaft mit anderen Saiblingen im Vierwaldstättersee sei jedenfalls enger als mit dem Tiefesee-Saibling aus dem Bodensee, sagt Projektkoordinator Timothy Alexander. In jedem Fall scheint der Tiefseesaibling im Sommer in den Tiefen des Sees zu laichen, denn bei dem gefangenen Fisch handelte es sich um ein Weibchen mit Eiern.
Er ist – verglichen mit dem normalen Seesaibling – viel kleiner, hat grössere Augen, eine andere Körperform und nur bleiche Farben: der Saibling aus der Tiefe des Vierwaldstättersees.
Der hier ergänzte Bericht wurde im Informationsmagazin der Aufsichtskommission Vierwaldstättersee (6/2017) veröffentlicht.