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Verstehen, wie Moleküle und Ökosysteme interagieren

7. März 2025 | Simon Koechlin

In Böden und Gewässern befinden sich Millionen verschiedener organischer Verbindungen. Neue Methoden ermöglichen es, diese Moleküle genauer denn je zu bestimmen – und ihre Rolle für das Funktionieren von Ökosystemen und Artengemeinschaften zu entschlüsseln. In einem Fachartikel plädiert ein Forschungsteam der Eawag und der Universität Zürich deshalb für eine neue «Ökologie der Moleküle».

Wiesen, Wälder, Seen oder Moorlandschaften: Ökosysteme sind komplexe Beziehungsgefüge. Pflanzen, Tiere und andere Lebewesen beeinflussen einander; sie hängen aber auch davon ab, wie die nicht lebende Umwelt beschaffen ist. Auf einem nährstoffreichen Boden entwickeln sich zum Beispiel ganz andere Artengemeinschaften als auf einem nährstoffarmen.

Solche Zusammenhänge sind zwar seit langem bekannt. Trotzdem kratze die Forschung bislang erst an der Oberfläche, sagt Erika C. Freeman, Postdoktorandin in der Forschungsgruppe von Professor Florian Altermatt am Wasserforschungsinstitut Eawag und an der Universität Zürich. «Im Boden, im Wasser und in der Luft existieren Millionen verschiedener organischer Verbindungen. Wie sie miteinander interagieren und ökologische Vorgänge beeinflussen, ist kaum erforscht.»

In einem soeben im Fachmagazin «Trends in Ecology & Evolution» erschienenen Artikel ruft ein Forschungsteam um Erstautorin Erika C. Freeman dazu auf, diese Forschungslücke zu schliessen. Die Voraussetzungen dafür seien vorhanden, sagt Freeman. «Die Entwicklung hochauflösender Massenspektrometrie, wachsende molekulare Datenbanken und die stark gestiegene Rechenkapazität ermöglichen es uns erstmals, die Komplexität von Ökosystemen systematisch auf molekularer Ebene zu erfassen. Parallel dazu hat unser Verständnis der Stoffwechselvorgänge nicht nur in Tieren und Pflanzen, sondern auch in Mikroben durch neue Sequenzierungstechnologien enorme Fortschritte gemacht.» Die Zeit sei deshalb reif für eine «Ökologie der Moleküle­», in der die Wechselwirkungen zwischen einzelnen organischen Molekülen und den Lebewesen in Ökosystemen erforscht werden.

Brom-Molekül tötet Seeadler

Einzelne derartige Untersuchungen existieren bereits. So wiesen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor einigen Jahren nach, dass ein bromhaltiges Molekül die Ursache für ein mysteriöses Sterben von Weisskopfseeadlern in den USA war. Cyanobakterien, die auf einer eingeschleppten Wasserpflanze leben, bildeten dieses Toxin, worauf es sich via Nahrungskette anreicherte und von den Seeadlern über ihre Beute, zum Beispiel Wasservögel, aufgenommen wurde. In einer anderen Studie zeigte ein Forschungsteam, dass eine Verbindung namens «6PPD» aus dem Abrieb von Autoreifen in US-Flüssen für das Sterben von Silberlachsen verantwortlich ist.

Solche spektakulären Einzelbeispiele sind nur die Spitze des Eisbergs. Laut den Forschenden ist zum Beispiel bekannt, dass in Wäldern sogenannte Tannine – pflanzliche Gerbstoffe – die Zersetzung von Blättern verlangsamen und damit den Nährstoffkreislauf beeinflussen. Borkenkäfer wiederum koordinieren mithilfe von flüchtigen Molekülen, sogenannten Pheromonen, Massenanflüge auf geschwächte Nadelbäume, die sie befallen und zum Absterben bringen. Diese Pheromone spielen so eine Hauptrolle für die Vermehrungszyklen der Käfer, für die Gesundheit von Bäumen – und letztlich über die Zersetzung des Holzes für die Verteilung von Nährstoffen im Wald.

Erika C. Freeman ist seit ihrem Studium in Kanada und Grossbritannien von solchen Zusammenhängen fasziniert. In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie, wie Kohlenstoff-Verbindungen als gelöste Substanzen aus Böden in Flüsse und Seen ausgewaschen werden. Sie konnte zeigen, wie diese Verbindungen auf ihrem Weg von Mikroben abgebaut werden, wie sich die Zusammensetzung der Moleküle verändert – und welche Auswirkungen dies auf die Kohlenstoff-Speicherkapazität der Gewässer hat.

Ein neues Forschungsfeld mit vielen Fragen

«Es gibt viele spannende und wichtige Fragen dazu, wie die Chemie und das Leben in Ökosystemen interagieren», sagt Erika C. Freeman. Existieren beispielsweise Schlüsselmoleküle, die besonders wichtig sind für bestimmte Ökosystemfunktionen? Gibt es Verbindungen, die wie eine Art Fingerabdruck Hinweise auf den Zustand von Gewässern geben? Wie beeinflussen die vielen Chemikalien einander, die der Mensch in Trinkwasserreservoire einbringt – und wie wirkt sich das auf ihre Toxizität aus? Oder: Ist die Vielfalt der Moleküle in den Tropen, ähnlich wie bei der biologischen Vielfalt, besonders gross? Und wenn ja: Wie beeinflussen chemische und biologische Vielfalt einander im Lauf der Evolution?

Mit der Publikation soll die Ökosystem-Forschungsgemeinschaft dazu animiert werden, solche Fragen anzugehen. «Unsere Studie steckt den Rahmen für ein neues Forschungsfeld ab», sagt Erika C. Freeman. «Dieser Rahmen ist wichtig, damit wir gemeinsam, organisierter und klarer vorankommen.»

Schulterschluss zwischen Chemie und Biologie

Der Artikel umreisst, wie sich Fragestellungen in der «Ökologie der Moleküle» anpacken lassen. Einzelne Moleküle und ihre Häufigkeit in einer Probe zu bestimmen, ist eine Grundvoraussetzung. Wichtig sind aber auch Analysen von Molekül-Merkmalen – etwa von funktionalen chemischen Gruppen oder Wasserlöslichkeit. Schliesslich gilt es zu untersuchen, wie die Moleküle miteinander und mit den Organismen im Ökosystem interagieren. Möglich sind solche Untersuchungen nur durch interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Doch der Schulterschluss zwischen Chemie und Biologie lohne sich, ist Florian Altermatt überzeugt. Denn die Bedeutung der Ökologie der Moleküle gehe weit über die Grundlagenforschung hinaus. «Im Zeitalter des rapiden Umweltwandels ist dieses Wissen nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern wichtig für unsere Gesellschaft», sagt er. «Wenn wir verstehen, wie Moleküle und Organismen in Ökosystemen interagieren, hilft uns das, die Auswirkungen des Klimawandels vorherzusagen, die Qualität unseres Trinkwassers zu sichern oder die Produktivität unserer Landwirtschaft zu erhalten.»
 

Titelbild: Die Zeit ist reif für eine «Ökologie der Moleküle­», in der die Wechselwirkungen zwischen einzelnen organischen Molekülen und den Lebewesen in Ökosystemen erforscht werden (Foto: Adobe Stock).

Originalpublikation

Freeman, E. C.; Peller, T.; Altermatt, F. (2025) Ecosystem ecology needs an ecology of molecules, Trends in Ecology and Evolution, 40(3), 219-223, doi:10.1016/j.tree.2024.12.006, Institutional Repository

Finanzierung / Kooperationen

  • Eawag
  • Universität Zürich