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Abwassertest könnte als Frühwarnung vor Coronawelle dienen
3. April 2020 |
Sie haben vor Wochen bereits im Tessin Abwasserproben entnommen, warum?
Christoph Ort (Umweltingenieurwissenschaftler): Wir haben langjährige Erfahrung mit dem Messen illegaler Drogen im Abwasser, denn das Abwasser lügt nicht und spiegelt innert weniger Stunden, was die Bevölkerung ausscheidet. So haben wir Epidemiologen und Fachleute aus der Drogenprävention mit neuen Zahlen unterstützen können. Jetzt gibt es erste Hinweise von Holländischen Kollegen (siehe Link am Ende der Seite), dass man auch das Virus SARS-CoV-2, das die Krankheit COVID-19 auslöst, im Abwasser findet. Wir sind zuversichtlich, dass man diese nicht nur feststellen, sondern auch quantifizieren – also gewissermassen zählen – kann. Im Idealfall lässt sich daraus eine Anzahl erkrankter Menschen abschätzen. Nach heutigem Wissensstand sollten wir in der Lage sein, wenige Erkrankte unter 100'000 Gesunden erfassen zu können.
Umweltingenieurforscher Christoph Ort
(Foto: Eawag, Peter Penicka)
Wie kommen Sie zu den Proben?
Aus früherer Zusammenarbeit hatten wir Kontakt zum Amt für Gewässerschutz und Wasserversorgung im Tessin. Die haben auf unsere Anfrage hin sofort und unkompliziert Kläranlagenbetreiber aufgefordert, Proben abzufüllen. Weil man unsere Proben in Glasflaschen sammeln muss und sie immer gekühlt sein müssen, haben wir diese abgeholt, statt sie vom Kläranlagenpersonal aufwändig mit der Post oder einem Kurier verschicken zu lassen. Im Februar ging das noch einfach, jederzeit, jetzt werden Proben nur noch auf Voranmeldung zu bestimmten Zeiten vor das Eingangstor gestellt, alle halten sich ans social distancing. Viele Helfer waren involviert; allen gehört ein grosses Dankeschön!
Was haben Sie in den Tessiner Proben entdeckt?
Leider noch nichts, weil auch wir home office machen mussten. Wir sind ein sehr interdisziplinäres Team und wir hoffen, dass wir und unsere Projektpartner von der EPF Lausanne in den nächsten Tagen mit einer Sonderbewilligung wieder in unsere Labors gehen können, um die Messmethode zu optimieren und die ersten Proben zu messen.
Wo haben Sie in der Zwischenzeit weitere Proben entnommen?
Mittlerweile haben wir Proben von 12 Kläranlagen. Das sind neben den neun grössten Tessiner Kläranlagen auch Zürich, Lausanne und Kloten/Opfikon. In unseren Gefrierräumen lagern jetzt über 300 Proben!
Sie und ihr Team beginnen jetzt, rund 200 Liter Abwasser zu untersuchen. Wie gehen sie dabei vor?
Wir planen, die aktuellsten Proben zuerst zu messen, und arbeiten uns dann zurück, um rückblickend die Ausbreitung des SARS-CoV-2 abbilden zu können.
Haben Sie keine Angst, selbst angesteckt zu werden?
Wir müssen uns auch ohne Coronavirus schützen im Umgang mit Abwasser. Nach heutigen Wissenstand ist der Coronavirus weniger lang überlebensfähig im Abwasser als andere Viren, aber meine Kollegen können auch den inaktiven Virus im Abwasser nachweisen.
Was ist das langfristige Ziel?
Wir hoffen, dass wir das Auftreten und die Ausbreitung räumlich und zeitlich deutlich früher, d.h. ein bis zwei Wochen früher erfassen können, als mit Einzeltests an infizierten Menschen, die Symptome zeigen und ins Spital gehen. So könnten die Behörden rascher reagieren.
Wird unser Abwasser also zu einer Art «Covid19-Frühwarnsystem»?
Wir müssen dazu ein Netz aufbauen mit strategisch ausgewählten Kläranlagen. Wenn wir dann den roten Knopf drücken, schicken diese Proben in die Labors, wo sie rasch untersucht werden können. Als Beispiel in Anlehnung an die Zahl 19 vom Covid-19: Mit Proben von 19 grossen Kläranlagen, geografisch gut über die Schweiz verteilt, könnten wir das Abwasser von rund 2.5 Millionen Leuten analysieren.
Noch Wunschdenken ist, dass wir das Virus sogar «live» im Abwasser messen können, so wie die Wassertemperatur. Für Medikamentenrückstände und viele andere organische Mikroverunreinigungen können wir das heute schon mit dem Prototypen MS2field, den wir im vergangenen Jahr gebaut haben.
Was brauchen die Eawag und ihre Forschungspartner, dass dieses Ziel erreicht werden kann?
Der Vollzug von Gewässer- und Abwasseruntersuchungen ist eine Aufgabe der Kantone. Aber der Bund hilft stark mit, dass alle Betroffenen – also Kläranlagen, Gemeinden, Kantone, Privatwirtschaft und die Forschung – am gleichen Strick ziehen und die gleichen Ziele haben. Wir möchten dazu beitragen, dass es eine einheitliche Methode gibt, um das neue Corona-Virus im Abwasser nachzuweisen, und wir stellen diese Ergebnisse dann allen interessierten zur Verfügung.
Es wäre schön, wenn wir weiterhin unkompliziert an Kläranlagen und deren Proben und Daten kommen. Das beruht bis anhin auf persönlichen Kontakten und viel Goodwill auf Seiten der Kläranlagenbetreiber und kann sehr zeitaufwändig sein. Des Weiteren wäre es hilfreich, wenn wir im Austausch mit dem BAG Zugang zu offiziellen, georeferenzierten Fallzahlen hätten, um unsere Resultate abgleichen zu können.
Für das Projekt selbst haben wir im Rahmen der Corona-Sonderausschreibung beim Schweizerischen Nationalfonds Geld beantragt. Das Gesuch wird zurzeit geprüft. Mit Unterstützung der EPFL und der Eawag haben wir aber erste Arbeiten mit beträchtlichem Aufwand schon durchgeführt – vor allem mit den Probenahmen konnten wir nicht warten. Das musste jetzt passieren.
Dieses Gespräch basiert auf einem Interview von Christoph Ort mit der Radio-Journalistin Karoline Thürkauf. Gesendet 31. März 2020 / Echo der Zeit / 18.00 auf SRF 1.
Keine Hinweise auf Corona im Trinkwasser |