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Das Erbgut der Artenvielfalt Europas soll entschlüsselt werden
1. Februar 2022 |
Referenzgenome stellen wie ein Bauplan den nahezu kompletten genetischen Code eines Organismus dar, als repräsentatives Beispiel für die gesamte Art. „Durch den VergIeich mit einem solchen Referenzgenom lassen sich beispielsweise Unterschiede im Erbgut zwischen einzelnen Individuen dieser Art im Detail feststellen“, erläutert Philine Feulner, Gruppenleiterin in der Abteilung Fischökologie und Evolution der Eawag. Sie vertritt zusammen mit Nadir Alvarez von der Universität Genf das Schweizer Team des Europäischen-Referenz-Genom-Atlasses (ERGA) im Gesamt-Konsortium des ERGA. War noch vor wenigen Jahren die Sequenzierung von kompletten Genomen auf vereinzelte Modellorganismen beschränkt, so haben es die technischen Fortschritte inzwischen möglich und prinzipiell erschwinglich gemacht, die Genome jeder Art zu entschlüsseln. Bisher sind aber nur für einen verschwindend kleinen Teil der Arten Genome in Referenzqualität verfügbar.
Eawag-Forschende steuern Genome von zwei Fischarten bei
Ole Seehausen, Leiter der Abteilung Fischökologie und Evolution der Eawag, ist in der derzeit laufenden Pilotphase des ERGA-Projektes für die Genomsequenzierung von zwei Fischarten zuständig: dem Rhonestreber und dem Seen-Egli. „Der Rhonestreber ist die am stärksten bedrohte Fischart in der Schweiz. Derzeit läuft ein Projekt um abzukären, ob die Population überhaupt noch überlebensfähig ist“, erläutert Seehausen, „Und der Seen-Egli ist eine sehr wichtige Art im Ökosystem, von der wir sehen wollen, wie sehr sie sich im Genrepertoire von Flussbarschen unterscheidet.“
Die Eawag-Forschenden werden für den Atlas das Genom zweier Fischarten entschlüsseln: von Rhonestreber (auch Roi du Doubs; Bild oben) und Seen-Egli (Bild unten).
(Fotos: Aquatis, Ole Seehausen)
In einem Artikel, der im Januar in der Zeitschrift „Trends in Ecology and Evolution“ veröffentlicht wurde, unterstreicht das ERGA-Konsortium die Notwendigkeit und Bedeutung von Referenzgenomen für die biologische Erforschung der Artenvielfalt und für den Artenschutz. Obwohl der primäre Weg zur Erhaltung der biologischen Vielfalt im Schutz der Populationen in ihren Lebensräumen und in der Erhaltung und Wiederherstellung von Lebensräumen und Ökosystemen bestehe, biete die Erforschung des Erbguts eine rasch wachsende Palette neuartiger Instrumente zur Charakterisierung der biologischen Vielfalt und zur Unterstützung solcher Erhaltungsbemühungen, schreiben die Forschenden.
Vielfalt des Erbguts als Frühwarnsystem
Referenzgenome geben unter anderem Aufschluss über die evolutionäre Geschichte einer Art und dienen als Grundlage für das Analysieren der Genome von vielen Individuen derselben Art. Damit kann dann das Anpassungspotenzial einer Population oder der Art abgeschätzt werden. So liefern die komplexen Daten Informationen zu zahlreichen Fragen, von Aspekten der Artbildung über die Rolle des Genaustausches zwischen Arten, den Verlust genetischer Vielfalt bis zur Charakterisierung ganzer Artengemeinschaften. Für die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist die Verfügbarkeit hochwertiger Referenzgenome für einen repräsentativen Teil der Arten von grundlegender Bedeutung, um gezieltere Schutzmassnahmen zu ermöglichen. Die Erforschung der genomischen Vielfalt einer Art kann als Frühwarnsystem dienen, um die Widerstandsfähigkeit abzuschätzen, um die Auswirkungen von Lebensraumveränderungen oder Übernutzung von Beständen vorherzusagen und schliesslich die strategische Planung von Erhaltungsmassnahmen zu unterstützen.
Europäischer Referenz-Genom-Atlas (ERGA)
ERGA ist der offizielle paneuropäische Zweig des Earth BioGenome Project, eine weltweite Initiative mit dem Ziel, die Genome aller derzeit beschriebenen eukaryotischen Arten der Erde über einen Zeitraum von zehn Jahren zu sequenzieren und zu katalogisieren.
Informationen zum ERGA-Projekt
Titelbild: Referenzgenome stellen wie ein Bauplan den nahezu kompletten genetischen Code eines Organismus dar (Bild: iStock)
Originalpublikation
Formenti, G; Theissinger, K; Fernandes, C.; Bista, I.; Bombarely, A.; Bleidorn, C.; Ciofi, C.; Crottini, A.; Godoy, J. A.; Höglund, J.; Malukiewicz, J.; Mouton, A.; Oomen, R.A.; Paez, S.; Palsbøll, P. J.; Pampoulie, C.; Ruiz-López, M. J.; Svardal, H.; Theofanopoulou, C.; de Vries, J.; Waldvogel, A.; Zhang, G.; Mazzoni, C.J.; Jarvis, E. D.; Bálint, M. and The European Reference Genome Atlas (ERGA) Consortium (2022) The era of reference genomes in conservation genomics; Trends in Ecology & Evolution; https://doi.org/10.1016/j.tree.2021.11.008