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Die Herausforderungen bei der Vorhersage von Blaualgenblüten
5. August 2021 |
Der Himmel ist wolkenlos, die Luft schwül. Die Menschen sehnen sich nach einer erfrischenden Abkühlung im See. Doch manchmal sieht das Wasser nicht sehr einladend aus – es ist grünlich oder rötlich gefärbt oder sogar mit einer dicken Schicht Schleim bedeckt. Die Ursache: eine potenziell giftige Blaualgenblüte.
Blaualgen, auch Cyanobakterien genannt, gehören zum Phytoplankton. Das sind Organismen, die Photosynthese betreiben und frei im Wasser schwimmen. Sie liefern normalerweise Nahrung und Sauerstoff für andere Organismen im Wasser. Die Menge an Nährstoffen im Wasser spielt eine entscheidende Rolle, wie stark das Phytoplankton wachsen kann. In einem gesunden Ökosystem wird das Wachstum des Phytoplanktons aber auch durch kleine Tiere – das so genannte Zooplankton – reguliert. Das Zooplankton ernährt sich vom Phytoplankton, wie Kühe vom Gras. Einige Blaualgenarten können Stoffe produzieren, die für das Zooplankton giftig sind. Sie werden deshalb vom Zooplankton gemieden und können sich innerhalb kurzer Zeit vermehren und ansammeln; ein Phänomen, das «Blüte» genannt wird. Diese Entwicklung ist vergleichbar mit Pflanzen, die auf einer Kuhweide wachsen, aber von Kühen gemieden werden, weil sie giftig sind. In solchen Situationen werden die giftigen Pflanzen die Wiese schnell überwuchern.
Blüte der Burgunderblutalge (Planktothrix rubescens) am Hallwilersee.
(Foto: Eawag, Sabine Flury)
Die meisten Blüten in Seen und Stauseen werden durch Blaualgen verursacht. Die von den Blaualgen produzierten Giftstoffe sind nicht nur für Zooplankton schädlich, sondern auch für Menschen, Vieh und Haustiere. Menschen zum Beispiel können Hautreizungen bekommen, wenn sie während einer Blüte im See schwimmen gehen. Ebenso kann durch verunreinigte Trinkwasserquellen die Gesundheit von Vieh, Haustieren oder Menschen stark beinträchtig werden. «Eine grosse Blüte kann auch zu Fischsterben führen», erklärt Peter Isles, ehemaliger Postdoc an der Eawag. Wenn die Blaualgen absterben, sinken sie auf den Grund des Sees und verrotten dort. Dieser Abbauprozess verbraucht oft beinahe den gesamten Sauerstoff im See, was schliesslich zu einem Massen-Fischsterben führen kann.
Blüten könnten aufgrund der globalen Erwärmung häufiger werden
Ruhiges, warmes, nährstoffreiches Wasser und starke Sonneneinstrahlung fördern die Ansammlung von Phytoplankton. Bei günstigen Bedingungen können sich innerhalb von Tagen oder Wochen Blaualgenblüten bilden. «Blütenereignisse sind in Schweizer Seen häufig. Schädliche Blüten jedoch treten nicht jedes Jahr und nicht in jedem See auf», sagt Francesco Pomati, Gruppenleiter an der Eawag. «Allerdings könnten sie aufgrund der globalen Erwärmung häufiger werden.» Um die Gesundheit der Menschen zu schützen und den wirtschaftlichen Schaden durch zum Beispiel vergiftetes Vieh und verseuchtes Trinkwasser zu begrenzen, ist eine gründliche Überwachung der Seen wichtig. Die Forscher tun dies etwa für den Greifensee mit Aquascope, der weltweit modernsten Echtzeit-Beobachtungsplattform. Neben den üblichen physikalischen und chemischen Parametern im Wasser werden dort auch Phytoplankton und Zooplankton mit Unterwasserkameras in sehr feiner zeitlicher Auflösung überwacht. «Im Moment können wir beobachten, dass es bereits viele potenziell giftstoffbildende Blaualgen im Greifensee gibt. Wenn es nun in naher Zukunft eine längere Warmperiode gibt, ist mit einer möglicherweise schädlichen Blüte zu rechnen», erklärt Pomati.
Im Greifensee betreibt das Team um Francesco Pomati eine Unterwasserkamera zum Monitoring des Phytoplanktos (darunter auch Blaualgen).
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Mit der Unterstützung eines prestigeträchtigen Sinergia-Grants in der Höhe von 1,8 Millionen Schweizer Franken vom Schweizer National Fond planen Pomati und sein Team, die toxischen Algenarten weiter zu untersuchen. Konkret wollen sie manuell genetische Daten sammeln, die Aufschluss geben, ob das «Gift-Gen» in den Blaualgen vorhanden ist oder nicht. Diese Information soll anschliessend mit zeitlich-hochaufgelösten und automatisch gesammelten Daten von Zooplankton und Umwelt verknüpft werden, um die Dynamik der Blaualgenpopulation besser zu verstehen.
Mithilfe der Bevölkerung ist erwünscht
Zusätzlich testen die Forscher derzeit eine bestehende Handy-Applikation in Kombination mit einem einfach zu bedienenden «Kamerasystem» (PlanktoScope). Diese Methode soll in Zukunft auch von «Citizen Scientists» genutzt werden können. Dadurch soll jede daran interessierte Person zur Frühwarnung von Blaualgenblüten beitragen können. Damit hoffen die Wissenschaftler, auch schweizweit Echtzeitdaten von Phytoplanktonarten und Mengen zu erhalten und die zeitlichen Lücken in der Datenerfassung zu verringern.
Standardisierung ist nötig
Gute Überwachungsinstrumente mit einer hohen Frequenz der Datenerfassung sind jedoch nicht die einzige Herausforderung, wenn es darum geht, Menschen vor gefährlichen Algenblüten zu warnen. Die Modellierung und Vorhersage solcher Ereignisse sind ebenso wichtig. Ein wesentlicher Aspekt eines guten Vorhersagemodells ist eine standardisierte Definition von Algenblüten. Diese fehlte jedoch in der Vergangenheit. «Obwohl es viele Definitionen von Algenblüten gibt, ist jede Definition anders und auf eine bestimmte Anwendung zugeschnitten», erklären Pomati und Peter Isles in einer neu veröffentlichten Arbeit in der renommierten Fachzeitschrift Frontiers in Ecology and the Environment. Sie schlagen deshalb eine standardisierte Definition für Algenblüten vor. Im Gegensatz zu anderen Definitionen basiert sie nicht auf einem Schwellenwert für die Biomassekonzentration, sondern bezieht sich auf Wachstums- und Verlustprozesse des Phytoplanktons.
Nebst der Verbesserung der Datenerhebung und der Standardisierung der Blütendefinition arbeiten Pomati und sein Team derzeit auch mit mehreren kantonalen Behörden zusammen, um eine Methode zu definieren, wie man am besten mit Algenblüten umgehen soll. Dabei testen und standardisieren sie verschiedene Methoden und Frühwarnsysteme. Letztendlich wird dies alles dazu beitragen, Menschen und Vieh zu schützen und wirtschaftliche Schäden durch Algenblüten zu verringern.
Titelbild: Eawag