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Die Kleinsten schaffen Grosses im See

5. Oktober 2017 | Andri Bryner

Einzellige Bakterien können in Seen ganze Wasserschichten mischen. Nicht etwa indem sie mit ihren Geisseln das Wasser umrühren, vielmehr indem sie sich lokal ansammeln und so die Dichte des Wassers erhöhen. Das Absinken des schwereren Wassers verursacht dann eine Verwirbelung. Erstmals haben Forschende diesen Prozess nicht nur im Labor, sondern auch in der Natur, im Tessiner Cadagno-See, nachgewiesen.

Können Mikroorganismen das Wasser in einem See durchmischen? Nein, sagen alle bisherigen Studien, denn die minimalen Wirbel, welche Bakterien durch ihr Herumschwimmen verursachen, sind viel zu schwach dazu. Sie schaffen es nicht, die starke Schichtung in einem See, hervorgerufen zum Beispiel durch Unterschiede in Temperatur oder Salzgehalt, durcheinanderzubringen.

Jetzt zeigt eine neue Studie, dass Mikroorganismen sehr wohl grössere Wasserpakete bewegen können, nicht direkt durch ihre Schwimmbewegungen, sondern indirekt: Sind die Mikroorganismen nämlich schwerer als Wasser erhöhen sie dadurch die Dichte des Wassers. Befinden sich lokal sehr viele dieser Organismen im Wasser, sinkt das nun schwerere Wasser samt den Organismen ab. Dies führt zu einer Durchmischung der Wassermassen und zu einem chemischen und physikalischen Austausch. Zur Aufrechterhaltung des Vorgangs müssen die Organismen zusätzlich aktiv nach oben schwimmen. Biokonvektion nennen die Wissenschaftler das Phänomen.

Die international zusammengesetzte Forschergruppe unter Leitung der Eawag hat die Biokonvektion erstmals nicht nur experimentell im Labor nachgewiesen, sondern auch im Tessiner Cadagno-See. Bakterien der Art Chromatium okenii sind dort in der Lage bis zu zwei Meter dicke Wasserschichten vollständig zu durchmischen. Sie kommen vorwiegend in Seetiefen vor, wo das Wasser keinen Sauerstoff mehr enthält und bilden im Cadagno-See eine dicke Schicht in rund 12 Metern Tiefe. Darin haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit automatisierten Methoden aus der Trinkwassermikrobiologie über Zehntausend der geisselbewehrten Organismen pro Milliliter Wasser gezählt; das sind über 10 Milliarden pro Kubikmeter. Die Bakterien schwimmen aufwärts Richtung Licht, aber nur bis an die Grenze zum sauerstoffhaltigen Wasser. Unterhalb dieser Grenze sammeln sich die Zellen an und erhöhen die Dichte des Wassers um einige Promille. Das reicht aus, um das schwerere Wasser absinken zu lassen und die Durchmischung in Gang zu setzen (siehe Grafik und Computersimulation). Im See führt dies dazu, dass mitten im Sommer Messgrössen wie Temperatur oder Salzgehalt in einer Seetiefe von rund 11 bis 13 Metern plötzlich einheitlich bleiben, statt wie erwartet mit der Tiefe weiter ab- oder zuzunehmen.

Umweltforscher Tobias Sommer, Erstautor der Studie, ist fasziniert von den Ergebnissen: «Nebst dem von uns untersuchten Bakterium gibt es noch viele andere Organismen, die Biokonvektion auslösen können. Darum gehen wir davon aus, dass das bisher unterschätzte Phänomen weit verbreitet und für die Ökologie von Seen und Ozeanen eine Rolle spielt, zum Beispiel bei bestimmten Algenblüten.» 

Originalpaper

Sommer, T., et al. (2017), Bacteria induced mixing in natural waters, Geophys. Res. Lett., 44,
https:\\dx.doi.org\10.1002/2017GL074868;

An der Studie waren beteiligt: Eawag, SUPSI Bellinzona, ETH Zürich, EPF Lausanne, MPI Bremen, University of Iowa (USA), Middle East Technical University Ankara (Turkey). Sie wurde finanziert von der Eawag, dem ENAC Professors Visiting Program an der EPFL und dem SNF.

Grafiken/Fotos

Salzgehalt und Temperatur im Cadagno-See in Tiefen von 11 bis 14 Metern. Deutlich zu sehen ist die gut durchmischte, fast homogene Schicht in rund 12,5 Metern Tiefe.

Im Computermodell wird deutlich, wie die Durchmischung stattfindet. Die Bakterien Chromatium okenii sind zu Beginn der Simulation gleichmässig in einer Schicht verteilt (mittlere Konzentration = grün). Anschliessend schwimmen sie nach oben, stoppen jedoch an der weiss gestrichelten Linie (entspricht der Sauerstoffgrenze im Cadagno-See) und sammeln sich unterhalb dieser an (doppelte Konzentration = rot). Aufgrund der erhöhten Dichte sinkt das schwerere Wasser ab und es bilden sich Wirbel. 

Video der Simulation (1 min)

Probenahmen auf dem Cadagno-See (TI) auf 1920 m.ü.M. (Foto: Eawag, Helmut Bürgmann)