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«Die übergeordnete Herausforderung ist dieselbe geblieben»

15. Dezember 2022 | Simone Kral

Seit 2007 leitet Prof. Dr. Janet Hering die Eawag als Direktorin. Sie hat das Schweizer Wasserforschungsinstitut nachhaltig geprägt. Nun geht sie Ende 2022 in Pension. Im Interview erklärt sie, was eine «positive Rückkopplung» ist, weshalb sie Vernetzung als enorm wichtig erachtet und was die Wasserforschung bis heute herausfordert.

Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an die Eawag denken?

Die Eawag stand fast 16 Jahre lang im Mittelpunkt meines Berufslebens und sie spielte auch eine wichtige Rolle bei meiner beruflichen Entwicklung während und nach meiner Zeit hier als Postdoktorandin (1988–1991). Während meiner Zeit an der Eawag hatte ich die Gelegenheit, zahlreichen hervorragenden Forscherinnen und Forschern in der Wasserforschung und -technologie zu begegnen und mit ihnen zu arbeiten. Dafür bin ich äusserst dankbar.

Was hat Sie über die Jahre hinweg inspiriert?

Es hat mich immer sehr beeindruckt, in welchem Umfang die Forschung der Eawag und ihre fachliche Beratung in der Praxis umgesetzt und berücksichtigt wurden und wie dies Verbesserungen für Mensch und Umwelt gebracht hat. Ich habe das immer als starke Motivation für uns alle an der Eawag empfunden.

Was glauben Sie, macht die Eawag so besonders?

Die Eawag profitiert von einer «positiven Rückkopplung», indem unser ausgezeichneter Ruf hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzieht, die dann wiederum zu den Ausnahmeleistungen der Eawag beitragen. Das schliesst natürlich Forscherinnen und Forscher auf allen Ebenen mit ein – von Doktorierenden bis zu ordentlichen Professorinnen und Professoren – alle sind sie von der Exzellenz und der Anwendbarkeit unserer Forschung überzeugt und inspiriert von einem Forschungsumfeld, das die Zusammenarbeit über alle Disziplinen und Stufen hoch bewertet. Diese Kolleginnen und Kollegen verankern die Eawag in der nationalen und internationalen Wissenschaftsgemeinschaft und tragen genauso zur Einbettung der Eawag im ETH-Bereich bei, wie sie davon profitieren. Die festangestellten Mitarbeitenden in unseren Forschungsabteilungen verfügen über eine langfristige Sicherheit. Diese ermöglicht es ihnen, sich mit Akteuren in der Politik und der Praxis auseinanderzusetzen, um unserer Fachberatung und der Implementierung unserer Forschung den Weg zu bereiten. Diese Arbeit profitiert enorm vom fachlich hochstehenden und sehr gut ausgebildeten technischen und administrativen Personal, das für den Erfolg der Eawag unerlässlich ist.

Sie haben Ihre berufliche Laufbahn der Wasserforschung gewidmet. Was bedeutet Wasser für Sie?

Wasser ist zunächst einmal ein sehr simples Molekül – zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom. Doch diese Einfachheit bringt Eigenschaften mit sich, die für das Leben wesentlich sind und unsere Zivilisationen und selbst das Gesicht unseres Planeten geprägt haben. Wasser inspiriert mich. Wasser umfliesst Hindernisse, das inspiriert meine Anpassungsfähigkeit. Mit der Zeit kann Wasser den härtesten Stein aushöhlen, das lehrt mich, beharrlich zu bleiben. Wasser hat grosse Kraft, die zerstörerisch wirkt, aber auch produktiv genutzt werden kann; das inspiriert mich, auf den Wandel hinzuarbeiten.

Was waren die prägendsten Entwicklungen für Sie in Ihrer Zeit an der Eawag?

In meiner Zeit als Postdoktorandin an der Eawag habe ich erfahren, wie wichtig es ist, fachliche Netzwerke in der internationalen Wissenschaftsgemeinde aufzubauen. Mein Postdoc-Mentor und ehemaliger Direktor der Eawag, Werner Stumm, war ein Meister auf diesem Gebiet. Er konzentrierte sich auf die USA, wo er ein Jahrzehnt lang als Professor in Harvard gearbeitet hat, wovon ich persönlich profitieren konnte. Als ich als Direktorin zur Eawag zurückkehrte, sah ich, wie effektiv mein Vorgänger, Alexander (Sascha) Zehnder, diese Vernetzung weiter betrieben und dabei den Fokus vermehrt auf Europa gelegt hatte. Ulrich (Ueli) Bundi, der zwischen Saschas Weggang und meiner Ankunft als Interimsdirektor fungierte, förderte den Aufbau eines gut ausgebauten nationalen Netzwerks, das die inter- und transdisziplinäre Forschung mit den Beteiligten in den Vordergrund rückte. Ich bewundere auch die fachlichen Netzwerke, welche die Eawag-Abteilung Siedlungshygiene und Wasser für Entwicklung (Sandec) mit Partnerinnen und Partnern im globalen Süden aufgebaut hat. Alle diese Anstrengungen veranschaulichen die Bedeutung unseres Engagements in der internationalen Wissenschaftsgemeinde sowie gegenüber nationalen Akteuren.

Welche Weggefährten haben Sie hauptsächlich beeinflusst, herausgefordert und unterstützt?

Seit dem Beginn meiner Tätigkeit als Direktorin habe ich starke Unterstützung von vielen Kolleginnen und Kollegen in Führungspositionen erfahren, besonders von Direktionsmitgliedern, aber auch von den Leiterinnen und Leitern der Eawag-Forschungsabteilungen. Damit möchte ich nicht sagen, dass wir immer einer Meinung waren, doch ich hoffe, dass die Entscheidungen der Direktion jeweils durch offene Diskussionen geklärt und schliesslich akzeptiert wurden. Die Kolleginnen und Kollegen, die während meiner Zeit der Direktion angehörten, haben mir sehr geholfen, die Interessen, Möglichkeiten und Bedürfnisse in allen Bereichen der Eawag zu verstehen. Direktionsmitglieder am Standort Kastanienbaum (Bernhard Wehrli, Johny Wüest und Carsten Schubert) haben eine Schlüsselrolle bei der Integration der beiden Eawag-Standorte gespielt. Ehemalige und heutige Direktionsmitglieder haben auch darauf geachtet, kritisch wichtige Kontakte mit dem Eawag-Umfeld zu pflegen. Der Austausch des stellvertretenden Direktors, Rik Eggen, mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) und dem Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) war besonders wichtig. Er brachte auch sein Wissen über die Eawag und deren Entwicklung mit ein, um mir 2007 den Übergang in meine Rolle als Direktorin zu erleichtern. Er hat anschliessend manche Jahre eine entscheidende Rolle gespielt bei der Leitung der Supportabteilungen und den Eawag-Bautätigkeiten. Zudem war er Verbindungsperson zum ETH-Rat und Leiter des Stabs. Einige dieser Aufgaben wurden neu von Gaby Mayer als Head of Operations übernommen. Ich war stets sehr beeindruckt, wie gut es Rik Eggen gelang, seine Lehr- und Forschungstätigkeit neben seinen Verantwortlichkeiten als Vizedirektor aufrecht zu erhalten.

Was hat sich verändert, seit Sie 2007 angefangen haben?

Die Eawag ist seit 2007 gewachsen. Das lässt sich an einigen Statistiken ablesen. Forscherinnen und Forscher der Eawag publizierten im Jahr 2007 202 Arbeiten in Peer-Review-Zeitschriften, verglichen mit 526 im Jahre 2021. In derselben Zeitspanne nahmen die Ausgaben für Personal von 37.9 (entspricht 380 Vollzeitstellen) auf 55 Millionen Schweizer Franken (entspricht 517 Vollzeitstellen) zu. Ich hoffe aber, dass es der Eawag trotz dieses Wachstums gelungen ist, das Gemeinschaftsgefühl und ihre Einstellung zur Zusammenarbeit zu bewahren.

Es gab die natürliche Fluktuation von führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der Eawag – ältere Kolleginnen und Kollegen wurden pensioniert und neue Forschungsgruppenleiterinnen und -leiter mit Festanstellung zogen nach. Während meiner Amtszeit als Direktorin waren manche meiner in den Ruhestand gehenden Kollegeninnen und Kollegen führend auf ihren Gebieten und nahmen oft geteilte Professuren oder ausserordentliche Professuren an der ETH Zürich oder an der EPFL wahr. Während solche herausragenden Einzelpersonen beinahe unersetzlich schienen, bin ich doch stolz auf die Forschungsgruppenleiterinnen und -leiter, die in meiner Amtszeit gewonnen werden konnten. Manche von ihnen sind inzwischen in leitende Positionen an der Eawag aufgestiegen und einige von ihnen erhielten ausserordentliche oder ordentliche Professuren.

Auch unser Campus hat sich baulich stark verändert. Als ich im Januar 2007 eintraf, war das Forum Chriesbach-Gebäude gerade weniger als ein halbes Jahr zuvor eröffnet worden. Dieses innovative Gebäude ist eine Hommage an die Vision von Sascha Zehnder und Ueli Bundi. Seitdem gab es grössere Umbauten in unserem Büro- und Laborgebäude, sowohl in Dübendorf als auch in Kastanienbaum. Wir haben auch neue Gebäude eröffnet, das Aquatikum 2015 und das FLUX 2021. Das Aquatikum war das erste Laborgebäude in der Schweiz, das Minergie-P-Eco zertifiziert wurde und damit der Verpflichtung der Eawag zur Nachhaltigkeit Rechnung trug.

Eine weitere wichtige Entwicklung war die Einrichtung einer gemeinsamen Bibliothek für die vier Forschungsanstalten des ETH-Bereichs, Lib4RI, im Jahr 2011. Sie ersetzte die bei meinem Eintreffen bestehende Empa-Eawag-Bibliothek. Besonders dank dem Leiter der Lib4RI, Lothar Nunnenmacher, profitiert die 4RI-Belegschaft von hervorragenden bibliothekarischen Leistungen.

Was waren damals die grössten Herausforderungen für ein Wasserforschungsinstitut? Und welche sind es heute?

Die übergeordnete Herausforderung ist dieselbe geblieben – also den unmittelbaren menschlichen Wasserbedarf zu decken und dabei nicht nur die Kapazität, sondern auch Funktionalität der aquatischen Umwelt zu erhalten. Innerhalb dieser übergeordneten Herausforderung können sich im Verlaufe der Zeit verschiedene Aspekte als besonders vordringlich erweisen. Beispielsweise sind die Auswirkungen des Klimawandels auf aquatische Ökosysteme und die Biodiversität in der Schweiz heute offensichtlicher als noch im Jahre 2007. Das hat nicht nur die Forschung über die Auswirkungen des Klimawandels, sondern auch Anpassungs- und Abmilderungsoptionen ausgelöst. Bereits 2007 erforschte die Eawag die indirekten, vom Energieverbrauch verursachten Kohlendioxid-Emissionen der Abwasserreinigungsanlagen, um den Sauerstoffbedarf bei der Stickstoffentfernung zu reduzieren. Daraufhin wurde Lachgas als bedeutende Quelle von Treibhausgasemissionen von Abwasserreinigungsanlagen identifiziert. Die Forschung der Eawag lieferte die Grundlage für das Verständnis und die Reduktion dieser Emissionen.

Sie sind US-Amerikanerin. Gab es Überraschungen für Sie in der Schweiz aufgrund dieses Hintergrunds?

Die meisten solchen Überraschungen erlebte ich während meines Postdoc-Aufenthalts. Manches war damals schwerer, wie etwa, dass man nicht am Abend oder am Samstagnachmittag Lebensmittel einkaufen gehen konnte. Als ich 2007 meine Führungsposition einnahm, war ich erstaunt, dass man sich für den Informationsaustausch auf informelle Kanäle verliess. Im Verlaufe der Jahre habe ich versucht, systematischere Information über Prozesse und Ressourcen bereitzustellen.

Gibt es etwas, das Sie nicht umsetzen konnten?

2017 hatte ich die Idee, Text- und Data-Mining anzuwenden, um die Publikationen der Eawag zu analysieren. Ich ging davon aus, dass eine solche Analyse Information liefern könnte, die es Forscherinnen und Forschern ermöglichen würde, ihre Projekte effizienter und mit weniger Doppelspurigkeiten zu gestalten. Es sollte ihnen ausserdem helfen, Kolleginnen und Kollegen (innerhalb der Eawag) zu finden, die ihnen nützliche Inputs für die geplanten Projekte liefern könnten. Leider hätte die Umsetzung der Idee damals das Schweizer Urheberrecht verletzt. Das Gesetz wurde zwar später geändert, aber ich hatte nicht mehr die Zeit, um darauf zurückzukommen.

Sie waren die erste Direktorin der Eawag. Welchen Rat können Sie Frauen in der Forschung heute geben?

Am wichtigsten ist es, sich bewusst zu sein, dass man nicht allein ist. Es gibt immer mehr Frauen in der Forschung, die ihre Erfahrung weitergeben und einander unterstützen können. Von vielen Männern kommt auch Unterstützung, entweder, weil sie ähnliche Anliegen im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit der beruflichen und privaten Verantwortung haben oder weil sie sich des Nutzens der Vielfalt bewusst sind, zugunsten von Innovation in der Forschung oder von beidem. Zusammenzuarbeiten, um zusammen Lösungen zu finden, ist nach meinem Empfinden der Weg zu nachhaltigem Erfolg.

Wie geht es für Sie nach der Pensionierung weiter? Haben Sie schon Pläne?

Nach meinen Ferien und einem dreiwöchigen Aufenthalt an der Arizona State University (ASU) werde ich zumindest die nächsten Jahre in Zürich tätig sein. Im Januar werde ich mit dem Global Institute of Sustainability and Innovation der ASU zusammenarbeiten, um Ideen für meine Abschiedsvorlesung zu sammeln über «Praxisnahe Forschung für die Ziele der nachhaltigen Entwicklung» (am 18. April an der ETH Zürich und am 25. April am EPFL). Zusätzlich zur Vorbereitung meiner Abschiedsvorlesungen werde ich weiterhin in einigen Beiräten vertreten sein und mich an Hochschulevaluationen beteiligen. Ich beabsichtige zudem, weiterhin Frauen in akademischen Führungspositionen zu unterstützen, da ich glaube, dass meine Erfahrung mich in die Lage versetzt, einen wertvollen Beitrag zu diesem wichtigen Thema zu leisten.
 

Prof. Dr. Janet Hering war von 2007 bis 2022 Direktorin der Eawag und ordentliche Professorin für Umweltbiogeochemie an der ETH Zürich sowie Professorin für Umweltchemie an der EPFL. Janet Hering trug als Direktorin wesentlich dazu bei, die Eawag zu einem weltweit anerkannten Forschungsinstitut zu entwickeln. Insbesondere stärkte sie den wissenschaftlichen Output der Fachpublikationen und die Betreuung von jungen Forschenden. Ein grosses Augenmerk legte Janet Hering auch auf den Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie Behörden. Janet Hering forscht an der Aufbereitung von verunreinigtem Wasser zu Trinkwasser, zum biochemischen Verhalten von Spurenmetallen und zunehmend auch zum Wissensaustausch zwischen Forschung, Gesellschaft und Politik. Sie promovierte 1988 in Ozeanografie am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und war von 1991 bis 1996 und ab 1996 als Professorin für Umweltwissenschaft und -technologie am California Institute of Technology und an der University of California tätig. Janet Hering hat sich in ihrer Zeit als Professorin und Direktorin sehr für Diversität und eine stärkere Vertretung von Frauen in wissenschaftlichen Führungsgremien und Professuren eingesetzt.

Titelbild: Seit 2007 hat Prof. Dr. Janet Hering die Eawag als Direktorin geleitet und das Schweizer Wasserforschungsinstitut nachhaltig geprägt.
(Foto: Eawag, Alessandro Della Bella)

Weiterführende Literatur

Hering, J. G. (2022) “Women’s success in academic leadership can and should be robust, not fragile”, Carte Blanche blog post, SCNAT, (also published in German and French)

Hering, J. G. (2022) “Eight Questions for Women Embarking on Academic Leadership”, 500 Women Scientists Fribourg-Bern blog

Hering, J. G., Green, S. A., Heckmann, L., Katehi, L. P. B., Maurice, P. A. and Young, S. (2022) “A call for an alliance between female academic leaders and early career researchers to improve the academic STEM system”, Elephant in the Lab, doi:10.5281/zenodo.6514731

Hering, J. G. (2021) “No room for discrimination or harassment”, ETH Zukunftsblog

Hering, J. G. (2019) “Learning for Leadership”, ETH Zukunftsblog

Hering, J. G. (2019) “Women as Leaders in Academic Institutions: Personal Experience and Narrative Literature Review”, Pure Appl. Chem., 91(2): 331–338, https://doi.org/10.1515/pac-2018-0603