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Eawag-Spin-off setzt auf Tests ohne Tierversuche
13. Juni 2017 |
Warum braucht es alternative Testmethoden?
Kristin Schirmer: Für die Zulassung neuer Chemikalien oder die Überprüfung von Abwässern muss getestet werden, ob die Substanzen oder Wasserproben ein Umweltrisiko darstellen. Dazu werden Versuche mit Algen oder Wasserflöhen durchgeführt; die Auswirkungen auf Wirbeltiere untersucht man jedoch mit Hilfe von Tierversuchen an Fischen. Pro Jahr sterben dafür weltweit Millionen von Fischen. So erfahren Behörden und Produzenten von Chemikalien mit dem „akuten Fischtoxizitätstest“, bei welcher Konzentration eines neu entwickelten Produktes – beispielsweise Pestizide oder Zusatzstoffe für Industriebereiche – Fische sterben, nachdem sie der Chemikalie für 96 Stunden ausgesetzt sind. Die Resultate sind wichtig, doch die Methode ist ethisch bedenklich. In diesem Spannungsfeld wollen wir etwas unternehmen und die Toxikologie weiterentwickeln. Unser Ansatz ist es, anstatt mit voll entwickelten Fischen, mit Fischzellen und Fischembryonen zu arbeiten.
Melanie Knöbel: Der Bedarf an Tests mit Fischen steigt, da einerseits die Ansprüche an die Umweltrisikobewertung wachsen, andererseits auch die Anzahl neuer Chemikalien und Produkte stetig steigt. Alternative Methoden sind daher erstrebenswert und ein kommerziell interessantes Gebiet. Zudem ermöglicht unser Ansatz, bereits während der Produktentwicklung mit unseren Kunden zusammenzuarbeiten. So können wir verhindern, dass das Endprodukt gefährliche Substanzen enthält.
Stephan Fischer: Bei den herkömmlichen Tests werden lediglich leicht beobachtbare Effekte wie das Sterben oder Überleben als Resultat erfasst. Damit lernt man nicht, wie diese Effekte hervorgerufen werden. Um Chemikalienwirkungen besser zu verstehen, müssen Auswirkungen zu früheren Zeitpunkten untersucht werden. Das gelingt uns mit alternativen Testsystemen. Wir können zum Beispiel molekulare oder biochemische Veränderungen in Fischzellen erkennen. Oder wir beobachten, wie sich Herzschlag oder Verhalten von Fischembryonen verändern. Damit können wir viel detailliertere Aussagen machen als bloss tot oder lebendig.
Wie funktionieren diese alternativen Testmethoden?
Kristin Schirmer: Wir sind in der Lage, Zellen aus Fischen zu isolieren und diese im Labor fast beliebig zu vervielfältigen. Eine solche Zellkultur bezeichnet man als eine Zelllinie. Mit ihrer Hilfe können wir Tests durchführen, ohne dass deswegen ein einziger Fisch leiden oder sterben muss. Anstelle des „akuten Fischtoxizitätstests“ verwenden wir zum Beispiel eine Zelllinie, die vor über 20 Jahren von kanadischen Kollegen aus den Kiemen einer Regenbogenforelle gewonnen worden ist. Diese Zellen setzen wir den Chemikalien aus; bereits nach 24 Stunden sehen wir die Auswirkung anhand der Zahl noch lebender Zellen. Wir haben mit unserer Forschung zeigen können, dass die daraus resultierenden wirksamen Chemikalienkonzentrationen sehr gut mit denen aus dem „akuten Fischtoxizitätstest“ übereinstimmen.
Mit den Fischzelllinien können wir auch Phänomene isoliert untersuchen, beispielsweise wie Chemikalien Enzyme aktivieren, die zur Entgiftung führen. Möchten wir Auswirkungen auf den gesamten Organismus analysieren, arbeiten wir mit befruchteten Fischeiern von Zebrabärblingen. Untersuchungen mit solch frühen Lebensstadien von Fischen – bis zu 120 Stunden alt – gelten gemäss Europäischer Gesetzgebung nicht als Tierversuche, weil das Nervensystem der Individuen noch unterentwickelt ist. Wir beobachten dann, wie ein gesamter, heranwachsender Organismus, der einer Chemikalie ausgesetzt wird, reagiert. So gewinnen wir mehr toxikologische Informationen über die getestete Substanz und deren Effekte als mit herkömmlichen Testverfahren. Zum Beispiel lässt sich die Aktivität von Transportern messen, die normalerweise Substanzen aus dem Organismus transportieren, aber durch Chemikalien in ihrer Arbeit blockiert werden. Oder wir analysieren Wirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem. Dank der Transparenz der Embryonen lässt sich das mit bildgebenden Verfahren detailliert untersuchen.
Bieten alternative Methoden weitere Vorteile nebst dem Vermeiden von Tierversuchen?
Melanie Knöbel: Die alternativen Testsysteme sind oft schneller – beispielsweise 24 Stunden für die Fischzellen gegenüber 96 Stunden im „akuten Fischtoxizitätstest“, benötigen weniger Testsubstanzen sowie viel weniger Platz im Labor. Das ermöglicht es, deutlich mehr Substanzen in gleicher oder kürzerer Zeit zu untersuchen. Zudem können wir dank der differenzierten Analysen Vorhersage-Modelle entwickeln und Kunden beraten, welche Art der Testdurchführung für ihre Produkte am besten geeignet ist. Herkömmliche Tests sind starr und bieten kaum Spielraum.
Ende letzten Jahres haben Sie den Eawag-Spin-off Aquatox-Solutions gegründet. Wie ist es zu diesem Schritt gekommen?
Stephan Fischer: Schweizweit sind wir derzeit die einzigen, die mit Zelllinien aus Fischen arbeiten. Auch Tests mit Fischembryonen werden noch nicht so häufig angeboten. Aus diesen Gründen kamen in den letzten Jahren vermehrt Anfragen von ausserhalb der Eawag, Tests mit diesen alternativen Methoden durchzuführen. Da die Eawag nicht kommerziell arbeitet, haben wir die Firma gegründet. Dies mit Hilfe der Eawag, die uns hervorragend unterstützt: Während der nächsten fünf Jahre können wir ihre Infrastruktur und Labore gegen Miete und Gebühren nutzen. Dadurch haben wir die Voraussetzungen, uns zu entwickeln und uns auf dem Markt zu etablieren.
Kristin Schirmer: Es ist eine Win-win-Situation. Denn alles, was mit der Erforschung alternativer Methoden anstatt Tierversuche zu tun hat, machen wir weiterhin bei der Eawag. Das heisst, die Grundlagen erarbeiten wir als Eawag-Umwelttoxikologen. Und das, was in diesem Zusammenhang wissenschaftlich etabliert ist und nun in der Praxis umgesetzt wird, können wir über Aquatox-Solutions anbieten. Unsere Firma ist sozusagen die Schnittstelle zur Praxis für alternative Testmethoden. Wichtig ist dabei auch, dass wir partnerschaftlich mit dem Oekotoxzentrum zusammenarbeiten, das an der Eawag und der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) ansässig ist. Auch das Oekotoxzentrum arbeitet an der Schnittstelle zur Praxis, jedoch mit anderen Schwerpunkten.
An welchen Herausforderungen arbeiten Sie zurzeit?
Kristin Schirmer: Innerhalb der Eawag betreiben wir weiterhin intensiv Grundlagenforschung für die Umwelttoxikologie: Es gibt zum Beispiel immer wieder Chemikalien, die weder mit dem herkömmlichen Fischtest noch mit den alternativen Methoden untersuchbar sind. Solchen Problematiken gehen wir nach, um die Gründe herauszufinden und Alternativen zu entwickeln. Mit Zelllinien und Computermodellen forschen wir daran, vorhersagen zu können, inwiefern sich Chemikalien in Fischen anreichern oder ob das Fischwachstum von Chemikalien beeinflusst wird.
Melanie Knöbel: Herausforderungen für unsere Firma liegen auch ausserhalb der Untersuchung von Chemikalien oder Umweltproben. Als Wissenschaftler ist für uns das operative Tagesgeschäft sowie der gesamte Auftritt unseres Spin-offs Neuland. An Businesskursen oder an Coachings durch die ETH Zürich erhalten wir wertvolle Inputs.
Gibt es erste Erfolge?
Stephan Fischer: Gleich nach unserem Start konnten wir ein umfangreiches Industrieprojekt gewinnen. Mit einem Toxizitätstests mit Embryonen (FET test = Fish Embryo Toxicity test) begleiten wir Untersuchungen, um Chemikalienwirkungen auf molekularer Ebene zu analysieren. Ein weiterer spannender Auftrag ist in Vorbereitung. Unser wichtigstes Ziel für das erste Jahr, nämlich Kundenaufträge in einem gewissen Gesamtvolumen zu akquirieren, haben wir fast erreicht.
Welche weiteren Ziele haben Sie sich gesetzt?
Stephan Fischer: Bis Ende Jahr möchten wir bei der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) einen Projektantrag einreichen. Ziel ist es, ein breit einsetzbares Test-Set für verschiedene Chemikalienwirkungen zu entwickeln und praxistauglich zu machen. Damit möchten wir neue Kunden gewinnen und unser Portfolio verbreitern. Bei guter Auftragslage möchten wir bald weitere Mitarbeiter einstellen, die uns im Labor unterstützen.
Melanie Knöbel: Die Weiterentwicklung unseres Angebots ist ein grosses Ziel. Dabei geht es in erster Linie um flexible Test- und Analysestrategien, die bestmöglich auf die Fragestellungen der Kunden angepasst sind und das Potenzial der Alternativmethoden ausschöpfen.
Kristin Schirmer: Mittelfristig erhoffen wir uns eine stabile Auftragslage, um dann auf eigenen Beinen zu stehen – mit eigenem Labor und mehr Mitarbeitenden.
Die Aquatox-Solutions GmbH
Forschung, Behörden und Industrie suchen schon länger nach neuen Wegen, um Tierversuche zu vermeiden. Unter der Leitung der Eawag, in Zusammenarbeit mit den beiden ETHs in Zürich und Lausanne sowie mit Kollegen aus dem Ausland haben Forschende neue Strategien entwickelt. Drei Eawag-Mitarbeitende haben dann im November 2016 den Spin-off „aQuaTox-Solutions“ mit Sitz in Wallisellen gegründet, um das Erarbeitete in der Praxis anbieten zu können.
Dr. Stephan Fischer, Geschäftsführer. Experte für molekulare und zell-basierte Analysen in Fischen, Fischzellen und Fischembryonen, insbesondere hinsichtlich der Überwachung von Gewässern und Abwässern. Ab August 2017 zu 100 Prozent als CEO.
Dipl.-Ing. (FH) Melanie Knöbel (links), Laborantin Umwelttoxikologie Eawag. War bei der Testentwicklung mit der Kiemenzelllinie der Regenbogenforelle beteiligt und hat dazu federführend eine internationale Validierungsstudie organisiert. Beteiligt bei der FET Test Validierung und dem Entwickeln der zugehörigen OECD-Richtlinie 236. In Nebenbeschäftigung beratend für den Eawag-Spin-off tätig.
Prof. Dr. Kristin Schirmer, Leiterin Abteilung Umwelttoxikologie Eawag. Pionierin für Fischzelllinien und Untersuchungen mit Fischembryonen; Arbeitet in Nebenbeschäftigung beratend mit.
Aquatox-Solutions legt den Fokus auf toxikologische Testmethoden mit Fischzellen und Fischembryonen. Damit beurteilt das Team Auswirkungen von verschiedensten Chemikalien und Produkten auf die Umwelt. Ein weiteres Geschäftsfeld des Spin-offs ist die Überwachung der Wasserqualität in Gewässern und im Abwasser. Unter anderem setzt die junge Firma dabei auf Analysen der Regulation verschiedener Gene aus Gewebeproben von Fischen sowie auch hier auf Zelllinien- oder Embryotests.
Im Fischraum der Eawag: Eine Laichschale wird in ein Becken eingesetzt, um Zebrabärblingseier für den FET-Test (Fisch Embryo Toxicity test) zu gewinnen.
(Martin Lehmann)
Begutachtung von Zebrabärblingseiern im Fischlabor. (Martin Lehmann)
Die Nähe zur Forschung – hier in einem Projekt mit Zellkulturen unter sterilen Bedingungen – ist ein grosses Plus für die junge Firma. (Eawag)