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Evolutionäre Physiologie und Adaption der Moorfrösche

7. Juli 2020 | Stephanie Schnydrig

Natürliche Lebensräume unterliegen zeitlich und räumlich bedingten Veränderungen, und heutzutage tragen menschliche Aktivitäten drastisch zu diesen Veränderungen bei. Umweltveränderungen wie der steigende Säuregehalt in Tümpeln können erhebliche Auswirkungen auf die langfristigen Perspektiven einer Spezies haben. Katja Räsänen von der Abteilung Aquatische Ökologie der Eawag erforscht, wie sich natürliche Populationen des Moorfrosches an Umweltveränderungen anpassen.

Sind Organismen schwierigen Umweltbedingungen ausgesetzt, bringt sie der Selektionsdruck dazu, sich anzupassen, was verschiedenste Veränderungen morphologischer, physiologischer oder verhaltensbezogener Merkmale zur Folge haben kann. Adaptive Mechanismen natürlicher Populationen sind für Katja Räsänen vom Wasserforschungsinstitut Eawag von besonderem Interesse.

In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit dem Moorfrosch, Rana arvalis, einer Spezies, die in Teilen Europas und Westsibiriens heimisch ist. «Der Moorfrosch dient uns als Hauptmodellsystem, um uns mit der übergeordneten Frage der Adaption natürlicher Populationen an Umweltveränderungen auseinanderzusetzen», führt Räsänen aus. Im Ökosystem Tümpel spielt diese Spezies in mehrfacher Hinsicht eine ökologisch wichtige Rolle. «Sie verbraucht nicht nur Ressourcen, sondern dient ausserdem Räubern als Nahrung und Parasiten als Wirt. Auch für den Austausch von Nährstoffen zwischen aquatischen und terrestrischen Ökosystemen spielt sie eine zentrale Rolle», so Räsänen.

Als Studienleiterin eines langjährigen Forschungsprojektes rund um den Moorfrosch möchte Räsänen jene Faktoren genauer unter die Lupe nehmen, die erklären, wie sich diese Spezies an die Versauerung ihrer Umwelt anpasst. Dafür erforscht sie mit ihrem Team mehrere unterschiedliche Moorfroschpopulationen entlang eines Versauerungsgradienten in Schweden, wobei die ph-Werte der Tümpel zwischen 4 und 7,3 rangieren. «Amphibien – so auch der Moorfrosch – werden erforscht, da sie eine wichtige ökologische Rolle spielen und empfindlich auf Umweltveränderungen reagieren.  Wir möchten das in einem grösseren Zusammenhang betrachten», so Räsänen weiter.

Ein Aspekt ihrer Forschung besteht darin, die Auswirkungen natürlicher und durch den Menschen verursachter Versauerung zu untersuchen. Diese führt zu einer natürlichen Selektion zahlreicher Merkmale des Moorfrosches, die sich von Anfang an über seinen gesamten Lebenszyklus erstreckt.

Versauerung der Umwelt

Versauerung kann zu erhöhter Mortalität von Amphibien führen und deren Entwicklung beeinflussen, sowie eine Veränderung der Verbreitung von Räubern mit sich bringen. «Die Auswirkungen von Versauerung sind im Embryonalstadium besonders drastisch. Eine Reihe von Studien, die über Jahrzehnte durchgeführt wurden, zeigen, dass Amphibienembryos in versauerten Gewässern oft nicht schlüpfen können», erklärt Räsänen. Die Daten lassen darauf schliessen, dass Veränderungen in der Hülle, welche die Embryos umschliesst (d.h. die Eihülle), dazu führen, dass diese nicht schlüpfen können. Man geht davon aus, dass dies einem maternalen Effekt zuzuschreiben ist – ein Thema, das Räsänen im Laufe ihrer Karriere umfassend untersucht hat. «Interessanterweise haben Eihüllen, die Mutterfrösche dieser Spezies in einer versauerten Umgebung produzieren, eine veränderte molekulare Zusammensetzung, die die Überlebenschancen von Embryos in versauerten Gewässern erhöht», erläutert sie.

Bei Kaulquappen können sowohl Säure als auch Räuber zu natürlicher Selektion führen. «Die klassischen Verteidigungsmerkmale von Kaulquappen hängen mit Verhalten und Morphologie zusammen. In manchen Umgebungen ist es für Kaulquappen zum Beispiel von Vorteil, schnell zu wachsen, da damit das Risiko sinkt, von Räubern gefressen zu werden, die keine grösseren Kaulquappen fressen können», so Räsänen.

Das Forschungsteam hofft, durch die Erforschung verschiedener Moorfroschpopulationen entlang des Versauerungsgradienten, wo das Vorkommen wirbelloser Räuber mit zunehmender Säurekonzentration ansteigt (während Fische und Molche gleichzeitig verschwinden können), genauer erfassen zu können, wie sich verschiedene Stressfaktoren auf die Adaption auswirken.

Die Morphologie des Kaulquappenschwanzes ist ein klassisches Verteidigungsmerkmal; eine höhere Schwanzflosse kann sich auf das Schwimmverhalten der Kaulquappe auswirken und ihre Verteidigung gegen Räuber verbessern. «Ist der Schwanz verhältnismässig gross, ist es wahrscheinlicher, dass wirbellose Räuber wie Libellenlarven statt des lebenswichtigen Hauptkörpers den Schwanz zu fassen bekommen», erklärt Räsänen. Ein höheres Auftreten wirbelloser Räuber in sauren Tümpeln kann zur Selektion von höheren Schwanzflossen führen. «Unsere bisherige Forschung hat uns gezeigt, dass Kaulquappen aus Populationen aus sauren Umgebungen höhere Schwanzflossen und bessere Überlebenschancen bei Begegnungen mit Räubern haben als solche aus Umgebungen mit neutralem ph-Wert. Laborversuche lassen darauf schliessen, dass es für diese morphologische Divergenz eine genetische Grundlage gibt», so Räsänen weiter.

Die Spezies Rana arvalis verbraucht nicht nur Ressourcen, sondern dient ausserdem Räubern als Nahrung und Parasiten als Wirt. Auch für den Austausch von Nährstoffen zwischen aquatischen und terrestrischen Ökosystemen spielt sie eine zentrale Rolle.

Die Eawag und die Universität Uppsala verfolgen derzeit das Ziel, jene Faktoren, die den morphologischen und verhaltensbezogenen Divergenzen von Kaulquappen zugrunde liegen, näher zu beleuchten. «Wir versuchen zu verstehen, wie sehr Stresshormone wie Corticosteron dazu beitragen, dass sich Spezies relativ schnell an Versauerung und damit zusammenhängende Umweltveränderungen anpassen können – was mehrdimensionale Veränderungen zur Folge haben kann», so Räsänen. Diese Arbeit ist von weiter gehender Bedeutung, wenn man der Frage auf den Grund gehen möchte, wie wahrscheinlich sich Organismen in Zukunft an Umweltveränderungen anpassen können.

«Wenn wir vorhersagen möchten, was in Zukunft passieren könnte, ist es äusserst wichtig zu verstehen, wie sich der Moorfrosch an Umweltbelastungen anpasst», betont Räsänen. Die Zukunft vorherzusagen ist eine herausfordernde Aufgabe mit zahlreichen Unsicherheiten. Dennoch glaubt Räsänen, dass es möglich ist, gewisse Vorhersagen zu treffen. «Was wir vorhersagen können ist, ob die Möglichkeit gewisser Reaktionen des Moorfrosches besteht oder nicht. Die spezifischen Auswirkungen dieser Veränderungen sind schwieriger vorherzusagen – hier ist es ausserdem wichtig, andere Faktoren, die gleichzeitig zu Veränderungen führen, sowie die natürliche Geschichte dieser Populationen zu berücksichtigen», führt sie weiter aus.

Dieses Projekt ist von weitreichender Bedeutung, da der Moorfrosch zwar einen Grossteil der Arbeit des Forschungsteam ausmacht, diese Spezies aber auch ein wirksames Modell ist, um allgemeine Adaptionsmechanismen zu verstehen. «Sie gibt in der Tat Aufschluss über allgemeine Prozesse, die als Reaktion auf Umweltveränderungen und verschiedene umweltbedingte Stressfaktoren entstehen können», erläutert Räsänen. Auch für das Management von natürlichen Populationen könnte es sich als wichtig herausstellen, diese evolutionären Prozesse besser zu verstehen. «Wir führen verschiedene Laborversuche durch, um Kausalzusammenhänge zwischen verschiedenen treibenden Faktoren herzustellen», so Räsänen. «Mit Hinblick auf Management müssen wir uns bewusst sein, dass die Populationen jeder beliebigen Art, die wir sehen, nicht wirklich identisch sind.»

Bei der Entwicklung von Management-Strategien müssen diese Unterschiede zwischen Populationen in Betracht gezogen und die umfassenderen Ziele im Blick behalten werden. Wenn man zum Beispiel Populationen einer bestimmten Spezies wiederherstellen möchte, ist es wichtig zu wissen, welcher Art von Selektionsdruck sie in der Vergangenheit ausgesetzt war. «Das Verständnis der Evolutionsgeschichte einer bestimmten Population einer Spezies hat einen Einfluss darauf, wie gut diese mit verschiedenen Veränderungen umgehen kann», erklärt Katja Räsänen.

Quelle

Dieser Artikel erschien in EU Research SPR20/P50.

Finanzierung

Schweizer Nationalfonds

Titelbild: Team Räsänen