Archiv Detail
Folgen künstlicher Temperaturänderungen noch wenig untersucht
5. September 2018 |
Immer öfter werden Gewässer als Wärmequelle für Heizungen oder zur Kühlung von Gebäuden oder Prozessen genutzt. Um zu heizen wird dem Wasser Wärme entnommen, und es wird kälter wieder zurück ins Gewässer geleitet. Die Firma Würth AG in Rohrschach beispielsweise heizt ihre Gebäude mit Wärme aus dem Bodensee. Umgekehrt ist es, wenn das Gewässer zur Kühlung genutzt wird: Dann erwärmt die Abwärme das Wasser, das mit höherer Temperatur zurück in Fluss oder See geleitet wird. Ein Beispiel eines solchen Systems ist das Kernkraftwerk Mühleberg bei Bern, das mit Wasser aus der Aare gekühlt wird. Gemäss früherer Untersuchungen wird das Flusswasser dadurch um 0,7 °C im Sommer und bis zu 2,4 °C im Winter erwärmt. Bei solchen Grössenordnungen spricht man von «thermischer Verschmutzung».
Riesiges Potenzial
Im Auftrag des Bundesamts für Umwelt haben Forschende der Eawag 2017 das Potenzial zur thermischen Nutzung für 36 Seen, 57 Flüsse und 9 Seeabflüsse abgeschätzt und grafisch dargestellt. Die Schätzung zeigt, dass der Vierwaldstättersee zum Beispiel jedes Jahr etwa 2900 Gigawattstunden (GWh) Energie liefern könnte. Der Wärmebedarf von 100 000 Einwohnern beträgt 700 bis 900 GWh. Der See könnte also theoretisch die ganze Region mit Wärme und Kälte versorgen.
Doch wie beeinflusst die Temperaturänderung des Wassers die aquatischen Ökosysteme? «Eine wichtige Frage, denn die Wassertemperatur ist ein zentraler Faktor für die Prozesse in den Lebensräumen», sagt Adrien Gaudard von der Eawag. Um die Auswirkungen einer thermischen Nutzung abschätzen und allfällige negative Einflüsse minimieren zu können, sind fundierte Kenntnisse der Prozesse und der Risiken der thermischen Nutzung nötig. Deshalb haben Forschende der Eawag und der Universität Bern in einer Literaturstudie nach physikalischen, chemischen und ökologischen Auswirkungen in Seen und Flüssen gesucht.
Viele Prozesse werden beeinflusst
«Die Änderung der Temperatur beeinflusst verschiedenste Prozesse im Gewässer – etwa die Zirkulation des Wassers und chemische Reaktionen», sagt Adrien Gaudard, der an der Studie beteiligt war. Wassermassen und Nährstoffe werden umgelagert, und der Sauerstoffgehalt kann sich ändern. Wasserflöhe, Schnecken, Fische und andere Lebewesen reagieren auf Temperaturschwankungen, ändern ihre Fressgewohnheiten oder passen die Geschwindigkeit ihres Stoffwechsels an. «Konkrete grossräumige Auswirkungen bestehender Wärmenutzungen stellten wir in der Literaturstudie aber kaum fest – sie wurden aber nicht immer fundiert untersucht», sagt Gaudard. Wie starke Temperaturänderungen ein Ökosystem erträgt, konnten die Forschenden aufgrund der vorhandenen Daten nicht pauschal ableiten. Gaudard erklärt: «Es ist schwierig, die Folgen von Temperaturveränderungen durch thermische Nutzung isoliert zu betrachten.»
Die Art und Weise ist wichtig
Einige generelle Aussagen ermöglichte die Literaturstudie dennoch: Entscheidend ist zum Beispiel, wie viel thermische Energie dem Gewässer entnommen oder zugefügt wird, und auf welche Art dies geschieht. «Gerade auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel hat eine Abkühlung des Wassers im Allgemeinen geringere Folgen als eine Erwärmung», so Gaudard. Wasserorganismen reagieren darauf weniger empfindlich, und die Effekte des Klimawandels auf das Gewässer werden abgeschwächt. Am heikelsten ist, wenn das Gewässer im Sommer zur Kühlung genutzt und so erwärmt wird. Dadurch verstärken sich die Effekte des Klimawandels und der Hitzestress für die Organismen.
Wird ein See im Sommer für Kühlzwecke genutzt und im Winter zum Heizen, ändert sich die Temperatur über das ganze Jahr betrachtet weniger stark. «Dies zeigte eine frühere Modellstudie zum Bodensee», sagt Gaudard. Auch können lokale Auswirkungen minimiert werden, wenn das Wasser dort wieder ins Gewässer zurückgeführt wird, wo der Temperaturunterschied zum umgebenden Wasser am kleinsten ist: Wird im Sommer zur Kühlung Wasser aus tiefen Seeschichten entnommen, sollte dieses also in einer höheren, wärmeren Schicht in den See zurückgeleitet werden. «Dabei wird allerdings Wasser verlagert und es gilt darauf zu achten, dass damit nicht auch wichtige Nährstoffe umgelagert werden», ergänzt Gaudard.
Der Artenzusammensetzung Rechnung tragen
Die saisonale Temperatur eines Gewässers variiert von Jahr zu Jahr. Sind die Temperaturänderungen durch die thermische Nutzung deutlich kleiner als diese natürlichen Schwankungen, sind kaum negative Auswirkungen für die Ökologie zu erwarten. Leider findet dies in aktuellen rechtlichen Vorgaben – von denen überhaupt nur wenige vorhanden sind – oft keine Beachtung.
Den in einem Gewässer vorkommenden Arten tragen die Regulierungen nur in wenigen Ländern Rechnung. Eine Ausnahme ist das Schweizer Gewässerschutzgesetz: Es gibt vor, dass die Temperatur eines Flusses in Forellengebieten nur um 1,5 °C geändert werden darf – ausserhalb der Forellenregionen sind 3 °C zulässig. Unabhängig von diesen Richtwerten gilt, dass eine Wärmeeinleitung die Wasserqualität nicht so verändern darf, dass die typischen Lebensgemeinschaften in einem Gewässer nicht mehr gedeihen können. Die Forschenden begrüssen diese spezifischen Vorgaben: «Um der Diversität aquatischer Habitate Rechnung zu tragen, muss diese auch in der Gesetzgebung berücksichtigt werden», sagt Gaudard.
Ganzheitliche Betrachtung nötig
Mit Ausnahme der Kernkraftwerkkühlungen in Mühleberg und Beznau verändern die heute vorhandenen und geplanten Anlagen für thermische Nutzungen die Gewässertemperatur relativ wenig, meist nur im Bereich von einem Hundertstel Grad Celsius. «Der Klimawandel und vielerorts auch die Wasserkraftnutzung, Abwasserreinigungsanlagen oder die Siedlungsentwässerung haben einen deutlich grösseren Einfluss», erklärt Gaudard. Um abschätzen zu können, welches Mass an Temperaturänderung ein Gewässer erträgt, muss zudem bekannt sein, wie sich die eingeleitete Wärme verteilt und ob lokale ökologische Auswirkungen auch grossflächig Folgen haben. «Auch das Thema der Ökosystemfunktionen ist noch nicht genügend erforscht», fügt Gaudard hinzu. «Kann zum Beispiel ein See seine Funktion als Lieferant von Trinkwasser noch erfüllen, wenn er zu stark erwärmt oder abgekühlt wird?» Gerade im Hinblick auf das grosse Potenzial der Wärmenutzung gewinnt eine grossflächige Betrachtung all dieser Faktoren weiter an Bedeutung. Statt einer Einzelfall-Beurteilung rät Forscher Gaudard, ganze Einzugsgebiete zu betrachten, «nicht nur zum Schutz der Gewässerökosysteme, sondern auch aus Gründen der Gerechtigkeit», sagt er. Es könne ja nicht sein, dass Betriebe oder Siedlungen den Oberlauf von Fliessgewässern so stark erwärmen würden, dass für andere weiter unten keine Nutzungen mehr möglich seien.
Publikation
Grafiken
Prinzip der Heizung mit Seewasser: Seewasser wird zu einem Wärmetauscher geführt, wo es die Flüssigkeit des Sekundärkreislaufes erwärmt. Mit der abgegebenen Energie wird mit Hilfe einer Wärmepumpe ein Gebäude geheizt, das abgekühlte Seewasser gelangt zurück ins Gewässer.
Wichtige temperaturabhängige Prozesse in einem Fluss und mögliche Folgen ihrer Beeinflussung durch eine thermische Einleitung.