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Kurzzeitige Konzentrationsspitzen werden stark unterschätzt
4. Dezember 2020 |
Es ist eigentlich erst ein Prototyp. Doch das fahrbare, vollautomatisierte Wasserlabor MS2field liefert bereits zuverlässige und zudem brisante Daten. In einem heute in der Zeitschrift Aqua&Gas publizierten Artikel beschreiben die verantwortlichen Forschenden der Eawag nicht nur, wie die Plattform funktioniert, sondern auch wie sie damit an einem kleinen Bach im Landwirtschaftsgebiet Pestizidkonzentrationen gemessen haben.
Akuttoxische Spitzen
Weil MS2field alle 20 Minuten automatisch eine Probe nimmt, aufbereitet und analysiert, konnten die grossen Veränderungen der Konzentrationen – mehrere Grössenordnungen innerhalb von Stunden und Tagen – erstmals derart deutlich nachgewiesen werden. In derselben Messperiode wurden auch herkömmliche Mischproben, in diesem Fall jeweils über 3,5 Tage, entnommen und herkömmlich im Labor analysiert. So konnte aufgezeigt werden, wie stark mit der traditionellen Methode Konzentrationsspitzen unterschätzt werden, weil sie verpasst, respektive verdünnt werden. Am Beispiel des Insektizids Thiacloprid wurde auch klar, dass die kurzzeitigen Konzentrationsspitzen ökotoxikologisch bedeutend sind: So wurde das in der Gewässerschutzverordnung verankerte Qualitätskriterium, das eine akute Schädigung von Gewässerorganismen verhindern soll, mehrmals und um ein Vielfaches (bis zu 30-fach) überschritten. Für viele Pestizide übertrafen die Höchstkonzentrationen der 20minütigen MS2field-Messungen die Konzentrationsmittelwerte wie sie mit den 3.5-Tagesmischproben ermittelt wurden bis um das 170fache.
Das mobile Wasserlabor im Test am Chriesbach vor der Eawag in Dübendorf.
(Foto: Eawag, Aldo Todaro)
Herkömmliche Mischproben unterschätzen Risiko massiv
Christian Stamm, Mitautor der Studie und stellvertretender Leiter der Eawag-Abteilung für Umweltchemie, hält fest, wie bedeutend diese klaren Befunde sind: «Das Erfassen von Spitzenkonzentrationen ist für die ökotoxikologische Bewertung der Gewässerbelastung enorm wichtig. Für gewisse Pestizide haben bereits Spitzen von weniger als einer Stunde negative Auswirkungen auf aquatische Organismen. Und treten Konzentrationsspitzen wiederholt auf, kann eine zweite oder dritte Spitze noch grössere Wirkung haben – selbst wenn sie weniger hoch ist als die erste, weil sich die Organismen in der Zwischenzeit nicht erholen konnten. Dieses Risiko wird in Mischproben übersehen.»
Bald passend für den Rucksack?
Die am Projekt MS2field beteiligten Forscherinnen und Forscher sind zuversichtlich, dass ihre automatische Messplattform eine grosse Zukunft hat. Umweltanalytiker Heinz Singer nennt als mögliche Anwendung die Messungen im Zu- und Ablauf einer Kläranlage. Hier könnten die Online-Daten helfen, die Reinigungsleistung für Spurenstoffe zu optimieren oder bei Regen stark belastetes Wasser gezielt zurückzuhalten. Weil MS2field die bisher oft lange Zeitspanne zwischen Probenahme und Vorliegen der Resultate extrem verkürzt, ist auch ein Einsatz in der Trinkwasserüberwachung denkbar. Digitalisierung und Miniaturisierung gehen laufend weiter. Singer ist sicher: In einigen Jahren wird MS2field nicht mehr einen ganzen Autoanhänger beanspruchen, sondern es wird tragbare, feldtaugliche Mini-Labors geben. «Wir haben für diese Entwicklung wichtige Schritte gemacht», sagt er und zieht das Mobiltelefon aus der Tasche um die Messresultate vom aktuellen Einsatz des MS2field auf einer Kläranlage abzurufen.
Nahezu in Echtzeit können die Messdaten selbst auf dem Mobiltelefon abgerufen werden. (Foto: Eawag)
Automatisiert, mobil, präzise
«MS2field» hat das interdisziplinäre Eawag-Team sein fahrbares Wasserlabor getauft. «MS» steht für das in der Messplattform verbaute Massenspektrometer und mit dem Zusatz «to field» wird auf den flexiblen Einsatz draussen, im Feld, auf einer Kläranlage oder an einem Gewässer hingewiesen. Nebst dem Massenspektrometer als Herzstück, besteht das System aus einer automatischen, kontinuierlichen Probenahme und Filtration, einem Probeanreicherungsmodul und einem Flüssigchromatographen. Schliesslich werden die Daten auch automatisiert ausgewertet und verschlüsselt via Mobilfunknetz an einen Eawag-Server übermittelt. Zurzeit ist einmal pro Woche eine Kontrolle und Wartung des Systems nötig.
Blick ins Innere des Messanhängers.
(Foto: Eawag)
Originalartikel
Anne Dax, Michael Stravs, Christian Stamm, Christoph Ort, Daniele La Cecilia, Heinz Singer (Eawag)
Titelbild: Eawag