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Renaturieren, wo die Natur am meisten profitiert

8. Februar 2019 | Stephanie Schnydrig

In den kommenden Jahrzehnten sollen viele Schweizer Fliessgewässer ihren natürlichen Charakter zurückerhalten. Um herauszufinden, welche Gewässerabschnitte ökologisch am sinnvollsten zu renaturieren sind, haben Forschende der Eawag ein bestehendes Bewertungsverfahren weiterentwickelt.

Kaum ein Schweizer Fluss oder Bach fliesst heute noch in seinem natürlichen Bett. Rund 15‘000 Kilometer Fliessgewässer hat der Mensch seit dem 18. Jahrhundert gebändigt, indem er künstliche Schwellen und Uferbefestigungen baute sowie Flüsse und Bäche begradigte. Unter diesen so entstandenen eintönigen Lebensräumen hat die Artenvielfalt stark gelitten. Das hat auch der Bund erkannt und die Kantone beauftragt, bis im Jahr 2090 rund 4'000 Kilometer Flüsse und Bäche zu renaturieren.

Aber: Wo beginnen? Und nach welchen Kriterien sollen die zu renaturierenden Gewässerabschnitte ausgewählt werden? Dieser Frage gingen auch Forschende der Abteilung Systemanalyse und Modellierung nach und haben ein neues Bewertungsverfahren entwickelt, mit dem man verschiedene Kombinationen von Renaturierungsmassnahmen durchrechnen kann. «Damit lässt sich herausfinden, wo es sich für das gesamte Ökosystem besonders lohnt zu renaturieren», sagt die Umweltwissenschaftlerin Nele Schuwirth, die gemeinsam mit Peter Reichert und Mathias Kuemmerlen das Verfahren ausgearbeitet hat. «Zudem lassen sich mit unserer Methode Defizite des heutigen Gewässerzustands aufzeigen und Szenarien zur zukünftigen Entwicklung beurteilen.»

Gesamtheitliche Bewertung

In einem ersten Schritt fasst das neue Verfahren die vorhandenen physikalischen, chemischen und biologischen Bewertungen der einzelnen Abschnitte eines Gewässers zusammen. In einem zweiten Schritt wird ermittelt, wie einzelne Gewässerabschnitte den Gesamtzustand des Einzugsgebiets beeinflussen – basierend auf den folgenden fünf Kriterien:

  • Ökologischer Zustand
  • Naturnahe Durchgängigkeit des Gewässernetzes zur freien Fischwanderung
  • Möglichst grosse zusammenhängende Lebensräume in gutem Zustand
  • Geringe Fragmentierung
  • Naturnahe Vielfalt an Lebensräumen

Ziel des neuen Verfahrens ist nicht nur, den ökologischen Nutzen von Renaturierungsprojekten zu vergrössern, sondern auch Entscheidungsträger zu unterstützen: Zum einen soll die Methode die Koordination verschiedener Massnahmen erleichtern. Zum anderen können Synergien und Konflikte mit anderen wichtigen Gewässerdienstleistungen – etwa dem Hochwasserschutz und der Trinkwassergewinnung – in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. «Für die Akzeptanz in der Bevölkerung sind solche transparenten Prozesse essentiell», sagt Nele Schuwirth. Das vorgeschlagene Verfahren werde nun mit Kantonsvertreterinnen und Kantonsvertretern diskutiert und weiter verfeinert.

Diese Studie entstand im Rahmen des von der EU geförderten Projekts «Aquacross». Dieses hatte zum Ziel, europäische Bemühungen zum Schutz der Biodiversität in Europas Seen, Flüssen, Küsten und Ozeanen zu unterstützen. 

Originalpublikation

Kuemmerlen, M.; Reichert, P.; Siber, R.; Schuwirth, N. (2019) Ecological assessment of river networks: from reach to catchment scale, Science of the Total Environment, 650, 1613-1627, doi:10.1016/j.scitotenv.2018.09.019, Institutional Repository