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Schweizer Forscher erfinden eine neue Toilette
15. August 2012 |
22 Universitäten und Forschungsanstalten hat die «Bill and Melinda Gates Foundation» 2011 für die «Re-Invent the Toilet Challenge» (RTTC) angeschrieben. Ziel des Wettbewerbs: Erfindet die Toilette der Zukunft! Die Bedingungen: Das neue Klo soll ohne Kanalisation und Fremdenergie auskommen, in Stoffkreisläufe eingebaut sein und darf nicht mehr als fünf Cents pro Tag und Person kosten. Ende 2011 waren noch acht Teams im Rennen, darunter so renommierte Institute wie das Massachusetts Institute of Technology in Boston oder das California Institute of Technology. Gestern konnten sie alle ihre Projekte in Seattle (USA) vorstellen. Das Team des Schweizer Wasserforschungsinstituts Eawag und des Designbüros EOOS aus Wien hat es unter die besten geschafft: Die «diversion»-Toilette wurde von der Stiftung für ihr herausragendes Design mit einem speziellen Anerkennungspreis und 40‘000 US Dollar ausgezeichnet.
Toilette ist auch kleines Wasserwerk
Die Projektleitung lag in den Händen der Verfahrensingenieurin Tove Larsen. Seit Jahren befasst sie sich an der Eawag mit der Separierung von Urin und Fäkalien. «Es lag auf der Hand, die Trenntechnologie auch für das Wettbewerbsmodell einzusetzen», sagt Larsen, «nur sie erlaubt die effiziente Rückgewinnung der wertvollen Rohstoffe aus Urin und Fäkalien und eine einfache Wiedergewinnung von Wasser.». Eine in allen Kulturkreisen und von allen Benutzerinnen und Benutzern akzeptierte Trenntoilette gibt es aber noch nicht. Also musste sie entwickelt und designt werden. Herausgekommen ist ein modernes Steh-Klo. Das Besondere daran ist nicht nur die separate Ableitung des Urins und ein raffinierter Geruchsverschluss. Vielmehr steht im Modell «diversion» des Eawag-EOOS-Teams auch ein wenig Wasser zur Verfügung, ungefähr ein bis anderthalb Liter pro Toilettenbenutzung. «Das ist absolut entscheidend für die Reinigung des Klos, das Händewaschen und die von Muslimen und Hindus praktizierte Analhygiene mit Wasser», sagt Larsen. Einen Wasseranschluss braucht die neue Trenntoilette trotzdem nicht. Jedes Mal, wenn eine Benutzerin oder ein Benutzer mit dem Fusspedal Wasser in das kleine Wasserreservoir pumpt, wird hinter der Toilette nämlich auch verbrauchtes Wasser hochgepumpt. Dieses wird dann über einen Membranfilter gereinigt. Eine einfache, solarbetriebene Elektrode sorgt ausserdem via Elektrolyse dafür, dass dieses Brauchwasser garantiert frei ist von Krankheitskeimen.
Ein Geschäftsmodell für das Geschäft
Für Tove Larsen ist nicht nur die neue Technologie in der Toilette entscheidend. «Wichtig ist, dass unsere Toilette eingebaut ist in ein ganzes Sanitärsystem, das von Einheimischen betrieben werden kann – kostendeckend oder sogar mit einem Gewinn.» Das Eawag-EOOS-Team hat daher viel investiert in die Untersuchung und Entwicklung einer Transportlogistik, welche an die Verhältnisse in den boomenden Hüttensiedlungen der Entwicklungsländer angepasst ist. Ein modulares System von selbst schliessenden Fäkaliencontainern und Urinfässern mit Fahrzeug macht die Sammeltour effizient und hygienisch ebenso sicher wie die Toilette selbst. Schliesslich habe sich die Forschenden auch bereits zurecht gelegt, wie in semi-zentralen Behandlungsanlagen Urin und Fäkalien kontrolliert zu verkäuflichen Produkten verarbeitet werden können, also zum Beispiel in Dünger und Biogas. So ist ein ganzes Businessmodell entstanden für die «diversion»-Toilette, eine Art Contracting: Ein einheimischer Unternehmer vermietet die Toiletten den Benutzerinnen und Benutzern, managt die Sammeltouren, betreibt die Behandlungs- und Aufbereitungsanlage und verkauft deren Produkte.
Herausforderung steht noch bevor
Das Preisgeld von 40‘000 USD der «Bill and Melinda Gates Foundation» ist Lohn und Lob für das Forscherteam. Ausruhen auf den Lorbeeren können sich die Ingenieurinnen, Techniker, Sozialwissenschaftler und Designer aber nicht. Bis jetzt haben sie nachgewiesen, dass ihr System funktionieren könnte. Nun müssen echte Prototypen der Toilette gebaut und getestet werden. Das ist bis Ende 2013 geplant. Eine gesicherte Finanzierung fehlt allerdings noch, drei namhafte Zuschüsse der Gates-Foundation gingen an andere Projekte. Bis die «diversion»-Toilette, die Sammelfahrzeuge und die Verarbeitungsanlagen also weltweit in grossen Stückzahlen im Einsatz stehen, werden wohl noch einige Jahre vergehen. Für Larsen steht aber heute schon fest: «Ob sich unser System wirklich durchsetzen kann, hängt davon ab, wie gut unser Geschäftsmodell ist. Keine Lösung, die permanent auf Subventionen angewiesen ist, wird langfristig funktionieren.»