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Thallium: Giftig, aber wenig bekannt
28. Juli 2020 |
Im Kriminalroman «Das fahle Pferd» liess Agatha Christie ihre Mordopfer an einer Thalliumvergiftung sterben. Die Autorin beschreibt, wie die Vergiftung vonstattengeht: Am Anfang sind die Symptome kaum von einer Grippe zu unterscheiden. Erst in der späteren Phase einsetzender Haarausfall und Streifen auf den Fingernägeln sind Anzeichen dafür - doch dann ist es bereits zu spät für ein rettendes Gegengift. Gerade weil eine Thalliumvergiftung schwierig zu diagnostizieren ist, war die geruchs- und geschmacksneutrale Substanz eine beliebte Mordwaffe.
Das für Menschen in kleinsten Dosen giftige Metall kommt aber nicht nur in Giftcocktails vor, sondern auch in der Umwelt als Folge industrieller Prozesse wie der Zementherstellung oder dem Abbau von Erzen und Kohle. Und: Thallium kann sich auch natürlich in Böden anreichern, auch an gewissen Orten in der Schweiz. So hat im Jahr 2013 das Amt für Umwelt und Energie des Kantons Basel-Landschaft entdeckt, dass Böden im Gebiet der Erzmatt in der Gemeinde Buus hohe natürliche Thalliumgehalte aufweisen. Die Konzentrationen reichen bis zu mehreren tausend Milligramm pro Kilogramm. Zum Vergleich: Normalerweise liegen die Gehalte zwischen 0,01 bis 1 Milligramm Thallium pro Kilogramm Boden.
Häxeblätz bei Bretzwil/BL: Noch eine Stelle mit viel Arsen und Thallium. Artikel in 20-Minuten vom 10. Juli 2020.
Wissenschaftlichen Studien praktisch inexistent
Per Zufall erfuhr der Geochemiker Andreas Voegelin von der Abteilung Wasserressourcen und Trinkwasser vom Thalliumvorkommen auf der Erzmatt. Nachdem er die wissenschaftliche Literatur gesichtet hatte, stellte er fest: «Zum Umweltverhalten von Thallium weiss man sehr wenig.» Seither beschäftigt das Metall den Forscher.
In einer ersten Studie untersuchte er mit seinem Team, in welcher chemischen Form Thallium in den Böden der Erzmatt vorkommt. Diese Information hilft zu bestimmen, wie löslich Thallium im Boden ist und ob es potentiell von Pflanzen aufgenommen oder ins Grundwasser gelangen kann. Fazit: In tiefen Bodenschichten ist das Thallium vor allem in Verwitterungsprodukten von Erzmineralien gebunden, die Ähnlichkeiten mit der weltweit bekannten Thalliumvererzung Lengenbach im Binntal aufweist. Im Oberboden hingegen ist das Metall hauptsächlich am Tonmineral Illit gebunden, aber auch an Manganoxiden.
Vor vier Jahren stiess der Geologe Silvan Wick als Doktorand zum Team von Voegelin, um in Laborexperimenten mit reinen Mineralien sowie mit Böden von der Erzmatt zu untersuchen, wie genau Thallium chemisch mit Illit und Manganoxiden reagiert. Die Doktorarbeit war ein gemeinsames Projekt der Eawag, des Paul-Scherrer-Instituts und der ETH Zürich. Um die Art der chemischen Bindung von Thallium zu bestimmen, nutzte er unter anderem die Methode der Röntgenabsorptionsspektroskopie an Synchrotron-Lichtquellen. «Aus der Arbeit resultieren Modelle die erlauben, die Löslichkeit von Thallium in Böden anhand der Bodenzusammensetzung abzuschätzen», erklärt Wick. Für den Standort Erzmatt zeigt sich zudem, dass die relativ geringe Löslichkeit des Thalliums darauf zurückzuführen ist, dass das Metall im Verlaufe der Bodenbildung zu einem wesentlichen Anteil in die Struktur des Bodenminerals Illit eingebaut wurde.
Natürliche Thallium-Vorkommen in anderen Gebieten
«Für Thallium existieren in der Schweiz keine Grenzwerte, weshalb das Schwermetall in Umweltproben normalerweise nicht mitbestimmt wird», sagt Andreas Voegelin. Ausgehend von der Entdeckung des Standorts Erzmatt stellte sich daher die Frage, ob erhöhte Thalliumgehalte auch andernorts vorkommen könnten. Daher haben Voegelin und der Techniker Numa Pfenninger in den zwei letzten Jahren im Baselbieter Jura und angrenzenden Gemeinden Trink- sowie Bachwasser untersucht. Die Ergebnisse bestärken den Hinweis aus einer Studie des Bundesamts für Gesundheit: Im Gebiet der Nordwestschweiz können erhöhte geogene Thalliumgehalte im Wasser vorkommen. Allerdings liegen die gemessenen Gehalte stets deutlich unter dem Trinkwassergrenzwert der USA von 2 Mikrogramm pro Liter Wasser und dürften somit keine Gefährdung der Gesundheit darstellen.
Titelbild: Aldo Todaro