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Zugewanderte fressen weniger als Einheimische
20. April 2018 |
Das Leben in Süsswasser-Gewässern hängt stark von der Nahrungszufuhr aus terrestrischen Lebensräumen ab. Zu den wichtigsten Energiequellen gehören beispielsweise Herbstlaub oder Holzresten. Der sogenannte Detritus wird als erstes hauptsächlich von Makroinvertebraten zerkleinert und verspeist. Diese wirbellosen Kleintiere – dazu zählen unter anderem Schnecken, Insekten, Würmer und Flohkrebse – dienen einer ganzen Reihe von grösseren Tieren als Nahrung. Sie spielen daher innerhalb des Nahrungsnetzes eine zentrale Rolle.
In der nördlichen Hemisphäre sind die Flohkrebse (Amphipoden) von besonderer Bedeutung: In vielen Gewässern machen sie innerhalb der Makroinvertebraten einen Grossteil der Biomasse aus. Zudem ist bekannt, dass sie Laubstreu und anderes organisches Material abbauen. Wenn sich die Artenzusammensetzung der Flohkrebse verändert, kann dies die Prozesse in Gewässern unter Umständen entscheidend beeinflussen.
Die Auswirkung invasiver Flohkrebsarten abschätzen
Schon seit den 1990er-Jahren ist bekannt, dass neue Flohkrebsarten in Schweizer Gewässer einwandern. Dafür gibt es verschiedene Ursachen – etwa Verschleppung durch den Menschen, die Schifffahrt oder die Verbindung verschiedener Gewässereinzugsgebiete durch Kanäle. «Wir haben also guten Grund, hier genauer hinzuschauen», sagt Florian Altermatt, Leiter der Forschungsgruppe ‚Räumliche Dynamiken‘ an der Eawag. «Es ist wichtig, zu wissen, wie diese Zuwanderungsprozesse ablaufen und wie sie sich längerfristig auf die Gewässer auswirken.»
Hierzu hat die Biologin Chelsea Little im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Eawag in den vergangenen drei Jahren neue Entdeckungen gemacht. Mit einer Metaanalyse bereits existierender Forschungsarbeiten und mit Laborversuchen konnte sie zeigen, dass zugewanderte Flohkrebsarten Laubstreu weniger stark abbauen als einheimische Arten, obwohl sie grösser sind.
Auf den ersten Blick ein alarmierendes Resultat, sollte die Nahrungskette dadurch auseinander brechen. Doch Little wies im Labor nach, dass der Nährstoffabbau weiterhin recht hoch bleiben kann, wenn einheimische und zugewanderte Arten nebeneinander existieren. «Unsere Feldstudien zeigten: Einheimische Arten werden nicht unbedingt vollständig durch neue Arten ersetzt», erklärt Little.
Neuer Ansatz im Labor
In den Laborversuchen legte Little Wert darauf, die Natur möglichst realistisch nachzubilden. Anstatt jeweils nur eine einzelne Flohkrebs- oder Laubart zu untersuchen, arbeitete sie gleichzeitig mit drei verschiedenen in Mitteleuropa vorkommenden Amphipoden-Arten. Diese weisen sehr unterschiedliche Herkunfts- und Evolutionsgeschichten auf: Gammarus fossarum (einheimisch) Gammarus roeselii (in Zentraleuropa seit etwa 1850) und, Dikerogammarus villosus (in den 1990er-Jahren zugewandert). Zudem setzte sie auch auf eine relativ grosse Blättervielfalt und sammelte zu diesem Zweck in der Umgebung von Zürich Laub von sechs in Auenlandschaften häufig vorkommenden Baumarten [1], darunter Schwarzerle, Salweide und Rotbuche.
«Dieses Vorgehen hat uns ganz neue Erkenntnisse gebracht», sagt Altermatt. Ein Beispiel: Der häufigste einheimische Flohkrebs, Gammarus fossarum, habe im Labor das Laubstreu aus verschiedenen Blattarten weniger schnell abgebaut, als sie aufgrund früherer Arbeiten erwartet hätten. Altermatt: «Die Zahlen von Versuchen mit Monokulturen lassen sich offenbar nicht einfach auf Versuche mit grösserer Artenvielfalt extrapolieren.» Um akkuratere Schätzungen der Konsumationsrate zu erhalten, seien weitere Experimente mit verschiedenen Artenkombinationen vonnöten.
Zusätzliche Feldversuche
Doch wie werden Arten in der freien Natur verdrängt? Wann und wie bilden sich Koexistenzen in einer natürlichen Umgebung? Um ein besseres Bild über diese Prozesse zu erhalten, führte Chelsea Little in zehn Bächen, die in den Bodensee münden, Untersuchungen durch.
«Wir wissen, dass in der Schweiz die nicht einheimischen Arten bereits rund die Hälfte der in oberirdischen Gewässern vorkommenden Flohkrebsarten ausmachen», erklärt Altermatt. Davon betroffen seien jedoch vor allem grosse Flüsse und Seen. In kleinen Bächen seien nach wie vor die einheimischen Arten vorherrschend, und diese kleinen Bäche machten den grössten Teil des Flusssystems aus. «Hinzu kommt, dass die Energiezufuhr hauptsächlich hier, in den feinen Äderchen des Gewässersystems, stattfindet. Flüsse und Seen nehmen prozentual weniger Detritus auf», ergänzt Altermatt
Bei den Feldversuchen zeigte sich unter anderem, dass die Koexistenz von verschiedenen Arten weit weniger häufig vorkam, als erwartet. Dies, obwohl die lokalen ökologischen Gegebenheiten an vielen der rund 120 Probepunkte für mehrere Arten geeignet gewesen wären. Oft blieb eine Art dominant, manchmal eine einheimische, manchmal eine zugewanderte. «Grund dafür ist möglicherweise die Reihenfolge, in der die Arten die Stelle besiedelt haben», vermutet Little. In der Botanik sei dieser «Priority-Effekt» breiter erforscht. Chelsea Littles Studie legt nahe, dass er auch bei Flohkrebsen eine Rolle spielen könnte.
Wie kommt es, dass auch invasive, also spät zugewanderte Arten vom Priority-Effekt profitieren können? «Kleine Bäche trocken manchmal aus, oder ein Bestand wird durch eine Gewässerverschmutzung ausgerottet», erklärt Little. «Je nachdem welche Art sich danach als erste an einem bestimmten Standort etabliert, wird sie dann diese Lokalität dominieren.»
Prozesse in Artgemeinschaften weiter untersuchen
In einigen Monaten wird Chelsea Little ihre Doktorarbeit abschliessen. Bereits jetzt ist klar, dass sie das Thema in Zusammenarbeit mit Florian Altermatt weiter untersuchen wird. «Die Fragen, wie Ko-Existenzen entstehen oder wie einzelne Arten durch andere ersetzt werden, werden uns noch eine Weile beschäftigen», so Altermatt.
[1] (Acer pseudoplatanus, Alnus glutinosa, Fagus sylvatica, Populus nigra, Quercus robur, sowie Salix caprea)
Wissenschaftliche Publikationen und Finanzierung
Die im Text erwähnte Laboruntersuchung wurde in Ecological Monographs publiziert (online), https://doi.org/10.1002/ecm.1299
Der wissenschaftliche Bericht über die Feldversuche erschien in Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, https://doi.org/10.1098/rspb.2018.0205
Beide Arbeiten wurden durch den Schweizerischen Nationalfonds finanziert.
Fotos
Flohkrebse ernähren sich von Laub und anderem organischen Material, das vom Land ins Wasser gelangt.
(Foto: Chelsea Little, Eawag)
Im Labor untersuchte Eawag-Doktorandin Chelsea Little, wie drei Flohkrebsarten gemischtes Laub aus Auenwäldern abbauen.
(Fotos: Pravin Ganesanandamoorthy & Chelsea Little, Eawag)