Mikroverunreinigungen in Echtzeit überwachen

Beitrag aus dem Infotag-Magazin 2022

Die Resultate erstaunten selbst die Forschenden: In einem kleinen Bach – der wie manch anderer durch Äcker und Obstplantagen fliesst – liessen sich im Frühsommer 2019 punktuell Pestizidkonzentrationen messen, welche die zulässigen Höchstwerte um das bis zu 30-fache überschritten. Sichtbar gemacht hat dies «MS2field» oder zu Deutsch ein «ins Feld gebrachtes Massenspektrometer».

Für den Umweltingenieur Christoph Ort war das begrenzte Wissen über solche Umweltschadstoffspitzen in Gewässern der Hauptgrund, warum er zusammen mit seinem Kollegen, dem Umweltchemiker Heinz Singer, das Gerät MS2field entwickelt hat: «Bei den bisherigen Methoden für Gewässeruntersuchungen muss man viel Zeit und Geld in Entnahme, Transport und Aufbereitung von Proben investieren, bevor man überhaupt mit dem Messen beginnen kann. Darum werden oft Mischproben genommen, die längere Zeiträume abdecken, hingegen wenig über die kurzfristige Dynamik aussagen.» Vergeht zwischen dem Lagern und Messen viel Zeit, besteht ausserdem die Gefahr, dass sich einige Substanzen verändern und die Ergebnisse dementsprechend verfälscht sind. Ein weiterer Nachteil ist, dass es bei den konventionellen Messmethoden oft Wochen bis Monate dauert, bis die Endergebnisse vorliegen. Sollten sich in den Daten dann kritische Substanzen zeigen, ist bereits wertvolle Zeit verstrichen, bis Massnahmen ergriffen werden können.

Via Smartphone live dabei

Ganz anders nun bei MS2field: Die Forschenden können via Smartphone live mitverfolgen, welche Schadstoffe im Gewässer vorhanden sind und wie sich ihre Konzentration verändert. Dazu wird aus dem Untersuchungsgewässer mit einem Schlauch kontinuierlich Wasser gepumpt. Alle zwanzig Minuten wird im MS2field-Anhänger eine kleine Probe automatisch gefiltert und aufbereitet. Die im Wasser enthaltenen Substanzen werden chromatografisch so getrennt, dass sie sich mit dem eingebauten Massenspektrometer qualitativ und quantitativ analysieren lassen. Ist die Messung beendet, werden die Daten innert weniger Minuten automatisch ausgewertet und auf einen Server übermittelt, von dem sie sich jederzeit via Internet abrufen lassen. Falls die Fragestellung es erfordert, können die Messungen über Monate hinweg laufen – und das mit minimalen, meist wöchentlichen Wartungsarbeiten vor Ort.

Konventionelle Messwerte massiv übertroffen

Im Fall des kleinen Bachs zeigten sich die Vorteile dieses ersten fahrbaren und vollautomatisierten Wasserlabors besonders deutlich: Da in derselben Messperiode auch herkömmliche Mischproben über jeweils dreieinhalb Tage entnommen und im Labor an der Eawag analysiert wurden, liessen sich die Daten der beiden Messsysteme direkt vergleichen. Dabei stellte sich heraus, dass die Höchstkonzentrationen der 20-minütigen MS2field-Messungen die Konzentrationsmittelwerte aus den Mehrtagesmischproben bis um das 170-fache übertrafen. Wie man aus anderen Studien weiss, können Wasserorganismen je nach Pestizid bereits Schaden nehmen, wenn sie nur eine Stunde lang zu hohen Konzentrationen ausgesetzt sind – ein Risiko, das jedoch erst mit den zeitlich hochaufgelösten MS2field-Wasseranalysen sichtbar wird. Dank solcher Daten lässt sich nun für eine breite Palette an Pflanzenschutzmitteln besser beurteilen, welchen Schwankungen und Spitzenkonzentrationen Wasserorganismen ausgesetzt sein können.

Der Umweltingenieur Christoph Ort und der Umweltchemiker Heinz Singer im Inneren des MS2field.
(Foto: Aldo Todaro, Eawag)

Vielfältige Anwendungsgebiete

Die Pestizidmessung in Bächen ist jedoch nur eines der möglichen Anwendungsgebiete von MS2field. Mit dem mobilen Wasserlabor haben die Forschenden zum Beispiel auch Zu- und Abflüsse von Kläranlagen untersucht. Auch hier förderten die 20-minütigen Messungen Verschmutzungsmuster zu Tage, die sonst unerkannt blieben. Anhand dieser Muster lassen sich zum Beispiel Schlüsse ziehen, wie Mikroverunreinigungen in die Kanalisation gelangen. So liess sich im Abwasser von Fehraltdorf-Russikon beobachten, dass die Konzentration von Candesartan – einem häufig eingenommenen Blutdrucksenker – täglich systematisch schwankte. Die höchsten Werte wurden jeweils am Vormittag erreicht, was wohl mit dem morgendlichen ersten Gang zur Toilette zusammenhängen dürfte. Im Abwasser wurden auch Pflanzenschutzmittel nachgewiesen. Mecoprop zum Beispiel, das die Bitumenbahnen auf Flachdächern vor Durchwurzelung schützen soll, erreichte die höchste Konzentration nach dem einzigen Niederschlag während der Messperiode – der Regen wusch das Herbizid aus und spülte es in die Kanalisation.

Prototyp hat sich bewährt

Die Beispiele des kleinen Bachs und der Kläranlage Fehraltdorf-Russikon zeigen: Auch wenn MS2field erst ein Prototyp ist, liefert er nicht nur zuverlässige, sondern auch interessante Daten. Entsprechend ziehen auch Christoph Ort und Heinz Singer ein äusserst positives Fazit: «Ehrlich gesagt waren wir überrascht, wie einwandfrei MS2field fast von Anfang an lief, und wir sind hocherfreut, dass das Gerät grundsätzlich sehr stabil betrieben werden kann; unsere akkurate und umfassende Planung hat sich ausgezahlt. Schon der Betrieb eines solchen Geräts unter konstanten Laborbedingungen ist anspruchsvoll. Noch nie hatte jedoch jemand ein solches Instrument in einen Anhänger eingebaut, um damit direkt im Feld zu messen. Wir mussten an enorm viele Dinge denken, die automatisch erkannt und behoben werden müssen – oder es so einrichten, dass Probleme per SMS gemeldet und via Fernzugriff gelöst werden können.»

Tragbares Minilabor als nächstes Ziel

Und die Erfolgsgeschichte soll auch in den nächsten Jahren weitergehen. Geplant ist, das Anwendungsspektrum laufend zu erweitern. Dazu sagt Christoph Ort: «Wir lernen ständig dazu, wie wir MS2field noch vielfältiger einsetzen können. Oft sind es junge Talente, die neue Ideen einbringen, und dank der kompetenten Unterstützung der Technikabteilung lassen sich diese mithilfe geeigneter Elektronik und Sensorik jeweils zeitnah umsetzen und testen.» So sind in nächster Zeit zum Beispiel Einsätze in Quellwasser und in Mischwasserüberläufen von Kläranlagen vorgesehen. Auch aus der Praxis kommen mitunter Aufträge, sogar aus dem Ausland. Trotzdem ist MS2field bislang hauptsächlich ein Instrument für die Forschung, da es trotz viel Automatisierung reichlich Fachwissen in analytischer Chemie braucht, um das Gerät optimal zu betreiben. Entsprechend arbeitet die Eawag daran, MS2field noch praxistauglicher zu machen. Daneben hat das MS2field-Team weitere Visionen: «Wir möchten zeitlich noch höher aufgelöst messen sowie die nächste Version kleiner und autonomer machen, und das bei geringerem Energieverbrauch. Dies würde uns erlauben, MS2field in Zukunft auch an Messstandorten ohne Autozufahrt und Stromnetz einzusetzen.»

Die wichtigsten Komponenten im klimatisierten MS2field Anhänger: Eine Pumpe (1) fördert kontinuierlich Wasser aus dem zu untersuchenden Gewässer. Durch einen Filter (2) wird ein kleiner Teilstrom für die Analyse abgezweigt. Für die Quantifizierung der Substanzen gibt eine hochpräzise Dosierspritze (3) einem genau definierten Probevolumen einen Mix isotopenmarkierter Standards (4) zu. Bei Ventilstellung I des Schaltventils (5) (blau gepunktete Linie) wird diese Probe dann über eine SPE Kartusche (6) geleitet, auf welcher die gelösten Substanzen angereichert werden. Anschliessend werden bei Ventilstellung II (rosa Linie) die Substanzen mit Hilfe der LC-Pumpe (7) von der SPE-Kartusche gelöst, in der LC-Säule (8) flüssigchromatografisch getrennt und anschliessend im Massenspektrometer (9) gemessen. Zusammen mit Sensoren für die Überwachung – z.B. von Durchflüssen, Drücken, Temperaturen – regelt eine speicherprogrammierbare Steuerung (SPS (10)) alle Abläufe automatisch. Die SPS schickt per SMS Warnungen an das Personal, erlaubt diesem per PC-Fernzugriff (11) den Prozess manuell zu steuern und mit Webcams (12) das Innere des Anhängers visuell zu überprüfen. Der Konzentrationsverlauf der Substanzen im Gewässer (13) kann online verfolgt werden, alle 20 Minuten kommt ein neuer Messpunkt dazu.
(Grafik: Peter Penicka, Eawag)

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Erstellt von Christine Huovinen für das Infotag-Magazin 2022