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Abwasser verarbeiten statt entsorgen

11. September 2018 | Andri Bryner

Abwasser stinkt, und im Abwasser tummeln sich Krankheitskeime. Darum wird es meist schnell weggeschafft und entsorgt. Doch die Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn-Strategie ist aufwändig und sie lässt Chancen ungenutzt. Am Eawag Infotag treffen Fachleute aus der Praxis auf Forscherinnen und Forscher, die nach neuen Wegen suchen – zum Beispiel wie Nährstoffe oder Wärme aus dem Abwasser geschöpft werden können.

Die Schweiz ist zu Recht stolz auf ihre Abwasserbewirtschaftung. Sie gewährleistet die Hygiene in den Siedlungen, schützt das Wasser als Ressource und bewahrt Flüsse und Seen erfolgreich vor Überdüngung. Doch das hat seinen Preis: Der Wiederbeschaffungswert der Schweizer Abwasserinfrastruktur beträgt über 120 Milliarden Franken. Neue Anforderungen, zum Beispiel die Entfernung von Mikroverunreinigungen oder der Klimawandel, machen das System nicht günstiger. Zudem wird immer deutlicher: Abwasser ist nicht nur eine Gefahr, die es zu bannen gilt, sondern es enthält auch Ressourcen wie Wärme oder Nährstoffe, die gescheiter rezykliert statt im wahrsten Sinne bachab geschickt werden sollten.

Wie diese Wertstoffe am besten zurückgewonnen werden, wo zurzeit aber auch noch Grenzen dieses Recyclings liegen, diskutieren heute in Dübendorf gut 200 Fachleute aus Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Praxis am Eawag Infotag. Sie setzen sich mit dem Thema «Abwasser als Ressource» auseinander und informieren über zukunftsweisende Technologien zur Rückgewinnung von Wertstoffen aus der an sich ungeliebten, braunen Brühe.
Mehr dazu finden Sie im Tagungsband [pdf].

Zum Beispiel die Energie

Im warmen Abwasser steckt viel Energie, die zuvor ins Aufheizen von Dusch- oder Waschwasser gesteckt worden ist. Bei Neubauten entspricht dies heute dem grössten «Energieleck». Sowohl dezentral, noch im Haushalt, als auch zentral – zum Beispiel in einem Hauptsammelkanal – kann diese Energie teilweise abgeschöpft werden. Dass das Abwasser dann etwas kühler ist, ist in Zeiten immer wärmerer Bäche und Flüsse zusätzlich ein Vorteil. Solche Rückgewinnungsanlagen müssen aber frühzeitig geplant werden, sonst haben andere Energieträger die Nase vorn. Energie steckt auch in den Fäkalien, die viel Kohlenstoff enthalten. Ein Projekt der Eawag zeigt, wie in Ländern des globalen Südens aus Fäkalschlamm Pellets hergestellt und zum Feuern von Brennöfen in der Ziegelherstellung genutzt werden. Der Vorteil des Konzepts: Es kann für Kleinunternehmer zum Business werden – eine Voraussetzung, dass es langfristig funktioniert. Via Klärgas, das bei anaeroben Abbauprozessen entsteht, wird auch immer effizienter Strom produziert aus Abwasser. Weil Kläranlagen damit zu Energielieferanten werden, stehen ihre Betreiber in einem liberalisierten Markt aber plötzlich vor neuen Fragen: Wann soll die gewonnene Energie besser selbst konsumiert und wann kann sie gewinnbringend verkauft werden?

Kosten und Wert sind nicht dasselbe

Abwasserrecycling klingt gut. Dennoch müssen Chancen und Kosten realistisch beurteilt werden. So kostet die gesamte Abwasserentsorgung in der Schweiz rund 300 Franken pro Einwohnerin oder Einwohner und Jahr. Demgegenüber kann aus dem anfallenden Klärschlamm Strom für rund drei Franken pro Kopf produziert werden, und das im Abwasser enthaltene Phosphor hat bei aktuellen Weltmarktpreisen einen Gegenwert von rund einem Franken pro Einwohner. Damit wird also noch niemand reich. Erst bei einer ganzheitlichen Betrachtung und mit einer in der Gesellschaft abgestützten Prioritätensetzung sieht die Bilanz besser aus. So hält der Wechsel von der herkömmlichen Abwasserentsorgung zu einer modernen Abwasserverarbeitung zum Beispiel schädliche Mikroverunreinigungen von möglichst vielfältigen Gewässern fern und vermeidet die Emission von Treibhausgasen. An Orten, wo Wasser knapp ist, kann die Trinkwasserproduktion aus Abwasser lohnend sein, und die innovative Düngerproduktion in der Kläranlage eröffnet der Landwirtschaft neue Möglichkeiten. Das alles lässt sich nicht so einfach in Tonnen oder Franken umrechnen, muss aber in die Aufwand-Ertrags-Rechnung einfliessen.

Die Forschung zu diesen Fragen und der Diskurs zwischen Forschung und Praxis müssen also weitergehen. So kann die Rückgewinnung von Energie, Nährstoffen und Wasser dereinst ebenso erfolgreich und selbstverständlich werden wie es die herkömmliche Abwasserreinigung bis heute ist. Der Eawag Infotag 2018 leistet einen Beitrag dazu. 

Weitere Auskünfte

Gerne vermitteln wir ihnen am Tagungsort (Akademie Eawag-Empa, Dübendorf) oder per Telefon Gesprächspartnerinnen und -partner. Wenden Sie sich an den Eawag-Medienbeauftragten: Andri Bryner 058 765 51 04 / 079 721 19 93

Bilder

Honorarfreie Verwendung nur im Zusammenhang mit einer Berichterstattung zum Infotag,
keine Archivierung. 

Luftstrippungsanlage zur Stickstoff-Rückgewinnung auf der Kläranlage Opfikon.
Fotos: Eawag, Peter Schönenberger (links), Eawag, Aldo Todaro (rechts)

Luftstrippungsanlage zur Stickstoff-Rückgewinnung auf der Kläranlage Opfikon. (Foto: Eawag, Yvonne Lehnhard)

Mit Pellets aus entwässertem Fäkalschlamm werden in Senegal und Uganda Brennöfen befeuert.
(Foto: Eawag, Linda Strande)

Die Präsentationen und einige Impressionen (Fotos) vom Infotag 2018.