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Flüsse sauber halten ist Vorsorge fürs Trinkwasser
9. September 2014 |
Fast 300 Fachleute aus Wissenschaft, Wasserwirtschaft, Verwaltung und Politik lassen sich heute Dienstag, 9. September, an der Eawag über neue Forschungsergebnisse zum Thema «Wasserversorgung und Uferfiltration – ein System unter Druck?» informieren. Anlass dazu ist der jährliche Eawag-Infotag, dieses Jahr in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Verein des Gas- und Wasserfaches (SVGW).
Schweizer Gewässerschutz ist Spitze
«Die Schweiz besitzt alle Voraussetzungen, um ihre Wasserressourcen nachhaltig zu bewirtschaften», sagte Eawag Direktorin Janet Hering in ihrem Referat und nannte besonders technische Kompetenzen, Finanzen sowie stabile politische Strukturen. Mit den beschlossenen Massnahmen zur Flussrevitalisierung und zur Elimination von Mikroverunreinigungen in Kläranlagen übernehme das Land im Gewässerschutz weltweit eine Führungsrolle. Sie sei stolz, dass die Eawag in diesem Prozess ihre Expertise einbringen könne. Hering warnte aber auch: Das saubere Wasser habe die Schweiz an vielen Orten der Filterwirkung des Bodens zu verdanken. «Doch diese Barriere ist nicht unüberwindbar, der natürliche Schutz nicht selbstverständlich und eine einmal erfolgte Verunreinigung eines Grundwasserträgers kaum wiedergutzumachen.»
Einfluss des Menschen überall messbar
80% des Schweizer Hahnenwassers stammt aus Grundwasser. Und dieses Grundwasser wiederum wird zu einem Drittel aus versickerndem Flusswasser gespeist. Die Bedeutung der Uferfiltration für die Trinkwassergewinnung nimmt zu. Daher ist es wichtig zu wissen, wie sich die Wasserqualität in den Flüssen verändert. Neue Untersuchungen der Eawag zeigen, dass sich der Einfluss des Menschen an jedem Gewässer verfolgen lässt. Unterhalb von Kläranlagen wurden zwischen 100 und 160 verschiedene organische Mikroverunreinigungen nachgewiesen – das meiste sind Medikamente und Lebensmittel-Zusatzstoffe (siehe Grafik). Werden die Konzentrationen all dieser Stoffe zusammengerechnet, ergeben sich Summen von 70 bis 80 Mikrogramm pro Liter. Selbst kleine Konzentrationen entsprechen beträchtlichen Stoffmengen. So trägt der Rhein bei Basel über ein ganzes Jahr betrachtet mehr als 42 Tonnen des Süssstoffs Acesulfam oder rund 13 Tonnen des Antidiabetikums Metformin in Richtung Nordsee.
Landnutzung wichtiger als Klimawandel
Eine generelle Erwärmung betrifft auch das Wasser. So haben Untersuchungen im Hitzesommer 2003 gezeigt, dass das wärmere Grundwasser lokal zu einer vollständigen Zehrung des gelösten Sauerstoffs geführt hat. In einzelnen Pumpwerken kam es daher zu unerwünschten Ausfällungen von gelöstem Eisen und Mangan. Würden sich solche Perioden häufen, müssten die Wasserversorger einen deutlichen Mehraufwand in Kauf nehmen, weil sie das geförderte Grundwasser dann nicht mehr ohne Aufbereitung ins Netz einspeisen könnten. Mehr Niederschläge im Winter, wie von den Klimamodellen vorhergesagt, können zudem die Nitratauswaschung und die Erosion auf Ackerflächen erhöhen, wenn keine Gegenmassnahmen getroffen werden. Die Experten sind sich jedoch einig, dass die direkten Eingriffe im Einzugsgebiet einer Fassung, namentlich die Art der Landnutzung oder der Bebauung, die klimabedingten Effekte überlagern.
Unerwünscht, aber humantoxikologisch nicht bedenklich
Wird flussnahes Grundwasser gefördert, stellt sich die Frage, ob und in welchem Mass die im Fluss vorhandenen Schadstoffe auf der Bodenpassage zurückgehalten oder abgebaut werden. In einem Projekt an der Thur haben Eawag-Forschende gegen 100 Stoffe sowohl im Fluss- als auch im Grundwasser nachgewiesen. Die Konzentrationen waren aber im Grundwasser generell geringer. Diverse Medikamente werden auf der Passage vom Fluss ins Grundwasser ganz eliminiert, und zwar oft schon auf den ersten Metern. Der relativ rasche Abbau verlangsamt sich jedoch im Winter oder kommt ganz zum Erliegen, wenn die Wassertemperaturen sehr tief liegen. Die niedrigen Konzentrationen im Bereich von Nanogramm pro Liter (Milliardstel Gramm), in denen einzelne schwer abbaubare Stoffe, z.B. Röntgenkontrastmittel, bis zu den Trinkwasserfassungen gelangen, sind aus heutiger Sicht für den Menschen nicht gesundheitsgefährdend. «Grundsätzlich sind aber langlebige künstliche Substanzen weder in den Gewässern geschweige denn im Trinkwasser erwünscht», sagte Umweltchemikerin Juliane Hollender. Sie betonte aber, dass die bisher gemessenen Werte deutlich unter den üblichen und gesetzlich tolerierten Schadstoffkonzentrationen in der Nahrung lägen.
Vorsorgen ist besser als Heilen
Laut Urs von Gunten, dem Leiter des Trinkwasserkompetenzzentrums an der Eawag, profitiert das System «Fluss-Grundwasser-Trinkwasser» in der Schweiz von einer vorsorgenden Gewässerschutzstrategie. Diese hat eine möglichst geringe Verschmutzung der Wasserressourcen zum Ziel und wartet mit Massnahmen nicht zu, bis eine Bedrohung für die Menschen nachgewiesen ist. Genaues Beobachten und Verstehen der Prozesse – etwa bei der Revitalisierung von Flüssen – gehöre dazu, forderte von Gunten. Im Fall von belasteten Situationen schloss er eine vermehrte Aufbereitung des geförderten Wassers oder eine Verlegung von Fassungen nicht aus. «Nicht immer gibt es Win-win-Situationen», ergänzte Janet Hering. Daher unterstütze die Eawag die Entscheidungsträger mit wissenschaftlich fundierten Grundlagen – fachlich-inhaltlich und im Blick auf einen transparenten Entscheidungsprozess.
Bilder / Download
Honorarfreie Verwendung nur im Zusammenhang mit einer Berichterstattung zum Infotag, keine Archivierung. Quellenangabe: Eawag.
Hoch- und Niederwasser oder Aufweitungen von korrigierten Gerinnen beeinflussen die In- und Exfiltrationsprozesse zwischen Fluss- und Grundwasser. Im Bildpaar die Thur.
Installation eines Grundwasserbeobachtungsrohrs (Piezometer) an einem revitalisierten Abschnitt der Thur mit dem Rammgerät Geoprobe.
Bei Starkregen während der Anwendungsperiode können auch Pflanzenschutzmittel in Gewässer abgeschwemmt werden.
Durchschnittliche Konzentration (links) und Anzahl Substanzen (rechts) verschiedener Gruppen von Mikroverunreinigungen im Auslauf von acht Schweizer Kläranlagen (unveröffentlichte Daten aus einer Abwasser-Screening-Studie der Eawag mit finanzieller Unterstützung des Bundesamts für Umwelt).