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Letzte Eiszeit: kälter als gedacht
12. Mai 2021 |
Die Löslichkeit von natürlich vorkommenden Edelgasen (Helium bis Xenon) ist wie bei anderen Gasen temperaturabhängig. Analysiert man eine Grundwasserprobe, sagen die Konzentrationen der darin gelösten Edelgase, bei welchen Temperaturen dieses Wasser Kontakt mit der Atmosphäre hatte, bevor es in den Untergrund gesickert ist. Wie lange das Wasser dann allerdings dort verweilte, ist deutlich schwieriger zu bestimmen. Zwar gibt es Datierungsmethoden für Wasser, etwa über Rückschlüsse aus dem radioaktiven Zerfall von Uran und Thorium zu Helium-4, aber die Ergebnisse sind wackelig. Und die Interpretation der ermittelten Temperaturdaten ist auch nicht sehr verlässlich, weil sie sich oft am Auftreten bestimmter Pflanzen oder Tiere orientiert. Die Forschenden unterschätzten dabei vermutlich, dass die Arten auch vor 20'000 Jahren wanderten – an Orte, wo ihnen das Klima besser passte. «Tiere sind nicht so gute Thermometer», sagt Jeffrey Severinghaus, Co-Autor einer von sieben Instituten aus USA, Deutschland und der Schweiz heute in der Zeitschrift Nature publizierten Studie.
Relative statt absolute Datierung genügt
Umweltphysiker Prof. Rolf Kipfer vom Wasserforschungsinstitut Eawag und vom Departement für Umweltsystemwissenschaften an der ETH Zürich erklärt, was in neuen Untersuchung anders gemacht wurde: Neu erhobene und vorhandene Grundwasserdaten wurden erstmals systematisch und nach einem weltweiten Standard auf die Temperaturen untersucht, bei welchen die Wässer noch Kontakt mit der Atmosphäre gehabt hatten. Eine absolute Datierung der Proben wurde gar nicht erst versucht, sondern es wurde nur relativ festgelegt, ob eine Probe jünger oder älter als eine andere ist. So entstanden Temperaturreihen, bzw. eine Temperaturkurve, deren Minimum dem Maximum der grössten Eiszeit entsprechen muss. Ganze 6 °C tiefer als heute (5.8 ±0.6°C) lag demnach die globale Mitteltemperatur. Bisher ging die Wissenschaft eher von 3 - 5 °C aus. Heute leben wir bei rund 14°C, unsere Vorfahren und die Mammuts also bei 8°C oder weniger.
Die wärmsten Gegenden sind nicht immun gegen weitere Erwärmung
Die neuen Resultate aus den Edelgasanalysen decken sich gut mit ebenfalls neuen Auswertungen aus fossilem Meeresplankton. Diese gehen von einer wesentlich stärkeren Abkühlung in den niedrigen Breitengraden aus als frühere Studien und einer höheren Empfindlichkeit des Klimas gegenüber dem CO2-Gehalt der Atmosphäre. «Das ist keine gute Nachricht in Bezug auf die künftige globale Erwärmung, die stärker ausfallen könnte als anhand der bisherigen besten Schätzungen erwartet», sagt Mitautor Werner Aeschbach, Professor am Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg. «Insbesondere untermauert unsere globale Betrachtung das Ergebnis mehrerer Edelgas-Fallstudien, dass die Tropen während des letzten glazialen Maximums wesentlich kühler waren als heute. Die wärmsten Regionen der Welt sind also nicht immun gegen eine weitere Erwärmung.»
Verlässlich, weil ein physikalisches Prinzip dahintersteckt
Paläo-Temperaturaufzeichnungen mit Edelgasen sind deshalb so aussagekräftig, weil sie auf einem physikalischen Prinzip beruhen und nicht geeicht werden müssen. «So werden die Ergebnisse nicht durch kurzfristige Extremereignisse und das Leben – das immer alles verkompliziert – beeinflusst», sagt der Mitautor des Artikels, Martin Stute, Professor in der Abteilung für Umweltwissenschaften am Barnard College, New York. Wie Stute ist auch Kipfer begeistert davon, wie sich mit der heute publizierten Arbeit Kreise aus nahezu 40 Jahren Forschung schliessen: «Es ist bemerkenswert und befriedigend für mich, wie konsistent die Edelgas-Temperaturrekonstruktionen in niedrigen Breiten sind. Die Resultate aus den 1990er Jahren decken sich weitgehend mit denen der jüngsten Studien», sagt Kipfer, der unter anderem Grundwasserproben aus dem zürcherischen Uster, aber auch aus Oman oder Wisconsin (USA) untersucht hat. Das «Edelgas-Thermometer», so zeigt sich jetzt, ist über einen Temperaturbereich zwischen rund 2°C und 33°C bemerkenswert genau. «Das stärkt das Vertrauen in neue Klimamodelle, die von einer starken Auskühlung während der letzten Eiszeit ausgehen», sagt Kipfer.
Übrigens: Wasser, das 10'000 oder gar 100'000 Jahre schon im Untergrund liegt ist gar nicht so selten und zumeist von guter Qualität. In Uster zum Beispiel wurde in den 1990er Jahren eine Trinkwasserfassung in rund 80 Meter Tiefe gebohrt und – eher versehentlich – 30'000 Jahre altes Wasser hochgepumpt. Inzwischen fliesst längst jüngeres Grundwasser von Gesteinsschichten weiter oben nach. In Ländern wie Lybien jedoch, kann sich einmal ausgebeutetes, tiefes Grundwasser nicht mehr erneuern, da an der Oberfläche inzwischen die Wüste liegt.
Grundwasserdaten aus 26 verschiedenen Studien und von allen Kontinenten (ausser der Antarktis) wurden erstmals nach einem gemeinsamen Standard analysiert. Darunter auch Datensätze aus Botswana und Namibia.
(Foto: Justin Kulongoski, WHOI)
Probenahmen aus einem Grundwasserleiter mit historischem Wasser.
(Foto: Alan Seltzer, WHOI)
Titelbild: Giuseppe Reichmuth