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Um Nährstoffkreisläufe zu schliessen, müssen viele Akteure zusammenspannen
5. Mai 2022 |
«Ressourcen aus der Schüssel sind der Schlüssel» heisst ein Diskussionpapier, das Sabine Hoffmann, Lisa Deutsch und Kai Udert zusammen mit einem transdisziplinären Team aus Forschung, Politik und Praxis erarbeitet haben. Die Autorinnen und Autoren fokussieren darin auf den Kontext «Deutschland». Das Papier regt die Sanitär- und Nährstoffwende an und richtet sich an politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sowie Praktiker und Politikerinnen. Dabei zeigt es konkrete Handlungsoptionen auf, um die Umsetzung der Sanitär- und Nährstoffwende voranzutreiben.
Aus welchem Grund sollten wir das momentane Abwassersystem hinterfragen?
Kai Udert: Die Gewässer stellen, neben dem Grundwasser, die wichtigste Trinkwasserressource dar und werden vom Menschen auf vielfältige Weise genutzt (Transportwege, Badegewässer, usw.). Die Behandlung des Abwassers ist heute darauf ausgelegt, die Gewässer vor einer direkten Verschmutzung durch organische Stoffe, Phosphor und Stickstoff sowie seit einigen Jahren Mikroverunreinigungen zu schützen. Zentral ist hier neben dem Schutz der aquatischen Umwelt, Gefahren für die menschliche Gesundheit durch Krankheitserreger und anderer Verunreinigungen abzuwenden. Eine Rückgewinnung der Rohstoffe aus dem Abwasser ist zweitranging und das System bisher nicht optimal und gezielt darauf ausgelegt. Zudem stösst es auch beim Schutz von Gewässern vor einer Überbelastung mit Nährstoffen an seine Grenzen, da Abwasserreinigungsanlagen nur einen Teil der Nährstoffe aus dem Abwasser entfernen und der Rest in die Gewässer gelangt (weitere Informationen s. Kasten).
«Verschiedene Firmen bieten bereits Technologien zur Nährstoffrückgewinnung aus Urin und Fäzes an.»
Kai Udert
Sie propagieren eine Sanitär- und Nährstoffwende, um die Probleme des heutigen Systems anzugehen. Was ist damit gemeint?
Kai Udert: Es braucht neue Ansätze, mit denen wir sowohl die Ausbreitung von Krankheiten verhindern, aber auch das Schliessen der Nährstoffkreisläufe ermöglichen. Mit der Sanitär- und Nährstoffwende sollen das Management des häuslichen Abwassers und die Bereitstellung von Nährstoffen für die Nahrungsmittelproduktion wieder besser verknüpft werden. Wichtig dabei ist, dass neben der Siedlungswasserwirtschaft auch die Landwirtschaft – als Quelle von Nährstoffemissionen in die Umwelt und als Abnehmer von Dünger – in die Konzepte einbezogen wird.
Sie haben zu diesem Thema 2021 das Diskussionspapier «Ressourcen aus der Schüssel sind der Schlüssel» erarbeitet. Wie kam es dazu?
Sabine Hoffmann: Die Idee entstand nach einem Treffen mit dem agrarpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Ariane Krause vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) hat das Treffen organisiert und Forschende unterschiedlicher Disziplinen (u.a. Wirtschaftsingenieurwesen, Verfahrenstechnik, Architektur, Sozialwissenschaften, Agrarwissenschaften) und Akteure aus der Praxis (u.a. Goldeimer, Finizio und NetSan e.V.) nach Berlin eingeladen, um sich zum Thema «Zukunftsfähige Landwirtschaft» auszutauschen. Nach diesem ersten von insgesamt sechs Treffen der so genannten «Berliner Runde» entstand die Idee, ein Diskussionspapier zu schreiben, das die wichtigsten Punkte einer kreislauforientierten Sanitärversorgung - gekoppelt mit einer nachhaltigen, regionalen und zirkulären Landwirtschaft - zusammenfasst.
«Wir mussten das begrenzte Zeitfenster nutzen, um unsere Perspektiven in die Politik einzubringen und Schritte in Richtung Umsetzung anzustossen.»
Sabine Hoffmann
Was ist für eine Umsetzung der Sanitär- und Nährstoffwende nötig?
Lisa Deutsch: Dass man viele Dinge zusammendenkt und abgestimmt umsetzt. Im Diskussionspapier legen wir dar, dass gewisse Faktoren für eine solche Wende teilweise schon vorhanden sind, unter anderem technische Innovationen, eine Vielzahl an motivierten Akteurinnen und Akteuren und eine gemeinsame Vision. Woran es hingegen noch fehlt, sind zum Beispiel eindeutige rechtliche Rahmenbedingungen sowie Pilot- und Leuchtturmprojekte. In manchen Ländern ist beispielsweise eine Anpassung des Düngemittelrechts notwendig, damit eine Anwendung von Recyclingdüngern aus menschlichen Fäkalien überhaupt zulässig ist. Pilot- und Leuchtturmprojekte braucht es, damit sich die Menschen unter «Sanitärwende» etwas vorstellen können. Gleichzeitig muss das Know-how für die Umsetzung solcher Systeme auch Eingang in die Ausbildung der unterschiedlichsten Akteure, etwa in der Sanitärtechnik, im Planungs- oder Ingenieurbereich finden. Es braucht also ein Zusammenspiel von verschiedenen Stellen und abgestimmte Massnahmen von vielerlei Akteuren, damit eine Sanitär- und Nährstoffwende möglich wird.
Werden Technologien zur Ressourcenrückgewinnung «aus der Schüssel» bereits in der Praxis eingesetzt?
Kai Udert: Ja. Im Vordergrund stehen dabei Verfahren zur Nährstoffrückgewinnung aus Urin. Verschiedene Firmen bieten hierfür bereits Technologien an. An der Eawag wurden zwei Verfahren entwickelt und eines davon wird vom Eawag Spinoff Vuna vermarktet. Ein anderes Beispiel ist das Verfahren der Firma Sanitation360, das an der schwedischen Landwirtschaftsuniversität SLU entwickelt wurde.
Die Kompostierung von menschlichen Fäkalien zur Produktion von Dünger wird ebenfalls von verschiedenen Firmen untersucht und teilweise auch bereits angewendet. Allerdings sind diese Dünger wegen hygienischer Bedenken weder in der Schweiz noch in Deutschland zugelassen.
Um Vertrauen in die Produkte zu schaffen und die Qualitätsanforderungen sicherzustellen, sind Qualitätsstandards enorm wichtig. In Deutschland wurde Ende 2020 ein Standard (DIN SPEC 91421) entwickelt, der Richtlinien für die Qualitätssicherung von Recyclingprodukten aus Trockentoiletten vorgibt. Wichtig ist auch, dass sich Firmen, Personen und Forschungsinstitute, die an diesem Thema arbeiten, vernetzen und offene Fragen angehen. Ein hiesiges Beispiel ist das im November 2021 gegründete «Netzwerk für kreislauffähige Sanitärsysteme Schweiz», kurz Valoo.
Was muss beachtet werden im Austausch mit der Politik?
Lisa Deutsch: Weniger ist mehr. Als Forschende sind wir es gewohnt, alles bis ins kleinste Detail darzulegen. Damit überfordern wir aber andere Akteure zum Beispiel aus der Politik, und die eigentliche Kernbotschaft wird dadurch verwässert. Es ist ausserdem wichtig, an die Erfahrungswelt des Gegenübers anzuknüpfen. Das heisst beispielsweise, dass wir Forschenden nicht unsere Powerpoint-Folien von der letzten Konferenz für ein Treffen mit politischen Akteuren verwenden können, sondern neue erstellen. Ausserdem muss man sich auf die Schnelllebigkeit des politischen Tagesgeschäfts einstellen: Wenn beispielsweise ein Politiker während deines Vortrags für ein wichtiges Telefonat kurz rausgeht, hat das nichts mit mangelndem Respekt zu tun.
«Als Forschende sind wir es gewohnt, alles bis ins kleinste Detail darzulegen. Damit überfordern wir aber andere Akteure und die eigentliche Kernbotschaft verwässert.»
Lisa Deutsch
Sabine Hoffmann: Zur Schnelllebigkeit gehört, dass die Zeitfenster für den Austausch sehr begrenzt sind. Es lohnt sich daher, sich die Kernbotschaften genau zu überlegen und klar zu formulieren, um sie dann - in der Kürze der Zeit - verständlich kommunizieren zu können. Wichtig ist auch, sich immer wieder zu fragen, welche Themen der eigenen Forschung für politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger relevant sein könnten, welche konkreten Lösungen sich daraus ergeben und welchen Beitrag zu deren Umsetzung die Politik leisten könnte.
Was haben Sie von diesem Austausch mitgenommen für zukünftige transdisziplinäre Diskussionsrunden und wie geht es weiter?
Sabine Hoffmann: Die begrenzten Zeitfenster! Der Austausch mit dem agrarpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion begann im letzten Jahr seiner parlamentarischen Tätigkeit. Es war uns, also der «Berliner Runde», bewusst, dass wir dieses Zeitfenster – bevor er sich aus der aktiven Politik verabschiedet – nutzen mussten, um unsere Perspektiven einer Sanitär- und Nährstoffwende in die Politik einzubringen und erste konkrete Schritte in Richtung Umsetzung anzustossen. So ist das Diskussionspapier entstanden, das über verschiedene Netzwerke in die Politik auf Gemeinde-, Landes-, und Bundesebene eingeflossen ist.
Lisa Deutsch: Man muss sich, wie in allen neuen menschlichen Beziehungen, erst einmal finden. Man sollte also in den ersten Meetings noch keine grossen Würfe und bahnbrechenden Erkenntnisse erwarten. Ausserdem braucht es zumindest eine Person, die das Schiff kontinuierlich nach vorne zieht. In unserem Fall war das Ariane Krause vom IGZ, die den Lead hatte und viel Zeit investiert hat. Sie wusste ausserdem zwischen unterschiedlichen Akteuren zu vermitteln und deren Perspektiven zusammenzuführen, hat also die Expertise für diese integrative Arbeit mitgebracht.
Kai Udert: Es braucht viel Geduld für die Umsetzung neuer Sanitärkonzepte und es müssen viele verschiedene Akteure involviert werden. Der Austausch im Rahmen des Diskussionspapiers war dabei sehr hilfreich und ich versuche einige der Erfahrungen, nun auch in der Schweiz umzusetzen.
Das Interview führte Carina Doll, Koordinatorin des Projekts Water Hub im NEST der Eawag.
Die Gesprächspartner Kai Udert leitet die Gruppe «Trennung an der Quelle und Dezentralisierung» der Abteilung Verfahrenstechnik an der Eawag und ist Titularprofessor am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich. Sabine Hoffmann leitet die Gruppe «Inter- und Transdisziplinäre Forschung» der Abteilung Umweltsozialwissenschaften am Wasserforschungsinstitut Eawag und das strategische Forschungsprogramm Wings. Lisa Deutsch arbeitet als Doktorandin in der Gruppe «Inter- und Transdisziplinäre Forschung» der Abteilung Umweltsozialwissenschaften an der Eawag. |
Nährstoffe im Abwasser
Rund die Hälfte der Stickstoffeinträge in Schweizer Gewässern stammt zwar aus der Landwirtschaft, doch immer noch ein Drittel aus den Abwasserreinigungsanlagen (ARA). Denn dort werden nur knapp 50% des Stickstoffs aus den häuslichen Abwässern entfernt [1]. Da das nicht ausreicht, wurde 2020 eine Motion eingereicht, die eine rasche Verbesserung fordert. In unseren Nachbarländern wird zum Teil wesentlich mehr Stickstoff aus dem Abwasser entfernt, in Deutschland und Österreich mehr als 80% [2]. Diese hohe Elimination wirft neue Fragen auf, etwa weil einige Verfahren die Zugabe von Chemikalien erfordern.
Phosphor muss in der Schweiz ab 1. Januar 2026 aus Abwasser, Klärschlamm, Tier- und Knochenmehl zurückgewonnen werden. Wird dafür das derzeit diskutierte Verfahren angewendet, könnte damit so viel Phosphor zurückgewonnen werden wie momentan in die Schweiz importiert wird. Der Aufwand an Chemikalien und Energie ist aber beträchtlich.
[1] BAFU (2013) Stickstoffflüsse in der Schweiz 2020. Stoffflussanalyse und Entwicklungen.
[2] DWA (2018). 29. Leistungsvergleich kommunaler Kläranlagen. Hennef, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA).
Titelbild: Sabine Hoffmann, Lisa Deutsch und Kai Udert im Gespräch (Foto: Eawag, Peter Penicka)
Originalpublikation
Krause, A.; von Hirschhausen, C.; Schröder, E.; Augustin, F.; Häfner, F.; Bornemann, G.; Sundermann, G.; Korduan, J.; Udert, K.M.; Deutsch, L.; Reinhardt, M.L.; Götzenberger, R.; Hoffmann, S.; Becker-Sonnenschein, S. (2021) Ressourcen aus der Schüssel sind der Schlüssel – Wertstoffe zirkulieren, Wasser sparen und Schadstoffe eliminieren. Diskussionspapier zur Sanitär– und Nährstoffwende.