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Ökotoxikologische Wirkungen durch Pflanzenschutzmittel in Bachsedimenten
12. Dezember 2019 |
Pflanzenschutzmittel (PSM) stellen ein ökotoxikologisches Risiko für kleine Fliessgewässer dar, die in Landwirtschaftsgebieten liegen. Das haben die schweizerischen NAWA SPEZ-Studien von 2015 und 2017 gezeigt. Die PSM-Konzentrationen überschritten im grössten Teil des Untersuchungszeitraums die Umweltqualitätskriterien. Abhängig von den physikalisch-chemischen Eigenschaften (geringe Wasserlöslichkeit, hohe Adsorption an Kohlenstoff) können sich PSM auch an Bachsedimente binden, in denen Organismen leben und potenziell geschädigt werden. Sedimente sind ein wichtiger Gewässerbestandteil: So dienen sie als Lebensraum und Laichplatz für viele Wasserorganismen und erfüllen essentielle Funktionen im Nährstoffkreislauf. Sie wirken aber auch als Senke für Schadstoffe wie Metalle, persistente organische Chemikalien oder PSM. Bis jetzt weiss man wenig über die PSM-Konzentrationen in Sedimenten und ihre toxischen Effekte.
Daher hat das Oekotoxzentrum 2017 parallel zur NAWA SPEZ-Studie die Sedimente in den dort untersuchten Fliessgewässern bewertet: nämlich im Chrümmlisbach (BE), dem Weierbach (BL), Le Bainoz (FR), dem Hoobach (SH) und dem Eschelisbach (TG), jeweils monatlich zwischen März und Oktober. Projektpartner waren die Eawag und die Universität Cadiz. In den Sedimentproben erfassten die Wissenschaftler 97 Verbindungen mit chemischer Analytik, darunter polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), polychlorierte Biphenyle (PCB), Metalle und sieben PSM, die aufgrund ihrer Neigung zur Adsorption ausgewählt worden waren. Die toxischen Wirkungen der Sedimentproben untersuchten sie mit einem Set aus drei standardisierten Biotests mit Organismen mit verschiedenen Ernährungs- und Lebensstrategien, nämlich Muschelkrebsen, Zuckmückenlarven und Fadenwürmern. Gemessen wurden sowohl akute als auch chronische Endpunkte: Überleben (Muschelkrebse), Wachstum (Muschelkrebse und Fadenwürmer), Vermehrung (Fadenwürmer) und Emergenz (Zuckmückenlarven).
Toxische Wirkung auf Sedimentorganismen in Biotests
«Wir waren überrascht zu sehen, dass an allen Standorten mehrere Sedimentproben für mindestens eine der getesteten Arten toxisch waren, wobei die Muschelkrebse am empfindlichsten reagierten», sagt Projektleiterin Carmen Casado-Martinez. Insgesamt waren die Sedimente aus Eschelisbach und Weierbach giftiger als die Sedimente aus Hoobach, Le Bainoz und Chrümmlisbach. Die Sedimente im Eschelisbach waren fast während der gesamten Saison toxisch für Muschelkrebse, die in Chrümmlisbach und Weierbach jeweils in 4 von 7 Monaten und die in Le Bainoz und Hoobach in mindestens einem Monat. Wirkungen auf Zuckmücken wurden in allen Sedimenten ausser dem Chrümmlisbach beobachtet und Wirkungen auf Fadebwürmer im Weierbach und Hoobach.
Was war für diese Effekte verantwortlich? «Die PCB kamen an allen Standorten in Konzentrationen vor, die für Wirbellose unkritisch sind», sagt Carmen Casado-Martinez. «Die Konzentrationen der PAK und Metalle lagen etwas höher, aber immer noch in einem relativ niedrigen Bereich. Das macht es unwahrscheinlich, dass sie wesentlich zur gemessenen Toxizität beigetragen haben.» Übrig blieben die analysierten PSM: die langlebigen DDT-Metaboliten DDD und DDE, das Organophosphat-Insektizid Chlorpyrifos, das Herbizid Terbutylazin, und die Pyrethroid-Insektizide Cypermethrin, Permethrin und Bifenthrin. Davon lag Chlorpyrifos mit Abstand in den höchsten Konzentrationen von bis zu 156 ng/g Sediment vor. Chlorpyrifos ist für seine hohe Toxizität für Fische und Wirbellose bekannt. Die höchsten Konzentrationen am Eschelisbach, Hoobach und Le Bainoz lagen um eine Grössenordnung höher als die Schwellenkonzentration für eine mögliche chronische Wirkung (siehe Kasten) von 4.1 ng/g.
PSM in Sedimenten überschreiten Schwellenkonzentration für toxische Wirkungen
Neben Chlorpyrifos fand sich auch das Pyrethroid Cypermethrin häufig in Konzentrationen oberhalb seines chronischen Schwellenwerts von 0.49 ng/g. Cypermethrin ist für Wirbellose hochgiftig. Permethrin und Bifenthrin, zwei weitere Pyrethroide, wurden in den Sedimenten ebenfalls nachgewiesen, überschritten aber nie ihre Schwellenwerte. An jedem Standort wurde die Schwelle für eine mögliche chronische Wirkung mindestens einmal überschritten, meist durch Chlorpyrifos und/oder Cypermethrin. Wenn Mischungseffekte berücksichtigt wurden, wurden die Sedimente an allen Standorten fast während der gesamten Vegetationszeit als potenziell toxisch eingestuft. Die höchste potenzielle Mischungstoxizität zeigten Hoobach, Eschelisbach und Weierbach, gefolgt von Le Bainoz und Chrümmlisbach. Die Bewertung der Sedimentqualität auf der Grundlage der chemischen Analytik stimmte in 65 % der Sedimentproben mit den Ergebnissen der Toxizitätstests überein.
Analysierte PSM erklären Toxizität nur teilweise
Die Spitzenkonzentrationen von Chlorpyrifos trugen mehr als 85% bei zur potentiellen Mischungstoxizität in Eschelisbach, Hoobach und Le Bainoz. Es gab aber keinen direkten Zusammenhang zwischen den gemessenen Chlorpyrifos-Konzentrationen und der in den Biotests beobachteten Toxizität, also auch keine Chlorpyrifos-Konzentration, ab der immer eine Toxizität beobachtet wurde. Die Pyrethroide Bifenthrin, Permethrin und Cypermethrin, trugen an allen Standorten ebenfalls zur Toxizität bei, wobei Cypermethrin das Gemisch im Weierbach dominierte.
«Die Toxizität, die wir in den Biotests gesehen haben, lässt sich nicht vollständig durch die begrenzte Anzahl von sieben analysierten Pflanzenschutzmitteln erklären», sagt Carmen Casado-Martinez. Dies liegt sicher auch daran, dass andere potenziell toxische Chemikalien nicht quantifiziert und damit nicht bewertet wurden. Zum Beispiel waren im NAWA SPEZ Projekt in Wasserproben die potentiell toxischen PSM Fipronil, Spinosad und λ-Cyhalothrin nachgewiesen worden, die sich auch an Sedimente anlagern können. Diese Stoffe wurden allerdings in den Sedimentproben nicht analysiert.
Weltweit fehlt ein einheitlicher Ansatz zur Beurteilung der Sedimentqualität. Das Oekotoxzentrum arbeitet seit einigen Jahren daran, einen solchen zu entwickeln. «Dafür erarbeiten wir Sediment-Qualitätskriterien nach der EU-Methode, die Sicherheitsfaktoren anwendet», erläutert Carmen Casado-Martinez. Sicherheitsfaktoren werden im Sinne des Vorsorgeprinzips eingesetzt, um alle Arten eines Ökosystems schützen zu können und Unsicherheiten zu berücksichtigen. Die in dieser Studie verwendeten Effektschwellenwerte enthalten keine Sicherheitsfaktoren und sind daher weniger konservativ als Qualitätskriterien.
Schwellenwerte für PSM in Sedimenten |
Bilder
In fünf kleinen Bächen aus stark landwirtschaftlich genutzten Einzugsgebieten wurden 2017 über acht Monate hinweg Sedimentproben entnommen. (Fotos: Oekotoxzentrum)