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«Gehört Mikroplastik in unsere Umwelt? Nein!»

8. September 2020 | Bärbel Zierl

Der Verfahrenstechniker Adriano Joss vom Wasserforschungsinstitut Eawag beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Kläranlagen und der Entfernungen von Mikroverunreinigungen aus dem Wasser. Gemeinsam mit dem Leiter des Eawag-Partikellabors Ralf Kägi hat er den aktuellen Stand des Wissens zum Thema Mikroplastik zusammengetragen. In einem Interview stellt er die wichtigsten Erkenntnisse vor. Ausführliche Informationen haben wir neu auf der Webseite «Mikroplastik in der Umwelt» zusammengestellt.

Adriano, Du hast zusammen mit Ralf für einen viel beachteten Vortrag alle publizierten Fakten über Mikroplastik zusammengetragen. Was war der Anlass dazu?

Wir haben zahlreiche Anfragen von Behörden und Bevölkerung zu Mikroplastik erhalten. Als wir dann nach Antworten gesucht haben, war das ein wenig frustrierend. Die Aussagen zum Mikroplastik in der Umwelt gehen um Grössenordnungen auseinander. Oder man findet riesige Zahlen an Partikeln Mikroplastik pro Kubikmeter, die wenig aussagekräftig sind. Und auch über die schädliche Wirkung auf Mensch und Umwelt ist noch wenig bekannt. Ralf und ich haben deswegen eine Literaturrecherche durchgeführt, um den aktuellen Stand des Wissens darzustellen.

Was waren Eure wichtigsten Ergebnisse?

Wir haben uns vor allem darauf konzentriert, woher das Mikroplastik kommt und wie wichtig Kläranlagen für den Eintrag in die Umwelt sind. Gleich vorweg: Kläranlagen spielen keine grosse Rolle. Die wichtigste Quelle ist der Pneuabrieb bei Fahrzeugen. Wenn man etwas gegen Mikroplastik tun will, muss man beim Verkehr ansetzen. Die zweite wichtige Quelle ist die Zersetzung von Plastik.

Wieviel macht denn der Verkehr aus?

Der Schweizer Verkehr produziert jährlich grob geschätzt ein Kilogramm Gummiabrieb als Mikroplastik pro Auto. Die Verschmutzung sieht man im Winter sehr eindrücklich. Einige Meter von der Strasse entfernt, ist der Schnee praktisch weiss. Entlang der Strasse ist er dagegen ganz schwarz. Ich behaupte, das ist zum grössten Teil der Gummiabrieb von den Autos.
 

Und wie sieht es mit der Zersetzung von Plastik aus?

Die Mengen an Plastik, die wir als Menschen freisetzen, sind unglaublich. Weltweit werden grob geschätzt 50 kg Plastik pro Person und Jahr produziert. Davon landet etwa die Hälfte in der Umwelt. In der Schweiz gehen wir allerdings gar nicht so schlecht damit um, weil das meiste Plastik im Müll und dann in den Kehrrichtverbrennungsanlagen landet. Dort wird es zu Kohlendioxid und Wasser verbrannt. In Ländern wo der Plastikabfall jedoch in offene Deponien entsorgt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Wind alles verbläst und überallhin verteilt. Dort zersetzt es sich dann im Lauf der Jahre zu Mikroplastik.

Wieso spielen Kläranlagen keine grosse Rolle bei der Verschmutzung mit Mikroplastik?

Unsere Kläranlagen in der Schweiz scheiden Partikel effizient ab. Sie sind mit einer Vorklärung mit Sedimentation ausgerüstet, als zweite Stufe mit einem Sandfang und am Ende mit einem biologischen Schlammsystem. Vor allem der Schlamm fängt den Grossteil der Plastikteilchen ein. Wenn man dann den Schlamm zurückhält, werden über 90 Prozent des Mikroplastiks aus dem Wasser entfernt. Wenn das noch nicht reicht, kann auch noch ein Sand- oder Membranfilter dahinter geschaltet werden. Das kostet gar nicht so viel und damit lässt sich fast der ganze Rest eliminieren. 

Was passiert mit dem Klärschlamm?

In der Schweiz wird der Klärschlamm verbrannt. In anderen Ländern wird er aber auch in der Landwirtschaft ausgebracht. Für die Böden können das bedeutende Einträge sein. Über viele Jahre gesehen, können sich so grössere Mengen ansammeln.

Neu hört man immer häufiger von Nanoplastik? Müssen Kläranlagen dafür nachgerüstet werden?

Nein. Ralf Kägi hat in seinen Arbeiten gezeigt, dass praktisch alle Nanopartikel im Wasser, egal ob Plastik oder andere Stoffe, in Kläranlagen mit biologischem Schlammsystem an den Schlamm gebunden werden. Die heute üblichen Kläranlagen entfernen daher bereits über 99 % aus dem Wasser.

Ist unser Trinkwasser von Verunreinigungen durch Mikroplastik betroffen?

Da spielt Mikroplastik normalerweise keine Rolle. In den Schweizer Oberflächengewässern, die für die Trinkwassergewinnung genutzt werden, findet sich bisher nur wenig Mikroplastik. In der Trinkwasseraufbereitung werden zudem Sandfilter und Flockungsfiltrationen eingesetzt. Die Eliminationsleistung dieser Verfahren wird gegenwärtig in Zusammenarbeit mit der Wasserversorgung Zürich untersucht. Die Menge an Mikroplastik, die wir über das Wasser aufnehmen, ist derzeit gering. Viel grössere Mengen dürften wir über die Atemluft, in der zum Beispiel der Abrieb von Textilien schwebt, aufnehmen. Und auch Lebensmittel sind oft nicht frei von Mikroplastik.

Lassen sich die kleinen Plastikteilchen leicht nachweisen im Wasser oder auch in der Umwelt?

Nein, die Analytik ist eine Herausforderung. Das Problem ist, dass wir neben dem künstlichen organischen Stoff Plastik auch natürliche organische Stoffe haben wie Holz, Haut oder Knochen. Ausserdem kommen einige Bestandteile von Plastiks, die Monomere, auch in der Natur vor. Und vom Plastik selbst gibt es ein grosses Spektrum an Arten, z. B. Plastik, das in der Pfanne problemlos auf 200 Grad erhitzt werden kann, oder Plastik, das sich bei solchen Temperaturen schon verflüssigt. Die verschiedenen Arten muss man meist chemisch identifizieren, um sie von den natürlichen Stoffen zu unterscheiden. Das ist nicht immer einfach.

Was interessiert Dich am meisten am Thema Mikroplastik in der Umwelt?

Spannend finde ich vor allem die Frage, wie wir als Gesellschaft mit dem Problem umgehen. Sind wir als Bürger bereit, die Entwicklung von emissionsarmen Autoreifen zu verlangen oder bei den Herstellern von Zahnpasta oder Creme den Verzicht auf Mikroplastik einzufordern? Es gibt heute gute Ersatzprodukte auf natürlicher Basis. Bisher ist der Druck jedoch noch nicht gross genug, dass etwas getan wird. Die Belastung ist an den meisten Orten in der Schweiz noch nicht hoch genug. Trotzdem, wir müssen uns fragen: Gehört Mikroplastik in unsere Umwelt? Selbst in kleinen Konzentrationen? Meine Antwort: Nein!

Titelbild: Raoul Schaffner, Eawag