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Innovationen zum Fliegen bringen
26. Juli 2017 |
Wissensgesellschaften sind auf innovative Industrien angewiesen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen Markt zu behaupten. In der Schweiz bestehen deshalb verschiedene Förderinstrumente. 2016 wurde zum Beispiel der Schweizerische Innovationspark mit Standorten in Allschwil, Biel, Dübendorf, Lausanne und Villigen eröffnet. In- und ausländische Unternehmen sollen dort in engem Austausch mit Forschungsinstitutionen aus guten Ideen marktfähige Produkte entwickeln.
Wissenschafts- und erfahrungsbasierte Industrien
Doch was braucht es, damit Innovationen entstehen und wirtschaftlich reüssieren? Mit dieser Frage beschäftigen sich Christian Binz und Bernhard Truffer von der Abteilung Umweltsozialwissenschaften der Eawag. Sie haben ein Konzept entworfen, mit dem sie die zugrunde liegenden Prozesse zum Beispiel für Cleantech-Industrien oder den Wassersektor analysieren können (siehe Kasten). «Industriezweige unterscheiden sich darin, welches Wissen sie benötigen, um Innovationen hervorzubringen», erklärt Binz. Die Forscher differenzieren zwischen wissenschaftsbasierten und erfahrungsbasierten Industrien. Erstere wenden wissenschaftliche Prinzipien und Erkenntnisse an, die sich in Modellen, Patenten oder Berichten niederschlagen. Firmen in diesem Bereich sind eng mit den Hochschulen verbunden und betreiben zudem eigene Forschung und Entwicklung. Der Wissensaustausch geschieht häufig über weltweite Netzwerke. Biotechnologie-Unternehmen oder die Fotovoltaik-Industrie gehören in diese Sparte.
Erfahrungsbasierte Industrien wie die Abwasseraufbereitung oder die Produktion von Windenergie dagegen bauen auf Erfahrungswissen und praktische Fachkompetenzen auf. Neues Wissen entsteht primär durch Learning by Doing und den informellen Austausch zwischen verschiedenen Abteilungen innerhalb einer Firma und mit externen Akteuren. Nicht Forschung und Entwicklung, sondern lösungsorientierte Interaktionen zwischen Produzenten und Kunden führen zu Innovationen. Erfahrungsbasierte Industrien sind oft im historisch gewachsenen Kontext spezifischer Regionen verwurzelt. «Den meisten Industrien liegt eine Kombination von wissenschafts- und erfahrungsbasiertem Wissen zugrunde», so Binz.
Standardisierte und massgeschneiderte Produkte
Neben der Wissensbasis unterscheiden sich Industrien laut den Sozialwissenschaftlern zudem durch den Standardisierungsgrad ihrer Produkte und Dienstleistungen. So weisen standardisierte Produkte wie Shampoos oder Smartphones auf der ganzen Welt ähnliche Eigenschaften auf und bedienen einen globalen Massenmarkt. Die Nutzer haben wenig differenzierte Vorlieben. Entscheidend für den Konsumentscheid ist vor allem der Preis. Massgeschneiderte Produkte herrschen beispielsweise in der Siedlungswasserwirtschaft oder bei der Rechtsberatung vor. Sie sind auf die spezifischen Bedürfnisse bestimmter Nutzergruppen und dementsprechend eher auf regional unterschiedliche Nischenmärkte zugeschnitten.
Wie entstehen Innovationen?
Gemäss dem Konzept der Eawag-Sozialwissenschaftler gibt es für die Entwicklung einer innovativen Technologie und für den Aufbau einer entsprechenden Industrie vier Treiber: Es braucht Wissen, es muss Geld investiert werden, es muss sich ein Markt bilden, und die neue Technologie muss in der Gesellschaft legitimiert werden. In jedem dieser Bereiche braucht es Akteure, die miteinander kooperieren: Firmen, Forschungsinstitute, die öffentliche Verwaltung, Nichtregierungsorganisationen, Verbände etc. Der Austausch zwischen den Akteuren und deren Vernetzung innerhalb der Bereiche und zwischen den Bereichen spielen sich abhängig vom Industrietyp auf regionaler bis internationaler Ebene ab. Dasselbe gilt für den institutionellen Rahmen, der über Bestimmungen und Gesetze den Handlungsspielraum absteckt, in dem Innovationen entstehen können.
Abhängig davon, wo eine Industrie und ihre Produkte zwischen den Polen «wissenschaftsbasiert» und «erfahrungsbasiert» beziehungsweise «standardisiert» und «massgeschneidert» positioniert ist, ordnen die Forscher diese einem von vier Innovationstypen zu (Abb. 2). Wobei sich die Position im Lauf der Zeit und des industriellen Lebenszyklus verändern kann. «Je nach Innovationstyp ist eine Industrie bei der Generierung und dem Austausch von Wissen, der Akquisition von Kapital, der Bildung von Märkten und der gesellschaftlichen Akzeptanz ihrer Technologien oder Produkte stärker regional oder stärker global ausgerichtet», erläutert Binz.
Förderstrategie dem Innovationstyp anpassen
Das Innovationskonzept der Eawag-Forscher soll dazu beitragen, Systemfehler, die eine Entstehung von Innovationen verhindern, zu identifizieren und zu beheben. Überdies kann es helfen, Förderprogramme industriespezifisch auszurichten. Als Beispiel nennt Binz die Energiestrategie 2050. Damit will die Schweiz ihre Energieversorgung nachhaltiger gestalten, indem sie unter anderem die Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen ausbaut. Die Initianten führen dabei auch gerne ins Feld, dass dies die heimische Wirtschaft ankurble und neue Arbeitsplätze schaffe. «Das lässt sich nicht pauschal sagen», so Binz, «sondern kommt auf den Industriebereich an.» Das zeigen Erfahrungen aus Deutschland, wo Anfang 2000 ein ambitioniertes Programm zur Förderung der Fotovoltaik den einheimischen Herstellern einen Marktvorsprung sichern sollte. Weil die Solarindustrie stark international strukturiert und die Produktion in hohem Mass standardisiert ist, ging die Rechnung aber nicht auf. Vielmehr wanderte das Geschäft rasch nach China, Korea und Taiwan ab. «Mit dem entsprechenden Systemverständnis hätte dies antizipiert werden können», sagt der Sozialwissenschaftler.
Abb. 2: Abhängig von der Wissensbasis, dem Standardisierungsgrad und der räumlichen Vernetzung der Akteure unterscheiden die Eawag-Forscher vier Innovationstypen. Verschiedene Cleantech-Industrien lassen sich diesen Typen zuordnen.
Das Beispiel unterstreicht laut Binz, dass Strategien zur Innovationsförderung gezielt auf die jeweiligen Technologien und Industrien ausgerichtet werden sollten. «Unter Umständen macht es Sinn, nur einzelne Glieder einer Wertschöpfungskette gezielt zu unterstützen», sagt er. So sei es bei der Fotovoltaik erfolgversprechender, hierzulande in die Forschung und Entwicklung sowie in die Endmontage zu investieren statt in die Produktion von Solarpaneelen. Beim Schweizerischen Innovationspark sollten seiner Meinung nach Förderkonzepte im Fokus stehen, welche die Innovations- und Marktcharakteristika der geförderten Industrien reflektieren und an die jeweiligen Standorte und deren technologische Kompetenzen angepasst sind.