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Natürliches Pestizid für die Produktion proteinreicher Mikroalgen
31. Oktober 2024 |
Seit Hunderten von Jahren ernten die Menschen wild wachsende mikroskopisch kleine Algen aus Seen, um sie zu essen. Bekannt ist zum Beispiel von den Azteken, dass sie feine Netze benutzten, um Spirulina von der Oberfläche des Texcoco-Sees abzuschöpfen. Sie trockneten sie und verwendeten sie in einer Vielzahl von Lebensmitteln.
Auch heute noch sind Mikroalgen wegen ihrer Inhaltsstoffe wie Antioxidantien oder Omega-3-Fettsäuren als Superfood beliebt und ihnen werden zahlreiche gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben. Das Potenzial der winzigen Algen geht jedoch weit über den Einsatz in Nahrungsergänzungsmitteln hinaus. Mikroalgen könnten dazu beitragen, einige der drängendsten Probleme der modernen Welt zu lösen.
Was sind Mikroalgen?
Mikroalgen sind mikroskopisch kleine (viele sind etwa fünf Mikrometer gross oder noch kleiner), meist einzellige Algen, die mit blossem Auge nicht sichtbar sind. Sie gehören zum Phytoplankton, das schwebend in der Wassersäule von Süsswasser- und Meeressystemen vorkommt, wo sie eine wichtige Rolle in aquatischen Nahrungsnetzen und im Kohlenstoff- und Nährstoffkreislauf spielen.
Wie die grösseren Makroalgen (auch diese sind teilweise als Lebensmittel beliebt) betreiben auch die Mikroalgen Photosynthese, beziehen ihre Energie zum Leben also daraus, dass sie Sonnenlicht und Kohlenstoffdioxid in organische Kohlenstoffverbindungen und Sauerstoff umwandeln. Es gibt Zehntausende von Arten, die in vielen verschiedenen, teils auch extremen, Umgebungen, leben – vom basischen Salzsee bis zur Antarktis.
Ein Kraftpaket aus der Natur
Ihr schnelles Wachstum, ihre Fähigkeit zur Bindung von Kohlenstoffdioxid und ihr hoher Gehalt an Proteinen, Lipiden und Kohlenhydraten machen Mikroalgen interessant für eine ganze Reihe von industriellen Anwendungen, wie die Produktion von Bioplastik und Biokraftstoff oder die Speicherung von Kohlenstoffdioxid.
Grosses Potenzial besteht auch beim Einsatz als Tiernahrung in der Landwirtschaft. Denn verglichen etwa mit dem Soja-Anbau lässt sich mit Mikroalgen der gewünschte Proteingehalt in kürzerer Zeit gewinnen – und dies auf geringerer Landfläche und mit weniger Wassereinsatz. Verschiedene Forschung arbeitet derzeit daran, diese Nahrungsquelle zu erschliessen, so auch die Agroscope im Projekt Algafeed. Es gibt aber noch Herausforderungen, die eine wirtschaftliche Produktion erschweren. Dazu gehört etwa der Schutz der Kulturen vor Fressfeinden, Parasiten und Krankheitserregern.
Eine kürzlich erschienene Publikation des Wasserforschungsinstituts Eawag liefert hier nun einen neuen Ansatz.
Co-Kultur gegen Fressfeinde
In der Natur bilden Mikroalgen die Basis des Nahrungsnetzes in Gewässern, weil sie vom Zooplankton (dazu gehören kleine Tiere wie die Wasserflöhe oder auch die nur im Mikroskop sichtbaren pflanzenfressenden Geisseltierchen) gefressen werden. Dieses dient wiederum grösseren Lebewesen, wie Fischen als Nahrung. Wenn man die Mikroalgen auf Freiluftanlagen in künstlichen Teichen züchtet, die gegenüber Photobioreaktoren wesentlicher günstiger sind, lässt sich kaum verhindern, dass sich auch hier Zooplankton einschleicht. Erschwerend kommt hinzu: Gerade jene Algenarten, die wirtschaftlich am interessantesten sind, weil sie am schnellsten wachsen (wie Chlorella oder Nannochloropsis), sind aufgrund ihrer eher kleinen Zellkörper besonders anfällig für Fressfeinde.
Patrick Thomas, Postdoktorand an der Eawag konnte nun zeigen, dass eine Co-Kultur verschiedener Mikroalgen diese davor schützen könnte, von Fressfeinden dezimiert zu werden.
Das Geisseltierchen P. malhamensis am Verspeisen der kleinen Algenart N. limnetica. Der Durchmesser der Geisseltierchen ist ca. zehn Mikrometer (Foto: Eawag, Patrick Thomas).
Sich ergänzende Eigenschaften
Die Forschenden um Thomas haben in ihrer Studie die Algenart Nannochloropsis limnetica zusammen mit einer anderen Mikroalge kultiviert, Botryococcus braunii. Diese Art ist wirtschaftlich interessant wegen ihrem hohen Gehalt an Kohlenwasserstoffen, die zur Herstellung von Biokraftstoffen verwendet werden können, sowie an hochwertigen Pigmenten. B. braunii wächst nur sehr langsam, hat dafür aber noch einen weiteren Vorteil: Wie die Forschenden herausfanden, sind Co-Kulturen von Nannochloropsis und B. braunii viel robuster gegenüber den weit verbreiteten Fressfeinden Daphnia magna (einem etwa 2 mm grossen Wasserfloh) und Poterioochromonas malhamensis (einem mikroskopisch kleinen Flagellaten) als eine reine Monokultur von Nannochloropsis.
Die Biomasse als auch die Wachstumsrate der beiden Algen waren in der Co-Kultur erhöht. Thomas erklärt: «Wir führen dies darauf zurück, dass B. braunii einerseits grosse, für die Fressfeinde ungeniessbare Kolonien bildet, wodurch die Zellen von Nannochloropsis für sie schlechter erreichbar sind. Und andererseits ist die Art dafür bekannt, chemische Verbindungen wie zum Beispiel freie Fettsäuren, auszuscheiden, die ebenfalls als Abwehrmechanismus funktionieren dürften.»
Eine weitere Rolle spielen vermutlich auch positive Wechselwirkungen zwischen den beiden Algenarten. «Mit einer Co-Kultur könnten die sich ergänzenden Eigenschaften der beiden Algenarten genutzt werden», so Thomas. Zudem erlaubt eine solche Co-Kultur auch, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren, welche Umweltrisiken bergen und zudem bei den Fressfeinden zu Resistenzen führen können. «Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse dazu beitragen, die Kosten für den Anbau von Mikroalgen zu reduzieren und somit grossflächige Kulturen wirtschaftlich interessanter zu machen.»
Der Forscher betont, ausgehend von der Proof-of-Concept-Studie brauche es noch viele zusätzlich aufbauende Forschung und praxisnahe Pilot-Studien, das Konzept weiter zu erforschen und zu erweitern. Nächste Schritte könnten die Übertragung auf grössere Massstäbe, weitere Arten oder andere Umgebungen, etwa Salzwasser-basierte, sein.
Titelbild: Anlage zur Kultivierung von Mikroalgen in der Region Kona auf Hawaii. (Foto: (Cyanotech Corporation / Charles H. Greene, Celina M. Scott-Buechler, Arjun L.P. Hausner, Zackary I. Johnson, Xin Gen Lei, Mark E. Huntley / Wikimedia)
Originalpublikation
Finanzierung und Kooperation
- Eawag
- ETH Zürich