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Je grösser die Biodiversität, desto mehr Nährstoffe
17. Oktober 2024 |
Mensch und Tier brauchen nicht nur ausreichend Kalorien, um zu funktionieren, sondern auch essenzielle Nährstoffe – unter anderem die mehrfach ungesättigten Fettsäuren Omega-3 und Omega-6. Für Vögel, Igel, Eidechsen und Co. sind Insekten und Spinnentiere eine wichtige Quelle dieser essenziellen Fettsäuren. Wie hoch der Gehalt ist, hängt jedoch davon ab, welche Arten von Insekten und Spinnen konkret auf dem Speiseplan stehen. Wasserinsekten, wie etwa Köcherfliegen oder Libellen, enthalten bedeutend mehr langkettige Omega-3- Fettsäuren als Landinsekten, weil in aquatischen Ökosystemen Omega-3-reiche Algen am Anfang der Nahrungskette stehen. Der Gehalt an Fettsäuren kann sich ausserdem über die Nahrungskette hinweg anreichern: Die Eintagsfliege enthält mehr als die Alge, von der sie sich ernährt, aber weniger als der Fisch, von dem sie gefressen wird. Dazu gibt es bereits Studien. Auch dazu, wie sich die Biodiversität von Pflanzen und Algen auf das Nahrungsangebot in einem Ökosystem auswirkt. «Noch kaum bekannt war bisher aber, welchen Effekt die Biodiversität von Insekten und Spinnentieren auf die Verfügbarkeit von essenziellen Fettsäuren im Nahrungsnetz eines Ökosystems hat», sagt Cornelia Twining, Leiterin der Forschungsgruppe «Nahrungsnetz Ökophysiologie» am Wasserforschungsinstitut Eawag und Professorin an der ETH Zürich. Diese Wissenslücke wollten sie und ihre Kolleginnen und Kollegen schliessen.
Über 700 Land- und Wasserökosysteme untersucht
Als Grundlage diente den Forschenden ein Datensatz mit über einer halben Million Beobachtungen von rund 7600 Insekten- und Spinnenarten in der Schweiz. Die rund 400 Gewässerökosysteme und 300 Landökosysteme, in denen die Beobachtungen erfolgten, liegen in Gebieten mit unterschiedlicher Landnutzung – manche in natürlichen Lebensräumen wie extensiven Wiesen oder Wäldern, andere im Landwirtschaftsgebiet oder mitten in einer Stadt. Für jedes dieser Ökosysteme berechneten die Forschenden die Biomasse und Biodiversität der Insekten und Spinnentiere und wie viel der wichtigsten, mehrfach ungesättigten Fettsäuren sie gesamthaft bereitstellen. «Uns interessierte, welchen Einfluss die Landnutzung auf die Energie- und Nährstoffverfügbarkeit hat und ob es dabei wesentliche Unterschiede zwischen Gewässer- und Landökosystemen gibt», sagt Ryan Shipley, Forscher am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF sowie Hauptautor der Studie. «Die Landnutzung ist eine der drängendsten globalen Herausforderungen. Es ist entscheidend, dass wir verstehen, wie sie sich auf die grundlegenden Ökosystemfunktionen auswirkt.»
Links: Braune Krabbenspinne (lat. Xysticus cristatus) mit einer Wespenbiene (lat. Nomada sp.) (Foto: Maja Ilić).
Mitte: Braune Krabbenspinne (lat. Xysticus cristatus) mit einem Marienkäfer (lat. Coccinellidae) (Foto: Maja Ilić).
Rechts: Wespenspinne (lat. Argiope bruennichi) mit ihrer Beute (Foto: Maja Ilić).
Mit schwindender Biodiversität sinkt der Fettsäuregehalt im Nahrungsnetz
Die Datenanalyse ergab, dass in allen untersuchten Lebensgemeinschaften mit abnehmender Artenvielfalt der Insekten und Spinnentiere auch die Biomasse und der Gehalt an Fettsäuren sinkt. «In den terrestrischen Lebensgemeinschaften sehen wir überdies markante Unterschiede je nach Landnutzung», sagt Twining. Selbst wenn die Artenvielfalt gleich gross ist, stellt die Insekten- und Spinnenpopulation in einem Stadtpark normalerweise weniger Omega-3-Fettsäuren bereit als jene in einem Waldstück. «Das liegt einerseits an der unterschiedlichen Artenzusammensetzung dieser Populationen, andererseits an der Biomasse, die in urbanen Gebieten kleiner ist: Es hat weniger Räuber wie Spinnen oder grosse Käfer, die essenzielle Fettsäuren anreichern», erklärt Twining. «Überrascht hat uns, dass in aquatischen Lebensgemeinschaften der Effekt der Landnutzung viel weniger ausgeprägt ist. Bäche mit vergleichbarer Artenzahl haben einen ähnlich hohen Fettsäuregehalt, egal ob sie im Siedlungsgebiet oder in einem Waldstück liegen.» Die Forschenden erklären das damit, dass Wasserinsekten durchweg mehr Omega-3 enthalten. Bei ihren Genossen an Land sind die Unterschiede grösser: Wenn Beutegreifer wie Webspinnen, die viel essenzielle Fettsäuren anreichern, aus dem Ökosystem verschwinden, fällt das deutlich ins Gewicht. «Das bedeutet aber nicht, dass die Artenvielfalt von Wasserinsekten weniger wichtig wäre», sagt Twining.
Gewässerökosysteme als wichtige Fettsäure-Quelle vor allem im urbanen Raum
Im Gegenteil: Gewässer tragen in terrestrischen Nahrungsnetzen wesentlich zur Versorgung mit essenziellen Fettsäuren bei. Im Siedlungsgebiet, wo der Verlust an Insekten und Spinnentieren durch die zunehmende Versiegelung und menschliche Aktivität besonders gross ist, werden Wasserinsekten zu einer umso wichtigeren Quelle essenzieller Fettsäuren für Vögel, Fledermäuse oder Eidechsen. Dieses «Superfood» ist jedoch zunehmend mit Schadstoffen in Bächen, Flüssen und Seen vermischt. «Unsere Studie zeigt, wie wichtig es für die Nahrungsnetze ist, dass wir die Biodiversität insbesondere im Landwirtschaftsgebiet und im Siedlungsraum schützen und die Gewässerqualität verbessern», hält Twining fest. «Nur so können wir die Ökosysteme erhalten.»
Forschungsinitiative Blue-Green Biodiversity
Das Forschungsprojekt «Predator coupling of aquatic and terrestrial ecosystems: the importance of nutritional diversity of prey» leistet einen Beitrag zur Forschungsinitiative Blue-Green Biodiversity – einer Eawag-WSL-Zusammenarbeit, die sich mit der Biodiversität an der Schnittstelle von aquatischen und terrestrischen Ökosystemen befasst. Die Initiative wird vom ETH-Rat finanziert.
Titelbild: Gebänderte Prachtlibelle, Männchen (lat. Calopteryx splendens, engl. Banded demoiselle) mit ihrer Beute (Foto: Maja Ilić).
Originalpublikation
Kooperationen
- Eawag
- WSL
- Fachhochschule der italienischen Schweiz SUPSI
- Universität Zürich
- Universität Brest (Frankreich)
- Wasser Cluster Lunz (Österreich)
- Technische Universität Cottbus-Senftenberg (Deutschland)
- Universität Innsbruck (Österreich)
- Donau Universität Krems (Österreich)
- ETH Zürich