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Mit blau-grüner Infrastruktur die Folgen von Starkregen abfedern
10. Oktober 2024 |
Über die Hälfte des Schweizer Kanalisationsnetzes besteht aus Leitungen, die nicht nur Abwasser sammeln, sondern auch Regenwasser, das von versiegelten Flächen wie Strassen und von Dächern abfliesst. Wenn es intensiv regnet, wird das zum Problem: Kanalisation und Kläranlagen stossen dann an ihre Kapazitätsgrenzen und unbehandeltes Mischwassers muss in die Gewässer geleitet werden. Das beeinträchtigt die Wasserqualität und belastet die Gewässerökosysteme. Um dieses Überlaufen von Regenwasser und häuslichem Abwasser (Mischwasserüberlauf) zu vermeiden, muss verhindert werden, dass bei Starkregen zu viel Regenwasser in die Kanalisation abfliesst.
Nebst «grauer» Infrastruktur – wie Mischwasserentlastungsbecken oder unterirdischen Wasserspeichern – gibt es eine Reihe blau-grüner Infrastrukturen (BGI), die dafür sorgen, dass Regenwasser im Boden versickert oder zwischengespeichert wird. Dazu zählen zum Beispiel Gründächer, bepflanzte Versickerungsmulden, versickerungsfähige Beläge oder Teiche. «Dieses Potenzial ist seit längerem bekannt», sagt Lauren Cook, Gruppenleiterin am Wasserforschungsinstitut Eawag. «Unklar war bisher aber, wie sich der Nutzen von BGI in einem künftigen Klima mit häufigeren Starkniederschlägen verändert und welche Kombination von BGI-Elementen den Mischwasserüberlauf unter diesen Bedingungen am effektivsten reduzieren kann.» Das hat sie sich mit ihrem Team genauer angeschaut.
Mehr Starkniederschläge, mehr Mischwasserüberlauf
In einer ersten Studie haben die Forschenden für sechs verschiedene Klimaszenarien modelliert, wie sich der Mischwasserüberlauf in der Zürcher Gemeinde Fehraltorf in Zukunft verändern könnte. «Die Eawag betreibt in Fehraltorf zusammen mit der ETH Zürich ein Feldlabor für Abwasserforschung – das Kanalisationsnetz ist mit über 300 Sensoren ausgestattet», erklärt Giovan Battista Cavadini, Doktorand in Lauren Cooks Forschungsgruppe. «Mit den Messdaten, die acht Jahre zurückreichen, konnten wir unser Modell kalibrieren und so eine hohe Zuverlässigkeit für die Zukunftsszenarien des Mischwasserüberlaufs erreichen.» Die Modellierung ergab, dass das Volumen des Mischwasserüberlaufs ab dem Jahr 2085 je nach Klimaszenario um rund 150 bis 250 Prozent zunehmen könnte. «In einer weiteren Simulation konnten wir zeigen, dass das Kanalisationsnetz weniger überlastet ist, wenn im Einzugsgebiet so viele Gründächer, Versickerungsmulden oder versickerungsfähige Beläge wie möglich vorhanden wären», so Cavadini. Den stärksten Effekt hatten Gründächer, aber nur unter der Bedingung, dass der Abfluss auf eine versickerungsfähige Fläche geleitet wird.
Kombinierte blau-grüne Infrastrukturen könnten Volumenzunahme verhindern
Weil in der Praxis normalerweise nicht nur ein einzelnes BGI-Element zum Einsatz kommt, modellierten die Forschenden in einer zweiten Studie, wie sich 15 verschiedene BGI-Kombinationen in einem künftigen Klima auf den Mischwasserüberlauf auswirken. Neben Gründächern, Versickerungsmulden und versickerungsfähigen Belägen wurden dabei auch Teiche berücksichtigt.
Am besten schneiden Versickerungsmulden kombiniert mit versickerungsfähigen Belägen, mit Teichen oder mit beidem ab. Diese Kombinationen verhinderten in jedem der vier untersuchten Klimamodelle eine Zunahme sowohl des Volumens als auch der Häufigkeit von Mischwasserüberläufen: Und dies selbst dann, wenn nur ein Viertel der potenziellen Fläche mit diesen Elementen ausgestattet wäre. Die übrigen untersuchten BGI-Kombinationen könnten eine Volumenzunahme zumindest dämpfen.
«Unsere Modellierung unterstreicht, wie wichtig vielfältige blau-grüne Infrastruktur ist, um das Abwassermanagement für den Klimawandel zu wappnen», hält Cavadini fest. «Jedes BGI-Element hat seine Stärken: Bei gleichmässigem Dauerregen sind Versickerungsmulden gut, weil sie das Wasser über lange Zeiträume aufnehmen können; bei Starkregen sind hingegen Teiche hilfreich, die schnell grosse Wassermassen fassen können.»
«Unsere Modellierung unterstreicht, wie wichtig vielfältige blau-grüne Infrastruktur ist, um das Abwassermanagement für den Klimawandel zu wappnen.»
Giovan Battista Cavadini
Kosteneffizienter als graue Infrastruktur
Nicht nur der Nutzen, sondern auch die Kosten kombinierter BGI interessierten die Forschenden. Unter Berücksichtigung von Installations-, Betriebs- und Unterhaltskosten berechneten sie, wie teuer es in einem künftigen Klima sein wird, einen Kubikmeter Mischwasserüberlauf zu verhindern. Ein Drittel der untersuchten BGI-Kombinationen – darunter auch jene, die eine Zunahme des Mischwasserüberlaufs ganz verhinderten – sind kosteneffizienter als ein konventionelles Mischwasserentlastung-Becken. «Und dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass blau-grüne Infrastruktur multifunktional ist», ergänzt Lauren Cook zu bedenken. «Sie kann für den gleichen Preis nicht nur Regenwasser aufnehmen, sondern gleichzeitig auch Hitze mindern und die Biodiversität im urbanen Raum fördern.»
Modellierung als Entscheidungshilfe in der Siedlungsentwässerung
Auch wenn die Resultate aus den Modellierungen nur für Fehraltorf gelten und nur bedingt auf die ganze Schweiz übertragbar sind, haben die Forschenden mit ihrer Methodik einen wichtigen Grundstein für die Planung gelegt. «Unsere Methode kann in der Praxis als Entscheidungshilfe dienen, um abzuschätzen, wie viel und welche Arten von blau-grüner Infrastruktur es für ein bestimmtes Einzugsgebiet zur Reduktion von Mischwasserüberlauf brauchen wird», so Cavadini. Und Cook hält fest: «Unsere Forschungsarbeit zeigt, wie wichtig es ist, bei der Siedlungsentwässerung nicht mit aktuellen Klimadaten, sondern mit Klimaszenarien zu arbeiten. Denn in einem zukünftigen Klima mit mehr Starkniederschlägen werden der Effekt und die Kosteneffizienz blau-grüner Infrastruktur viel grösser sein als heute. Es ist höchste Zeit, dass wir die Siedlungsentwässerung neu denken und blau-grüne Infrastrukturen grossflächiger einsetzen.» Sonst dürfte künftig noch mehr Mischwasser in die Gewässer abfliessen – mit negativen Folgen nicht nur für die aquatischen Ökosysteme, sondern im dümmsten Fall auch für Badende und für die Trinkwasserqualität.
Titelbild: Teiche, wie hier in Opfikon (ZH), können in kurzer Zeit grosse Wassermengen fassen. Das wird in Zukunft von Bedeutung sein, wenn durch den Klimawandel Starkniederschläge häufiger und heftiger werden (Foto: Eawag, Max Maurer).
Originalpublikationen
Finanzierung / Kooperationen
- Eawag
- ETH Zürich
- Swiss National Supercomputing Centre
- University of Exeter
- University of Queensland
- City University of Hong Kong
- Schweizer Nationalfonds